Lesung Lydia Haider
WDW Film
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Jurydiskussion Lydia Haider

Die in Steyr geborene Lydia Haider liest auf Einladung von Nora Gomringer den Text „Der große Gruß“. Die Lesung führte zu einem Tabubruch in der Jury, als Phillip Tingler zu Beginn die Autorin frage, was sie mit dem Text bezwecke. Er wurde von Juryvorsitzendem Hubert Winkels belehrt.

Der nur mittels Beistrichen getrennte und einem einzigen Schlusspunkt endende, provokativ verfasste Text, handelt von einer Hetze auf ein Mädchen, das von einem Hund gebissen wurde.

Insa Wilke machte den Anfang – zum Frühstück werden uns gleich Hunde ins gefrorene Meer serviert, Guten Appetit. „Der Text sagt, Hunde des Wiener Aktionismus, wollt ihr ewig leben." Sie wisse nicht, ob der Text das wiederhole oder parodiere. Er arbeite mit dem Satz „das hier geht auf keinen Fall,“ aber auf jeden Fall geht das. Gelesen sei es mit einem monotonen Ton, damit verpuffe für sie das letzte, was den Text interessant gemacht habe. „Ohne Steigerung in den Blutrausch löst sich alles in Luft auf“.

Lydia Herbst Lesung
ORF/Johannes Puch

Winkels: Text beraubt sich der Steigerung

Hubert Winkels griff das Motiv der Steigerung auf. Der Text habe viele Probleme, aber er beraube sich des Motivs der Steigerung, indem er mit dem Maximalschaden beginne. Das ist nicht mehr steigerbar. „Maximalismus, der sich in zwei Seiten voll entfaltet hat, ist nicht mehr zu steigern.“ Mit dem Hass alleine und seiner Wirkung auf den Körper habe man ein Splatter Movie ohne Kontext. „Darüber funktioniert der Text, macht sich aber selbst ohnmächtig und kann sich nicht entwickeln.“

Tabubruch von Tingler

Phillip Tingler sagte, er möchte das Format nutzen und Nora Gomringer und Lydia Haider eine Frage stellen: „Welches Anliegen verfolgt der Text?“ Haider antwortete, das sei die Frage an die Jury, sie habe viele Erklärungsmöglichkeiten. Winkels warf ein, die Jury sei dazu da, die Frage zu beantworten. Tingler redete weiter und wollte, die Autorin solle antworten. Es kam zu einem nicht verfolgbaren Schlagabtausch. Tingler meinte, laut den Regeln des Bewerbs könne sich der Autor einbringen.

Winkels warf ein, man könne sie einbeziehen aber doch nicht zu Beginn die Autorin nach dem Zweck des Textes fragen.

ORF Theater mit Jury
ORF/Johannes Puch

„Jury würde ja eingeschränkt“

Gomringer, die den Text eingeladen hatte, sagte, das würde doch die Jury einschränken, wenn die Autorin den Text für sie einordnet. Sie habe vorab mit der Autorin gesprochen. Sie verstehe ihren Text als Kampfansage. Gomringer habe die Autorin beim Wort genommen: „Es ist der große Gruuß“, das kenne man vom Yoga. „Hier auch, es ist ein Sprachexerzitium." Sie halte es nicht für beendet mit dem Splattertum, sondern Für etwas Grässlicheres. Der Schluss sei eindeutig, wenn man nicht Komplize werde, gehe es dem Leser an den Kragen. Es sei Nazisprache, das Auslöschen, das Aus-Enden.

Wilke: Von Fantasie zu Massenmord

Insa Wilke fand es gar nicht schwierig, was der Text wolle. Man könne zwei Antworten finden – hier werde mit Tiermetapher eine Strategie gezeigt, die von den Nazis komme und die man in Neurechten Kreisen wiedererlebe, man komme von der Fantasie zum Massenmord, von den Tieren zum Menschen. Die andere Antwort sei, dass genau das parodiert werden solle. Da beiße sich der Hund in den Schwanz.

Lydia Herbst Lesung
ORF/Johannes Puch

Klaus Kastberger machten zwei Punkte stutzig: Dass selbst Insa Wilke kaum etwas Gutes am Text finde. Und dass er selbst damit nichts anfangen könne, er möge auch keine Hunde. „Ich kenne mich beim Wiener Aktionismus ziemlich gut aus und weiß, wie Wiener Hausmeisterinnen sprechen. Der Text sei völlig überinstrumentalisiert mit riesigem rethorischem Aufwand.

