Lesung Timon Karl Kaleyta
ORF/Johannes Puch
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Jurydiskussion Timon Karl Kaleyta

Der Text von Timon Karl Kaleyta war auf Einladung Michael Wiederstein in Klagenfurt. „Mein Freund am See“ dreht sich um den arglosen Julian, der an einem See wohnt und ein altes Sportboot aus DDR-Zeiten restaurierte. Sein Freund begleitet ihn oft auf Ausfahrten am See und ist zugleich fasziniert als auch neidisch.

Der Ich-Erzähler beschreibt seinen Freund Julian, dessen Familie nach der Enteignung in der DDR ein Landgut an einem See wiederbekam. Julian zog in eine der vielen Wohneinheiten, kaufte ein Boot und restaurierte es selbst. Die Freunde fahren auf den See hinaus. Der Erzähler sinniert, ob es möglich wäre, den Freund zu töten, indem er ihn vom Schwimmen im See einfach nicht mehr an Bord ließe, wie in einem Film, den er gesehen hatte.

TDDL 2021 Timon Karl Kaleyta Diskussion

Kastberger: „Das ist Julian, Julian hat ein schönes Boot.“

Klaus Kastberger meldete sich zuerst, weil ihm bei der Lesung erst klar wurde, woher er den Erzähltstil kenne. Die Sprache erinnere ihn an die Sendung mit der Maus. „Da ist Julian, Julian hat ein schönes Boot.“ „Seltsamerweise stört mich das hier überhaupt nicht“, so Kastberger. Das Stilmittel sei perfekt geeignet, den Rahmen von 25 Minuten zu füllen. Der Spanungsbogen werde durch die Entwicklung der Bösartigkeit und das Auftauchen der Mordgedanken erfüllt, das gefalle ihm „wahnsinnig gut“.

Klaus Kastberger
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Klaus Kastberger

Vom Inhalt komme er zu der Annahme es sei „der kleine Gatsby“, so Kastberger. „Der kleine Gatsby schildert in der Sprache der Sendung mit der Maus, das hat mich sehr unterhalten“.

Erzählter verharrt in Unmündigkeit

Für Insa Wilke habe der Text Parallelen zu Leander Steinkopfs Text. Der Text habe eine erzählerisch kluge Variante, es gebe einen Erzähler, der nicht aus „seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit heraustritt“. Der Text wippe „leichtfüßig und haarlos“ herum, so Wilke. Der Autor habe es nicht nötig seine Belesenheit auszustellen, sie sei aber enorm wichtig für „das Lauernde“ des Textes. Es gebe viele Textebenen, die im Untergrund lauern.

Insa Wilke
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Insa Wilke

Man könnte sagen, der Text erzähle von sozialer Ungerechtigkeit, sie glaube aber, es gehe um etwas anderes, nämlich um die Gewalt, die daraus resultiere, dass jemand selbst verschuldet unmündig bleibe. Die Bewegung des Textes wiederhole die Gewalt. Wilke sagte, sie sei sich nicht sicher, ob sie es gut oder schlecht finde und ob das gerade der Clou des Textes sei, dass er die Leserschaft mit etwas konfrontiere, was eigentlich pure Gewalt in einem naiven Kostüm sei.

Tingler: Text flach wie der See

Philipp Tingler fand den Text „so mittel“, es bleibe nach den 25 Minuten nicht viel übrig. Zuweilen finde er den Text so flach „wie den See, der darin vorkommt, aber eben nicht tiefblau und dunkel, sondern wie der kritisierte Bergsee, dem man immer schon auf den Grund sehen kann“. Der Text habe eine totale Immanenz, der Text weise auf nichts hin, das nicht schon in ihm selbst expliziert werde. Es werde eine Art von unzuverlässigem Erzähler konstruiert und dann plötzlich habe der Autor den Charakter zu einem prototypisch autoritären Charakter gewendet, der so stark aufgetragen werde, dass er „satirisch karikierende Züge bekommt“. Er sehe keine einheitliche Erzählhaltung, es habe keine Nachhaltigkeit.

Wilke konterte Tingler

Für Wilke habe Tingler genau das beschrieben, was sie das „Gewaltvolle“ nenne. Der naive Erzähler vom Anfang steigere sich in diesen Gewaltrausch. Das wäre großartig, wenn der Ton des naiven Erzählers durchgehalten worden wäre, antwortete Tingler. Für Wilke entwickle sich der Ton zu einer rasanten Steigerung, für Tingler sei das keine Entwicklung, sondern ein „Umkippen“ in eine drastische Autoritätsfixierung. Für ihn wäre es eleganter gewesen, wenn das schon vorher mal gelegentlich aufgeblitzt wäre, schlagartig finde er nicht gut.

