Lesung Mario Wurmitzer
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Jurydiskussion Mario Wurmitzer, A

Mario Wurmitzer liest auf Einladung von Philipp Tingler den Text „Das Tiny House ist abgebrannt. Der Ich-Erzähler wird von einer Firma engagiert, in einem Tiny House zu wohnen und sich dabei filmen zu lassen, um potenzielle Kunden anzuziehen.

Die Kameras ignoriert der Protagonist, der an einem Buch über Rainald Goetz schreibt. (Goetz sorgte 1983 beim Bachmannpreis in Klagenfurt für Aufsehen, weil er sich während der Lesung mit einer Rasierklinge die Stirn aufschnitt und das Blut auf seinen Text tropfen ließ, Anm.) Sein Freund Maxim findet den Einzug in das kleine Haus nicht gut, ihn stören die Kameras, wenn er zu Besuch kommt. Auch Rainald Goetz soll zu Besuch kommen, doch weder Maxim noch Goetz kommen. Eines Tages brennt es in der Musterhaussiedlung – Brandstiftung. Als der Erzähler eines Tages beim Joggen ist, brennt auch sein Tiny House. Statt gekündigt zu werden baut die Firma ein noch kleineres Tiny House, in das der Protagonist einzieht, wieder von Kameras beobachtet. Aus dem Tiny House wird ein Baumhaus, der Erzähler wird krank, schaltet die Kameras aus und wird aus dem Baumhaus geworfen.

Klaus Kastberger und Mara Delius
ORF/Johannes Puch
Klaus Kastberger und Mara Delius

Mara Delius sieht „kontrollierte Coolness“

Mara Delius eröffnete die Diskussion damit, dass der Text aufgrund einer „kontrollierten Coolness in der Erzählhaltung“ stark gemacht werde. „Wir haben hier eine Form von Kapitalismuskritik, aber in witzig“. Es werde eine Arbeitswelt „mit einer Hölle von Kundenberaterinnen und Produktmanagerinnen“ geschildert. Das Ich könne nur noch das Profitcenter seiner selbst sein. Bis hin zu dem Satz „Wer sich Sorgen macht, muss weg“. Es gebe auch interessante Überblendungen. So gebe es ein Zitat von Rainald Goetz aus dem Jahr 1983 („Denn alles alles geht uns an“) – das nun so übersetzt werde: „Alles ist ein Produkt, wenn du daran glaubst, dass alles ein Produkt sein kann.“

Klaus Kastberger: „Wunderbar leichter und kluger Text“

Klaus Kastberger bemerkte, dass „es hier offenbar überhaupt keine leichten Aufgaben gibt. Aber es gibt wunderbar leichte und trotzdem kluge Texte. Einen haben wir hier erlebt. Ich hätte den Text auch in der engsten Auswahl gehabt, und ich freue mich sehr, dass er hier ist.“ Er habe den Text gut gefunden, weil er sich auch auf die Situation hier „zurechtbiegen“ ließe. „Der Text macht Aussagen über uns alle und er trifft eine Wahrheit, über die man nicht hinwegsehen kann“, so Kastberger.

Insa Wilke, Thomas Strässle und Philipp Tingler
ORF/Johannes Puch
Insa Wilke und Thomas Strässle

Für Thomas Strässle „grundsympathischer Text“

Thomas Strässle: „Ein humorvoller Text, ein grundsympathischer Text, ein uneitler Text, ein leichter Text. Es Robert-Walsert sehr“, sagte Strässle in Anlehnung an den Schweizer Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts. Es gebe nur „leichte Plausibilitätslücken“ in dem Text.

