Lesung Katja Schönherr
ZDF/SRF/ORF/3sat
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Jurydiskussion Katja Schönherr

Katja Schönherr las auf Einladung von Philipp Tingler den Text „Ziva“ über eine Frau, die davon überzeugt ist, mit 43 zu sterben. Ein Zoobesuch und ein Affenhaus mit der Äffin Ziva werden zur Fluchtmöglichkeit aus ihrer Ehe. Die Jury fühlte sich unterhalten.

Phillip Tingler hatte die Autorin eingeladen und machte den Anfang. Was ihn fasziniere, sei die feine Subversion der unzuverlässigen Erzählerin. Man lese und komme drauf, halt, irgendwas stimme nicht mit der Mutterfigur, die ihrer Egozentrik und Besessenheit alles unterordne. „Wo die Wirklichkeit sich in ihrer ganzen Ambivalenz zeigt.“ Der Text funktioniere in verschiedenen Ebenen, es gebe die Beziehungsebene, ein Paar, sprachlos, empathielos. Und die Ebene der Gesellschaft, die vor dem Affenhaus stehe und sich nicht einigen könne, was auf einem Stück Pappe zu lesen sei. „Jeder liest, was er lesen will, eine großartige Metapher.“

Insa Wilke sagte, es sei keine unzuverlässige Erzählerin, sondern man habe es mit einer Doppelbödigkeit zu tun, wie der Text gebaut sei. Die Erzählerin sagte genau, was sie meine. „Es ist eine amüsante Geschichte“, die Borniertheit der Menschen, der Widerspruch in dem, was gesagt werde und was gemeint sei.

Winkels erinnert an Ephraim Kishon

Tingler erwiderte, er insistiere auf die Unzuverlässigkeit der Erzählerin, weil sie behaupte, das Interesse der Tochter zu berücksichtigen. Man merke aber, das stimme nicht, sie ordne alles dem 43er-Schicksal unter.

Winkels sagte, nichts bisher Gesagtes sei falsch. Es erinnere an die Satiren von Ephraim Kishon. Die Frau habe eine Besessenheit mit ihrem Sterbedatum, sie verbinde die fixe Idee mit der 43 mit der Tatsache, ein Wesen der Fantasie zu sein. Die Satire zeigt sich darin, dass sie sich in einen Affen verwandle durch das Affenkostüm. „Ich finde es im Anspruch etwas bescheiden.“

Schwens-Harrant vom Ernst irritiert

Brigitte Schwens-Harrant meinte, sie würde eher von einer beschränkten Perspektive sprechen. Die Beziehungsebene komme gar nicht vor. Vieles sei erklärt und auserzählt, die Leerstelle, die bleibe sei der Spruch auf der Pappe im Affenhaus. Sie sei nicht sicher, ob es mehr oder weniger satirisch sei. Der Ernst der Lesung habe sie irritiert.

Klaus Kastberger meinte, ihm gefalle der Text deshalb, weil man ihn als 1:1 Allegorie auf diesen Bewerb lesen könne. Leute um einen Käfig herum, der ein Schild nach oben halte. Man erfahre nicht, was auf dem Schild stehe, aber alles interpretieren etwas. Dass ausgerechnet Tingler einen Text nominiere, in dessen Zentrum ein Rätsel stehe… Vielleicht sei das auch eine kleine Kritik, die Texte nicht vorab zu lesen.

Tingler sagte zu Kastberger, er sei positiv Überrascht, dass er die anderen überrascht habe. Er wolle die Allegorie zum Bachmannpreis nicht bringe, sehe sie aber ebenfalls. Er freue sich, dass Unterhaltsamkeit geschätzt werde.

„Text bewahrt ein Geheimnis“

Michael Wiederstein sah ein Vexierspiel und kam wieder auf die Vertrauenswürdigkeit der Erzählerin zurück. Man wisse nicht, ob diese Frau in der Ehe eingesperrt sei, denn dieser Alexander trete nur selten in Erscheinung. Sie gehen in den Zoo und der eingesperrte Affe sei das handlungsführende Element, der Text bewahre aber ein großes Geheimnis.

Insa Wilke würde gerne abseits des Bewerbs einmal mit Tingler über das „konventionelle Feuilleton“ diskutieren, was das eigentlich sei. Einfache Geschichten können witzig sein.

Kastberger meinte, man nehme heuer viel Bezug auf den Bachmannpreis. Schon einmal sei es um einen Affentext beim Bachmannpreis gegangen, bei Teresa Präauer 2015. Heuer sei es nicht der beste Affentext, aber er war Ok.

Tingler sagte dazu, er fände es schön, wenn man über den vorliegenden Text und nicht andere Texte und Leute sprechen könnte. Das Kriterium der Unterhaltsamkeit komme gut an, das finde er „super“.

Warum Unterhaltsamkeit ausschildern?

Winkels sagte, warum müsse man das Kriterium Unterhaltsamkeit immer benennen? Das sage der Texte selbst, er brauche kein Schild mit der Aufschrift „Unterhaltung“. Es brauche keine Trennung von Ernst und Unterhaltung. Tingler meinte, damit meine er nicht, dass man sich auf die Schenkel schlage vor Lachen. Unterhaltsamkeit sei keine Langeweile. Man habe die Zeiten von Marcel Reich-Ranicki hinter sich, als es hieß, der Text langweile einen und damit war er vernichtet.

Affenkostüm als Eheprüfung

Nora Gomringer habe die Prüfung gut gefallen, ob der Mann in das Affenkostüm steige oder nicht. Sie suche ein Leitbild, um aus der Ehe herauszukommen. Sie habe gedacht, das sei eine Geschichte darüber, wie befreiend der Tod sein könnte. Aber es sei zu einfach.

Tingler stellte die Einfachheit in Frage – der Tod mit 43 sei für die Erzählerin keine ausgemacht Sache sondern ihre Fixierung. Objektive Instanzen meinen, sie müsse sich keine Sorgen machen, aber sie sei besessen. So einfach sei es also nicht.