Valeria Gordeev
ORF/Johannes Puch
ORF/Johannes Puch

TEXT Valeria Gordeev, D

Valeria Gordeev liest auf Einladung von Insa Wilke den Text „ER PUTZT“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf. Der Download und die Nutzung der Texte darf lediglich zu Privatzwecken erfolgen.

ER PUTZT. Putzt die Spüle, putzt den Abfluss, nimmt das Abflusssieb heraus und reinigt die Unterseite des Abflusssiebs. Er schraubt das Abflusssieb auseinander, hebt den Gummiring an und entfernt den faulig darunter hervorkriechenden Schmutzrand. Auch den Gummiring reinigt er, indem er ihn mit Essig besprüht und beidseitig mit Zellstofftüchern abtupft (den Essigreiniger hat er selber hergestellt: aus Essigessenz, destilliertem Wasser und ein paar Tropfen japanischem Minzöl, das Minzöl ist sein Markenzeichen), dann steckt er die Teile wieder zusammen und verweilt einen Moment mit dem nun wieder einwandfrei sauberen, trockenpoliert funkelnden Abflusssieb in der Hand. Als nächstes wendet er sich den Ablaufschlitzen zu: fünf vertikale, am oberen Spülbeckenrand angesiedelte, nur wenige Millimeter breite Ausstanzungen, die das Becken vor dem Überlaufen schützen sollen. Weil die Spüle nur selten bis zu diesem Wasserstand gefüllt wird, sammelt sich dort hinter den Schlitzen immer besonders viel ungestört vor sich hin modernder Dreck. Wenn es nach ihm ginge, würde er Edelstahlscheuermilch verwenden. Er hat sich vorgenommen, nicht nur die Spüle zu säubern, sondern auch alle anderen aus Edelstahl gefertigten Oberflächen in und außerhalb der Küche an diesem Wochenende wieder zum Glänzen zu bringen, sie zu säubern, zu pflegen, aufzuarbeiten, mithilfe der Scheuermilch, die keine gewöhnliche Scheuermilch ist, sondern im Grunde eine Politur (es ist erstaunlich, wie nachlässig und selten Gegenstände des täglichen Gebrauchs im Allgemeinen gereinigt werden, sobald sie aus Edelstahl bestehen). Schon während des Vormittagsseminars hatte er angefangen, die Wohnung, die nicht seine ist, in Gedanken nach in Frage kommenden Gegenständen zu durchforsten, nach Töpfen und Kannen, Klinken, Gehäusen, doch jemand – seine Mutter – musste das Fläschchen umgestoßen und den Inhalt über dem Boden des Spülschranks verteilt haben. Das heißt, erst hat sie die Flasche herausgenommen, sie geöffnet, einen kritischen Blick darauf geworfen, und sie dann nicht wieder richtig verschlossen, muss er annehmen. Diese Faulheit beim Zuschrauben von Deckeln, ein Segen für die Menschheit, würde sie endlich lernen, Deckel richtig zuzuschrauben – das Öffnen ist ihr gerade noch zuzumuten, das Zuschrauben jedoch übersteigt ihre Kräfte –, das Ergebnis: eine Lache, eingetrocknet, die sich über die ganze Fläche des Spülschranks verteilt, Lappen und Schwämme verklebt und auch alle anderen dort abgestellten Spezialreinigerflaschen in Mitleidenschaft gezogen hat, eine Sauerei.

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