„Wozu betreibt er all diesen Aufwand?“ Vielleicht eine Wutrede, aber wen adressiere er? Beim Vortrag sei ihm nicht klar gewesen, wer spreche. „Mich hat es überhaupt nicht betroffen, obwohl ich die Hintergründe rechter Propaganda sehe.“ Er hätte sich gewünscht, der Text treffe ihn. „An mir ist er vorbei gegangen“.

Philipp Tingler
ORF/Johannes Puch
Philipp Tingler

Schwens-Harrant schätzte den Vortrag

Brigitte Schwens-Harrant sagte, einiges davon sei ihr auch durch den Kopf gegangen. Sie habe gespannt auf die Lesung gewartet, sie habe schon mehrere Töne gehört. „Wie Machtsprache donnern und auftrumpfen kann, aber auch das Persuasive, das leise Teuflische“, das sei in der Lesung toll rübergekommen. Aber es hätten auch andere Sätze sein könne. Der Text habe einen hohen Grad an Künstlichkeit. Dadurch bekomme er auch eine Distanz, er nehme die Provokation des Themas weg.

Wiederstein verstand Text nach Lesung neu

Michael Wiederstein meinte, die Lesung habe den Text für ihn erst aufgeschlossen. Die verschiedenen Stimmlagen seien ihm beim Lesen zuhause nicht aufgefallen. Jetzt finde er es subtil eingewoben, „beim Vorlesen fließen die Stimmlagen des Extremismus ineinander über“. Der lange Satz mache dann auch Sinn. Es gebe „Einflüsterung und Goebbelsgekreische“. Auf den Zuhörer werde Druck ausgeübt, wenn Du nicht mitmachst, bist Du auch dran, das sei gut herausgekommen.

Tingler warf ein, es sei immer ein bisschen problematisch, wenn die Qualität eines Textes vom Vortrag abhänge. Er finde auch nicht, dass man stark involviert werde. Er finde, es habe etwas von einer psychotischen Person, die Gehässigkeit habe etwas Tatenloses. Zum Vokabular sagte er, das Wort „Arschlochschuhe“ finde er super, das treffe seine Stimmung.

Gomringer brach Lanze für Hausmeister

Gomringer meinte, sie finde es schwierig, dass immer das Lesen irritiert aufgefasst werde. Durch die Lesung füge man ja nicht mehr Inhalt dazu, sie sei „entsetzt“, dass man nicht erkenne, dass es beobachtende Wesen wie Hausmeister gebe, die als Botschafter oder Überträger auf Posten stehen, ganz wie in der Serie „Lindenstraße“.

Es gehe um ein kleines Kind, das von einem Hund gerissen werde, auf das eine Racheaktion folge. Dass diese Rache eine Menschenauslöschaktion ankündigen möchte, fand sie „kunstvoll“. Die Distanz der Sprache mache das noch kühler.

Lydia Haider mit Fanclub
ORF/Johannes Puch
Haider mit Fanclub

Nachfrage in der Jury

Spontan sagte Kastberger, er habe nicht verstanden, warum Gomringer „entsetzt“ sei. Gomringer antwortet, das habe sich darauf bezogen, dass der Hausmeister in der Diskussion so abgetan werde. Kastberger sagte, er habe lange überlegt, wer da im Text spreche. Die Annäherung von Wiederstein finde er wunderbar, wie in einem Juror ein Erkenntnisprozess vor sich gehe. „So schön wie heuer haben AutorInnen beim Bachmanpreis noch nie gesungen“, müsste er das bewerten, wäre er überfordert, so Kastberger. Er hätte sich etwas Musik im Text gewünscht.

Hubert Winkels meinte, ob man voneinander lernen und einen Erkenntnisprozess herstelle, sei eine Sache, die andere sei aber, dass man durch einen Vortrag eine neue Sicht auf einen Text bekomme. Das gehöre sei einigen Jahren in Klagenfurt dazu, vorher war das ja lange tabu. „Da sind wir in den letzten Jahren ein Stück weitergekommen.“

Haider meldete sich, zwischendurch, umgeben von lautstarken Freunden und Fans, zu Wort und las aus einem Buch, was man aber nicht verstehen konnte.

Kastberger sagte darauf, vielleicht gehe der Text im Jubel unter.