Insa Wilke sagte, sie könne sich nur „allen anschließen“. Sie fand den Text sehr lustig und unterhaltsam, "gleichzeitig auch kritisch“. Das fehle ihr oft bei komischen Texten. Die Frage, die sich dabei stellen würde, sei, „braucht ein solcher Text eine Grenzüberschreitung, damit es darüber hinausgeht, damit es eine Irritation gibt, damit wir uns nicht einfach zurücklehnen und sagen, wir haben verstanden, was wir vorher schon wussten.“

Philipp Tingler: „Zündet er die Häuser an?“

Philipp Tingler sagte, es sei schon „sehr viel Interessantes gesagt worden“. Man habe es hier mit einem „unzuverlässigen Erzähler“ zu tun. Die Dynamik beginne mit der Brandstiftung Der Erzähler deute an, es gebe „ein Quäntchen Unwägbarkeiten“ bei ihm. „Wir stellen uns irgendwann die Frage: Zündet er vielleicht die Häuser an? Wir wissen es nicht“, meinte Tingler. Es könne am Ende eine „kafkaeske Stimmung“ wahrgenommen, sagte Tingler, wobei er anmerkte, dass er das Wort „kafkaesk“ nicht leiden könne.

Philipp Tingler
ORF/Johannes Puch
Philipp Tingler

Er wolle darauf auch hinweisen, dass der Text nicht bloß als Kritik an neokapitalistischen Funktionsweisen zu verstehen sei, sondern dass auch sehr prägnante Kritik „an diesem Dogma von Mental Health geübt wird.“ Es gehe um die Ausweitung von klinischen Begriffen auf Alltagsphänomene, „sodass am Ende alle irgendwie ein Trauma haben. Ich finde, das macht der Text großartig“.

Mithu Sanyal fühlt sich befriedigt

Mithu Sanyal: „Ich habe das Gefühl, das ist ein Text, der alles macht, was er verspricht. Ich werde dabei sehr befriedigt. Was der Text macht, macht er super. Ich kann nur sagen: Mag ich die Sorte Text oder mag ich sie nicht. Mir fehlt nur etwas: Ich kann keinen emotionalen Kontakt zu den Figuren herstellen. Es ist aber letztlich alles stimmig. Es ist ein Text, an dem ich nichts auszusetzen habe.“

Mithu Sanyal
ORF/Johannes Puch
Mithu Sanyal

Brigitte Schwens-Harrant scherzte: „Man darf nur gespannt sein, ob der Autor danach in den Garten randalieren geht.“ Gelächter im Publikum. „Das würde jetzt Spaß machen.“ Sie selbst habe beim ersten Lesen des Textes an den Bewerb denken müssen. „Dass auch hier oft der Wunsch auftaucht, man könnte die Kameras abdrehen, aber Vertrag ist Vertrag.“ Wieder Gelächter.

Thema der dauernden Öffentlichkeit

Ein starkes Thema in dem Text sei „dieses ständige Öffentlich-sein. Das ist ja auch etwas, was mit unserem Leben etwas macht“, so Schwens-Harrant. Dies könne hier auch als Kapitalismuskritik zu sehen. „Daher kann jeder etwas mit diesem Text anfangen kann.“ Wenn sie sich noch eine Schärfung im Text wünschen würde, „dann denke ich, dass man aus der Marketingsprache noch mehr hätte machen können.“ Sie werde in dem vorliegenden Text „nur harmlos“ angedeutet.

Brigitte Schwens-Harrant
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Brigitte Schwens Harrant

Kastberger sieht nachhaltigen Text

Klaus Kastberger wollte noch hinterfragen, "ob es wirklich so ist, dass die Text, die bierernst bei der Sache sind, ob das die sind, die die wirkungsmächtigsten sind. Gerade die Texte, die unbedingt wirken wollen, verpuffen manchmal völlig. Ich würde gerade bei dem Text sagen, dass er ein sehr nachhaltiger ist und dass er konsumierbar ist und dass er das Publikum sucht und dass das Publikum etwas mit ihm anfangen sein. Also ich würde die automatisch vorausgesetzten Voraussetzungen hinterfragen.“

Insa Wilke fand, dass ihre Worte von Teilen ihren Jurykollegen umgedreht worden seien: „Ich nehme jetzt meinen Hammer und gehe zu den Marketingleuten und randaliere." Marius Delius hatte das Schlusswort: „Damit wir uns alle beruhigen, gucken Sie sich doch den allerletzten Satz an: Die Musterhaussiedlung im Rücken, schaue ich hoch zu den Sternen."