Jacinta Nandi
ORF/Johannes Puch
ORF/Johannes Puch

TEXT Jacinta Nandi, UK/D

Jacinta Nandi liest auf Einladung von Mithu Sanyal den Text „Wenn ich eine Zeitmaschine hätte“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf. Der Download und die Nutzung der Texte darf lediglich zu Privatzwecken erfolgen.

Sie läuft mit ihrem Sohn, sieben Jahre alt, am Teich im Volkspark. Er redet pausenlos über Minecraft und sie denkt nach über ihren neuen Liebhaber, der nicht wirklich ein Liebhaber ist, denn sie haben noch nicht gefickt. Ihr neuer Liebhaber ist reich, gebildet, Engländer: er ist einer dieser reichen Engländer, die mit echten Jobs und Geld und so, die nach dem Brexit nach Neukölln gezogen sind. Sie respektiert ihn sehr dafür, dass er es im ersten Pandemiejahr geschafft hat, dass das Neuköllner Jobcenter seine Miete bezahlt – so eine teure Miete – so eine schöne Wohnung – Altbau, Parkett, Dielen, all die Dinge, die man haben soll. Sie war nur einmal drin, er hat eine Freundin, die im Home-Office arbeitet, es ist keine wilde Affäre, es ist fast langweilig, wenn ihr Mann weg ist und das Kind in der Schule, und seine Freundin viel zu tun hat und er wenig, treffen sie sich in Cafés und Parks und knutschen wie Teenager. Nur einmal sind sie ins Hotel gegangen. Wo sollen sie sich sonst treffen, um zu ficken? Er hat diese nette Freundin , die im Home Office arbeitet. Und bei ihr in der Wohnung können sie sich nicht treffen, denn sie kennt alle ihre Nachbar*innen beim Vornamen, sogar die, die unten leben und sie wegen Lärm verklagen wollen.
Einmal Hotel – einmal nur – dann hat er ihr die Muschi geleckt – man sagt auf Englisch Muschi essen – die Engländer sind romantisch, deswegen, und die Deutschen fantasielos. Deswegen. Lecken. So fantasielos. Essen sollst du, denkt sie.

Solange kein Sperma im Spiel ist, ist sie nicht fremdgegangen, das weiß sie. Juristisch und auch spirituell, gar nicht fremdgegangen, im Gegenteil eigentlich, treu geblieben. Das weiß sie ganz sicher. Wahrscheinlich. Na ja, eigentlich egal, in Deutschland darfst du fremdgehen, oder?, nicht wie in England, der, der fremdgegangen ist, wird bestraft bei einer Scheidung. Auch romantisch, irgendwie, von den Engländern, und fantasielos von den Deutschen. Was ist knutschen eigentlich? Knutschen ist gar nichts. Knutschen ist eigentlich küssen, und küssen kann man mit Fremden, sogar wenn man in, zum Beispiel, der Modebranche arbeitet. Was ist knutschen, knutschen ist gar nichts, die Pandemie ist vorbei – fast vorbei, korrigiert sie sich – eigentlich vorbei, korrigiert sie sich nochmal – knutschen ist erlaubt. Es war verboten, damals, im ersten Pandemiejahr, oder? Du durftest nicht knutschen mit Fremden. Damals.

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