TDDL 2020: Moderator Christian Ankowitsch im Bachmann-Studio in einem Egg-Chair
ORF/Johannes Puch
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Tabubruch und schriftstellerisches Talent

Der dritte und letzte Lesetag des Bachmannpreises 2020 ist vorbei. Intensiv wie nie ging es diesmal auch um die Kriterien der Jury an sich. Philipp Tingler beging einen Tabubruch und fragte Lydia Haider, was ihr Text bezwecke. Als schriftstellerisches Talent wurde Laura Freudenthaler gelobt.

Die erste Autorin des letzten Lesetags war die Österreicherin Lydia Haider. Sie las auf Einladung von Nora Gomringer den Text „Der große Gruß“. Phillip Tingler sorgte für einen Tabubruch, indem er die Autorin, alternativ die Patin Nora Gomringer, gleich zu Beginn fragte, was sie mit ihrem Text bezwecke.

 Lesung Lydia Haider
WDW Film
Lesung Lydia Haider

Direkte Frage an Autorin

Haider antwortete, das sei die Frage an die Jury, sie habe viele Erklärungsmöglichkeiten, dann schwieg sie dazu. Hubert Winkels warf ein, die Jury sei ja dazu da, diese Frage zu beantworten. Tingler redete weiter und wollte, dass die Autorin antwortet. Es kam zu einem nicht verfolgbaren Schlagabtausch, da beide gleichzeitig redeten. Tingler meinte, laut den Regeln des Bewerbs könne sich der Autor einbringen.

Hubert Winkels warf ein, man könne sie einbeziehen aber doch nicht zu Beginn die Autorin nach dem Zweck des Textes fragen.

„Würde die Jury einschränken“

Nora Gomringer, die den Text eingeladen hatte, sagte, das würde doch die Jury einschränken, wenn die Autorin den Text für sie einordnet. Sie habe vorab mit der Autorin gesprochen. Sie verstehe den Text als Kampfansage. Sie habe die Autorin beim Wort genommen: „Es ist der große Gruß“, das kenne man vom Yoga. „Hier auch, es ist ein Sprachexerzitium." Sie halte es nicht für beendet mit dem Splattertum, sondern Für etwas Grässlicheres. Der Schluss sei eindeutig, wenn man nicht Komplize werde, gehe es auch dem Leser an den Kragen.

Zweite Belehrung durch Winkels

Insa Wilke fand es gar nicht schwierig, was der Text wolle. Man könne zwei Antworten finden – hier werde mit Tiermetapher eine Strategie gezeigt, die von den Nazis komme und die man in Neurechten Kreisen wieder erlebe, man komme von der Fantasie zum Massenmord, von den Tieren zum Menschen. Die andere Antwort sei, dass genau das parodiert werden solle. Da beiße sich der Hund in den Schwanz.

Für Winkels beraube sich der Text der Steigerung, da auf den ersten beiden Seiten bereits ein Maximalschaden stattfinde. Der Vortrag von Lydia Haider wurde von Brigitte Schwens-Harrant und Michael Wiederstein gelobt. Tingler hatte damit ein Problem, was Winkels dazu brachte, ihn erneut zu belehren, dass der Vortrag in den letzten Jahren immer wichtiger geworden sei.

„Der heißeste Sommer“ von Laura Freudenthaler

Nach ihr folgte Laura Freudenthaler, ebenfalls aus Österreich, eingeladen von Neo-Jurorin Brigitte Schwens-Harrant. Sie las den Text „Der heißeste Sommer“.

Lesung Laura Freudenthaler
WDW Film
Laura Freudenthaler bei der Lesung

Die Jury war sich großteils einige, dass man es hier mit einem schriftstellerischen Talent zu tun habe. Insa Wilke zeigte sich fasziniert, wie unterschiedlich Texte gemacht seien, es tauchen hier auch einige Motive von Lydia Haider auf, die aber völlig anders verwendet werden. Der Text beschreibe völlig nüchtern, wie Dinge außer Kontrolle geraten.