Brigitte Schwens Harrant
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Brigitte Schwens-Harrant

Schwens-Harrant störte explizite Gewaltfantasie

Brigitte Schwens-Harrant meinte, das sei etwas, was vom Autor als erzähltechnisches Kalkül eingeplant wurde. Sie störte eher, dass die Gewaltfantasien im Text so expliziert wurden, dass die „Swimming-pool-Szene“ hinzukomme, diesen deutlichen Verweis habe sie nicht gebraucht. Die Erzählperspektive werde für sie im Vergleich zu anderen Texten wirklich gut durchgehalten. Auch die scheinbare Naivität, wo man erahne, dass sie doch nicht so naiv sei, sondern eine Aggressivität dahinter lauere, das sei für sie kein Widerspruch und gerade gut.

Der Text „plätschere“ am Anfang so dahin, was absichtlich so sei, das sei die Oberfläche, wo man nicht reinschauen könne und erkennen, was darunter sei. Gerade was das Böse betreffe, das auf einmal von irgendwo herkomme, mit dem allen spiele der Autor, wie sie finde sehr gekonnt.

Vea Kaiser
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Vea Kaiser

Kaiser wollte nichts schönreden

Vea Kaiser atmete vor ihrer Kritik laut ein und expliziert danach, dass sie gerade lerne, mit wie viel Wohlwollen man sich Dinge schönreden könne. Das könne sie „leider“ nicht. Sie habe das Problem, dass die Sprache überhaupt nicht mit der Behauptung „eines Studiums und diesem elaborierten Film-Noir-Geschmack einhergeht“. Sie verstehe nicht, ob es um eine besondere Freundschaft gehe oder ob der Erzähler ein weiterer dieser „Sommer-Nutznießer“ sei, die er so kritisiere. Sie verstehe auch nicht, wo der Konflikt herkomme und warum es ihm nicht gut gehe und er neidig auf Julian sei.

Die vielen Partikel im Text hätten sie rasend gemacht, sie möge die Sendung mit der Maus, aber auch weil, sie keine Kurzgeschichte sei. Sie fand den Text und dessen Beschreibungen handwerklich „wahnsinnig, wahnsinnig arm“, so Kaiser.

Mara Delius mit ambivalentem Verhältnis

Mara Delius sagte, sie habe ein ähnlich ambivalentes Verhältnis zu Kaleytas Text wie Philipp Tingler, jedoch aus anderen Gründen. Der Text folge einem klaren Begriff und habe eine eigene „Oberflächenspannung“. Es gehöre zu Selbstbild des Protagonisten, dass er im Grunde immer sehr genau über sich selbst Bescheid wisse und sich in anderen spiegele. Delius las die Geschichte als eine Parabel auf eine verunsicherte Männlichkeit, als eine Sehnsuchtssuche nach dem Eins werden mit Julian, der quasi sein Alter Ego sei.

Ihr sei es beim Lesen anders als Insa Wilke gegangen, sie finde, dass aus der Gewalt im Text nicht besonders viel gemacht werde.

Mara Delius
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Mara Delius

„Woher kommt die plötzliche Aggressivität?“

Klaus Kastberger fragte sich, woher die Aggression komme, die plötzlich im Text auftauche. Die sachliche Ebene werde ab da nicht mehr durchgehalten. Einer der Gründe sei selbstreflexiv, weil der Protagonist Julian vorwerfe, dass es mit ihm „keine gescheiten Geschichten gebe, keine Verhaftungen, kein Drama“, so Kastberger. Dem Protagonisten gehe es nicht um das Erbe, falls er Julian ermorde, sondern darum, etwas erzählen zu können.

Boote in der Literatur

Für Michael Wiederstein wies allein schon die Bootssituation auf die Gewalt hin. Wenn in der Literatur ein Boot ablege, dann komme es oftmals nur mit einer Person oder alleine zurück. Kastberger habe Recht, wenn der Erzähler plötzlich feststelle, dass nichts passiere, dann „klickt die Sicherung bei ihm raus“. Dann habe man es tatsächlich mit einem „schamlosen, abgrundtief bösen, brutalen und gleichzeitig verstörend heiteren Psychogramm von einem Wohlstandsverwahrlosten zu tun“, so Wiederstein.

Michael Wiederstein bei Diskussion
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Martin Wiederstein

Das sei nicht besonders subtil und gekonnt literarisch umgesetzt, erwiderte Tingler, der das Boot längst untergegangen sah. Das entlockte Michael Wiederstein ein klares „Nein“.