Lesung Laura Freudenthaler
WDW Film
WDW Film

TEXT Laura Freudenthaler, A

Laura Freudenthaler liest auf Einladung von Brigitte Schwens-Harrant den Text „Der heißeste Sommer“. Sie finden hier einen Auszug und einen Link zum gesamten Text als .pdf.

Der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen ist mein schweigsamster. Ich sitze auf der Holzbank vor dem hinteren Tor und warte. Die Wunden an meinen Lippen heilen langsam. Das hintere Tor geht auf eine Wiese hinaus, darauf eine Trauerweide, eine Rotbuche und einige Kiefern, dann beginnt das Unterholz, in einiger Entfernung der Wald. Rechterhand ein Graben, jenseits davon Äcker, die Hügelketten, hinter denen die Sonne untergeht. Die Maus hat sich erstmals am zweiten Tag gezeigt und rasch begriffen, dass von mir keine Gefahr droht. Ihr Erdloch ist nur einen Schritt von meinen Füßen entfernt. Es unterscheidet sich von den anderen, es führt schräg in die Erde, über eine Art Vorhof. Manchmal kann ich den Bewegungen der Maus folgen. Als fahre ein leichter Wind hie und da ins Gras. Einmal springt sie unvermutet hoch in die Luft, dreht sich, landet und ist weg. Ich höre mein Lachen im selben Moment, in dem ich das Blut schmecke. Die Lippe ist an der Naht aufgerissen. Unvermeidlich, hat die Ärztin gesagt. Wenn ich lange genug reglos, mit leicht geöffneten Lippen, auf der Bank vor dem Tor sitze, vergesse ich es bisweilen. Bis ich die Zunge bewege, um die trockenen Lippen zu befeuchten, und an die harten Operationsfäden gerate. Sobald ich den Mund schließe, spüre ich die Schwellungen wieder. Selten passiert es, dass ich mit der Hand unbeabsichtigt die Krusten berühre. Ich habe schnell neue Reflexe entwickelt. Nicht zu lachen. Der Taxifahrer, der mich vom Krankenhaus in die Wohnung fuhr, sagte: Schlechter Mann? Es war keine Frage. Ich war unfreundlich. Erst am nächsten Tag begriff ich, dass ich nicht lächeln kann. Hier habe ich wenig mit Menschen zu tun. In dem Geschäft im Ort haben sie sich an mein Gesicht gewöhnt, mittlerweile behandeln sie mich auch freundlich. Vermutlich sind Gerüchte im Umlauf, die Mitleid nahelegen. Selten sieht man jemanden auf der Straße gehen. Die Leute fahren in ihren Autos und halten die Fenster geschlossen, wegen der Klimaanlagen. Ich grüße mit Handzeichen, wenn ich Bauern begegne, die hoch oben auf ihren Maschinen über die Felder fahren. Im Radio wird stündlich durchgesagt, körperliche Anstrengung im Freien sei zu vermeiden. Auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr sei zu achten. Offenbar geschwächten Personen sei Hilfe zu leisten. Andere Spaziergänger treffe ich nicht.