Kastberger störte kein einziger Satz

Klaus Kastberger sagte, der Texte zeige eine ganz andere Tonlage. Heuer fühle er sich zum ersten Mal an der Namensgebung des Bachmannpreises erinnert. Nahe an Marlen Haushofer, an der Tradition der österreichischen Literatur. „Das ist stilistisch in einer unaufgeregten Art und Weise vorgetragen, keine Künstelei, Sätze sind kalt und deutlich. Ich habe keinen gefunden, der mich gestört hätte.“

Philipp Tingler
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Philipp Tingler sorgt für Kontroversen, lautstarke Diskussionen und die Frage, wie oft er sich während der Bachmanntage umzieht

Tingler suchte den Plot

Philipp Tingler sagte, er müsse die Lobeshymnen unterbrechen. Am Anfang habe er sich über den Text gefreut und mit Begeisterung gelesen. Er registriere ein großes Talent für Verdichtung. Man wünscht sich aber irgendwann, die Autorin würde das große Talent in den Dienst einer Geschichte stellen. „Es ist eine größere konstruktivere Herausforderung, einen Plot zu präsentieren“. Er möge besessen von Handlung sein, aber das Talent, eine Geschichte zu erzählen, gehöre dazu.

Insa Wilka meinte zu Tingler, man schließe einen Großteil von Literatur aus, wenn man immer einen Plot erwarte. Einig war man sich darüber, dass der Text starke Dialoge beinhalte. Uneinigkeit herrschte, ob die stärksten Passagen die der Verknappung seien oder die, in denen der Text elaboriere.

Jury im Studio
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Das Studio in diesem Jahr ohne Publikum

Die Deutsche Katja Schönherr liest auf Einladung von Philipp Tingler den Text „Ziva“ über eine Frau, die davon besessen ist, mit 43 zu sterben und einen Affenkäfig im Zoo.

Lesung Katja Schönherr
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Katja Schönherr

Philipp Tingler freute sich, dass der von ihm eingeladene Text als unterhaltsam geschätzt wurde. Was ihn fasziniere, sei die Subversion der unzuverlässigen Erzählerin. Man lese und komme drauf, halt, irgendwas stimme nicht mit der Mutterfigur, die ihrer Egozentrik und Besessenheit alles unterordne.

Wilke mochte Doppelbödigkeit

Insa Wilke sagte, es sei keine unzuverlässige Erzählerin, sondern man habe es mit einer Doppelbödigkeit zu tun, wie der Text gebaut sei. Die Erzählerin sagte genau, was sie meine. „Es ist eine amüsante Geschichte.“ Tingler erwiderte, er insistiere auf die Unzuverlässigkeit der Erzählerin, weil sie behaupte, das Interesse der Tochter zu berücksichtigen. Man merke aber, das stimme nicht, sie ordne alles dem 43er-Schicksal unter.

Zu bescheiden für Winkels

Winkels sagte, nichts bisher Gesagtes sei falsch. Es erinnere an Ephraim Kishon. Die Frau habe eine Besessenheit mit ihrem Sterbedatum, sie verbinde die fixe Idee mit der 43 mit der Tatsache, ein Wesen der Fantasie zu sein. Die Satire zeigt sich darin, dass sie sich in einen Affen verwandle durch das Affenkostüm. „Ich finde es im Anspruch etwas bescheiden.“

Brigitte Schwens-Harrant sagte, sie würde eher von einer beschränkten Perspektive sprechen. Die Beziehungsebene komme gar nicht vor. Vieles sei erklärt und auserzählt, die Leerstelle, die bleibe sei der Spruch auf der Pappe im Affenhaus. Sie sei nicht sicher, ob es mehr oder weniger satirisch sei. Der Ernst der Lesung habe sie irritiert.

TDDL 2020 Tanja Schönherr bei der Lesung
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Katja Schönherr

Allegorie auf den Bachmannpreis

Klaus Kastberger meinte, ihm gefalle der Text deshalb, weil man ihn als 1:1 Allegorie auf diesen Bewerb lesen könne. Leute um einen Käfig herum, der ein Schild nach oben halte. Man erfahre nicht, was auf dem Schild stehe, aber alles interpretieren etwas. Tingler sagte zu Kastberg, er sei positiv überrascht, dass er die anderen überrascht habe. Er wolle die Allegorie zum Bachmannpreis nicht bringen, sehe sie aber ebenfalls. Er freue sich, dass Unterhaltsamkeit geschätzt werde.

