Meral Kureyshi am Schreibtisch
ZDF/SRF/ORF/3sat
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Jurydiskussion Meral Kureyshi

Die in der Schweiz lebende Autorin Meral Kureyshi las auf Einladung von Michael Wiederstein den Text „Adam“. Die Jury war nicht einig, was der Text sein will. Für Wiederstein eine Coming-of-age-Geschichte, einige Juroren fanden, der Ton sei zu lapidar.

Insa Wilke machte den Anfang: „Ich hätte mir dringend etwas mehr Eva für den Adamstext gewünscht, etwas Zupackendes.“ Das sei ein Text wie ein schlaffer Händedruck, er habe keine Dramaturgie, er differenziere nicht. Aber vielleicht habe sie einen Knick in der Linse.

Klaus Kastberger sagte, er habe den gleichen Knick, das sei Befindlichkeitsprosa. Es gebe einen kleinen Ansatz, in denen die Frage der Farben des Schattens aufgegriffen werde, das sei zu wenig. „In mir passiert wenig“.

Wiederstein sieht Coming-of-age-Text

Brigitte Schwens-Harrant griff den Ort der Handlung auf, ein Museum. Sie als Vertreterin des Feuilletons habe ja mit Kunst zu tun, aber warum spiele das in einem Museum. Es komme ein Bild vor, das sofort erklärt werde. Aus dem tollen Ort Museum werde nichts gemacht.

TddL 2020 Lesung von Meral Kureyshi auf Monitor
ORF/Johannes Puch
Lesung Meral Kureyshi

Michael Wiederstein sagte, er habe dieselben Probleme mit dem Text gehabt, es sei aber klar geworden, dass es ein Coming-of-age-Text sei. Wenn man den als Ich-Erzähler bringe, müssen Bilder und Zeichen in das Alter passen. „Wir sind da ziemlich genau im Alter von 20 Jahren.“ Das Museum funktioniere als Katalysator für alte Gedanken aus der Kindheit, den Eltern. Man müsse diese Gedanken in eine neue Welt übertragen.

Drei Männer als drei Ideale

Es gehe um den ersten Mann, Adam, aber klar sei für ihn, dass die drei Männer drei Ideale seien. Die existieren nicht wirklich. Sie nehme das Leben in die Hand und trenne sich von Altem. Wenn es eine Momentaufnahme sei, müsse auch der Text flüchtig sein, da brauche er keine Dramaturgie. „Das ist alles sehr kongruent, dass da nicht so viel passiert.“

Schwens-Harrant warf kurz ein, das Bild werde nicht als Bild eingeführt, sie bekomme sofort eine Erklärung.
Wiederstein, sagte, der Text erkläre doch die Kunst gar nicht.

TddL 2020 Jurydiskussion zwischen Michael Wiederstein Brigitte Schwens-Harrant Philipp Tingler
ORF/Johannes Puch
Michael Wiederstein, Brigitte Schwens-Harrant und Philipp Tingler

Winkels von einzelnen Sätzen fasziniert

Hubert Winkels mochte nicht antreten, den Text zu verteidigen. Vor allem von dem einen oder anderen Satz sei er fasziniert gewesen. „Ich höre Musik, um die Erinnerung zu fälschen“.. ein schöner Satz. In der Erinnerungsthematik, dem Löschen der Erinnerung zusammen mit dem melancholischen Ton finde er andere Elemente. Es gehe um das hinausgeworfen Werden aus dem Paradies. In der Bildergalerie kommen immer wieder Engel vor, das müsse in Bern sein. Aus dem Museum sei das Paradies schon entfernt, halte aber immer noch Kontakt.

Philipp Tingler sagte zum Wort Befindlichkeitsprosa, er habe einen anderen Eindruck. Ihn faszinierte der lapidare Ton, der die Melancholie trage, das sei ein wesentlicher Kunstgriff. Manches finde er aber auch weniger gelungen, das hätte man streichen können.

Kastberger: Jeder Text braucht Dramaturgie

Nora Gomringer fand den Ton des Lapidaren auch eher schlaff. „Vedo dove devo, ich sehe, wo ich muss“ war der Titel der Ausstellung im Museum Bern.

Wiederstein findet den Text fantastisch gut, die Ich-Erzählerperspektive sei konsequent durchgehalten. Es handelt sich um eine 20-Jährige, die in einem Museum arbeitet und nicht die Kunst erklärt. Gomringer meinte, sie hätte lieber mehr Rätsel. Wiederstein fühlte sich an nouvelle vague Filme erinnert.

„Text muss sich entscheiden“

Klaus Kastberger fragte sich, warum er das Gefühl hatte, dass der Text einem die Erklärungen von Wiederstein und Winkels nicht selber näherbringe. „Gewagt finde ich die Ansage, dass ein Text keine Dramaturgie braucht“ – jeder Text braucht eine Dramaturgie. Wovon will der Text erzählen? Er müsse sich entscheiden, was er sein wolle.

Insa Wilke schloss sich Kastberger an, der Text sei noch nicht angekommen.

Tingler habe die pointierte und gelungen lapidare Art gefallen, wie der Verlust des Vaters beschrieben werde. Das sei stimmig und habe nichts mit Befindlichkeitsprosa zu tun. Genau das sah aber Insa Wilke als Gegenargument für den Text.