Meral Kureyshi las „Adam“

Als letzte Autorin des heurigen Berwebs folgte die Schweizerin Meral Kureyshi, eingeladen von Michael Wiederstein. Sie las den Text „Adam“.

Tddl 2020 Meral Kureyshi Lesung
ORF/Johannes Puch
Meral Kureyshi bei ihrer Video-Lesung

„Text wie schlaffer Händedruck“

Die Meinungen der Jury gingen auseinander – was den einen zu lapidar war, fanden andere gerade als Argument für den Text. Insa Wilke machte den Anfang: „Ich hätte mir dringend etwas mehr Eva für den Adamstext gewünscht, etwas Zupackendes.“ Das sei ein Text wie ein schlaffer Händedruck, er habe keine Dramaturgie, er differenziere nicht. Aber vielleicht habe sie einen Knick in der Linse.

Klaus Kastberger sagte, er habe den gleichen Knick, das sei Befindlichkeitsprosa. Es gebe einen kleinen Ansatz, in denen die Frage der Farben des Schattens aufgegriffen werde, das sei zu wenig. „In mir passiert wenig“.

Erklärungen von Pate Wiederstein

Wiederstein erklärte seinen Jurykollegen den Text: Es sei eine Coming-of-age-Geschichte, eine junge Frau von 20 Jahren arbeitet in einem Museum. Der Vater gestorben, versuche sie, sich von Altem zu trennen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wenn es eine Momentaufnahme sei, müsse auch der Text flüchtig sein, da brauche er keine Dramaturgie. „Das ist alles sehr kongruent, dass da nicht so viel passiert.“

Winkels fand faszinierende Sätze

Hubert Winkels mochte nicht antreten, den Text zu verteidigen. Vor allem von dem einen oder anderen Satz sei er fasziniert gewesen. „Ich höre Musik, um die Erinnerung zu fälschen“.. ein schöner Satz. In der Erinnerungsthematik, dem Löschen der Erinnerung zusammen mit dem melancholischen Ton finde er andere Elemente.

Phillip Tingler habe die pointierte und gelungen lapidare Art gefallen, wie der Verlust des Vaters beschrieben werde. Das sei stimmig und habe nichts mit Befindlichkeitsprosa zu tun. Genau das sah aber Insa Wilke als Gegenargument für den Text.

Der zweite Lesetag

Am zweiten Lesetag zeichneten sich erste Favoriten ab, wenn von der Einigkeit der Jury ausgeht. Die Jury diskutierte wohlwollend über Helga Schubert und Hanna Herbst – mehr dazu in Erste Favoriten am zweiten Tag. Immer wieder ging die Jury in die Metaebene und diskutierte über die Kritieren der Literaturkritik, meist auf Initiative von Neo-Juror Philip Tingler.

Bachmannpreis: Erste Favoriten am zweiten Lesetag

Am zweiten Lesetag der 44. Tage der deutschsprachigen Literatur berührte der erste Text von Helga Schubert die Jury großteils. Sie etablierte sich als erste Favoritin; genauso wie Hanna Herbst. Wohlwollende Kommentare gab es zu den Texten von Egon Christian Leitner und Levin Westermann.

Der erste Lesetag

Der erste Lesetag war geprägt von heftigen Kontroversen in der Jury, Favoriten fanden sich auf den ersten Blick noch nicht, wenn man nach den Diskussionen ging. Es gab wenig Einigkeit – mehr dazu in Erster Lesetag zeigte kampflustige Jury.

Erster Bachmann-Lesetag

Der erste Lesetag der 44. Tage der deutschsprachigen Literatur ist am Donnerstag ohne klaren Favoriten zu Ende gegangen. Die Jury zeigte sich kampflustig und diskutierte heftig.

Publikum wählt

Zwischen 15.00 und 20.00 Uhr kann online für den Publikumspreis abgestimmt werden. Der oder die Preisträger/in gewinnt dem mit 7.500 Euro dotieren BKS-Bank Preis und wird Klagenfurter Stadtschreiber. Hier gibt es alle Infos und ab 15.00 Uhr auch den Link zum Voting, das nur mit SMS-Bestätigung und kurzer Begründung für die Wahl gültig ist – Fünf Preise werden vergeben.