Hanna Herbst
ZDF/SRF/ORF/3sat
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Jurydiskussion Hanna Herbst

Die deutsch-österreichische Journalistin und Autorin Hanna Herbst las den Text „Es wird einmal“, eingeladen von Insa Wilke. Die Jury war sich nicht sicher, ob sie vorgeführt werde, ob die Autorin ein Experiment mit dem Text bezweckte. Es war auch unklar, in welchem Verhältnis die beiden Figuren zueinander stehen.

Hubert Winkels sagte zu Beginn, er habe den Text gerne gelesen und gerne zugehört. Es sei die Erinnerungsreise einer Tochter. Er schätze die Art, wie sie sich dem Vater über die Erzählform annähere. Im ersten Teil gebe es Episoden, Erinnerungen an von anderen Personen Erzähltes. Zwischendurch Einschübe der Gegenwart. Eigentlich sei es ein distanziertes Spiel mit der Zeit, das Vergehen, die Sterblichkeit mit Bewegung in die Zukunft.

Dieser Teil besteche dadurch, dass es komplizierter werde, dem Gehalt des Sprechens zu folgen. Die Sprache werde immer distanzierter. Im zweiten Teil falle dies immer mehr weg, es gebe dann die „Du“-Form mit dem Vater. Hier bekomme er Probleme mit dem Text, er spüre, dass die Außenwelt fehle. „Da ist keine Mutter, da ist kein Freund, kein Kontext, es ist reduziert auf eine Blase zwischen den beiden.“ Das sei ihm zu eng und zu kompakt.

TDDL 2020 Videoporträt Hanna Herbst
ORF/Johannes Puch
Hanna Herbst hört der Jury zu

Sind es wirklich Vater und Tochter?

Klaus Kastberger fragte Winkels, „woher nimmst Du die Sicherheit, dass es ein Vater ist? Das habe ich nicht herausgelesen.“ Winkels meinte, die Frage sei gut. Er habe das als selbstverständlich getroffen, weil die Figur eine lange Geschichte hat. Es gebe Indizien, aber es stehe nicht da.
Michael Wiederstein sagte, es stehe „Ich habe einmal einen Vater gekannt…“, aber für Kastberger sei das kein Beweis dafür, dass es im Text um einen Vater gehe. Kastberger sagte, die Frage sei damit beantwortet, es gebe keinen Beweis.

Wilke: Geschenk an die Leser

Insa Wilka meinte, die Texte von Helga Schubert und Hanna Herbst seien Geschenke, die sie dem Publikum weitergeben wollte. Die Bewegung der Intensivierung bei Herbst habe ihr gut gefallen, es sei erstaunlich wie sie das in einem Text hinkriege, der aus einem Mosaik von Geschichten handle. „Mich hat der Text durch seine Großzügigkeit beeindruckt. Er lässt Luft für Vorstellung, es gebe viele Rätsel. Er ist offen durch den Anfang des Vorstellungskonjunktiv.“ Die menschliche Großzügigkeit werde gezeigt durch zwei Menschen, die einander nahe sind und voneinander lernen. Der Mensch, der gestorben sei, werde in seinen Schwächen akzeptiert, auch wenn er eine Nervensäge war. Es sei in schmerzlicher Prozess, wenn aus einer Beziehung Erinnerung werde.

TDDL 2020 Jurydiskussion Tag 2
ORF/Johannes Puch
Dir Jury stritt am zweiten Tag weniger

Tingler vermutet Experiment

Philipp Tingler sagte, er sei nicht sicher, ob Hanna Herbst nicht ein Experiment mit allen mache. Die Autorin sei sehr amüsiert, wenn das wirklich so sei. Wenn man sich auf den Text einlasse, finde er auch, dass relativ wenig von der emotionalen Befindlichkeit der inneren Welt gezeigt werde. Ein Talent der Autorin sei die feine Pointe, das zeige sich im Filmporträt und auch im Text.

„Autorin zeichnet phantastische Bilder“

Michael Wiederstein sagte es sei ein großes Talent der Autorin, phantastische Bilder zu zeichnen. Es gehe um einen Vater, das zeige sich in dem Satz „Der Mensch warst Du“. Am Schluss denkt man, das sei der perfekte Schluss, und dann komme doch noch einmal etwas Neues.
Klaus Kastberger freute sich, dass man in Zürich lachen könne. Er nahm Bezug auf das Video, mit Leichtigkeit und Lockerheit, die Autorin könne auch singen.

Die Idee mit dem Experiment könne er sich auch vorstellen. Am Beginn habe er sich gefragt, warum der oder die Erzähler/in wie Yoda aus Starwars mit seltsamen Satzverdrehungen sprechen müsse. Er bliebe gerne bei der Vorstellung, dass es nicht um Vater oder Tochter gehe, sondern um einen älteren und einen jüngeren Menschen, die nicht verwandt seien. Während der Lektüre habe er gedacht, etwas dränge ihn stark zu dem Text, was er hoch interessant finde und dann auch wieder stark distanziere. Er fand zuerst, es sei ein Sterbehilfetext, da sie am See sitzen und der Text Bezug auf den Zürichsee nehme. Zürich als Mekka des Sterbetourismus.

Insa Wilke: „Es steckt eine Spielaufforderung in dem Text.“ Es endet mit dem Satz: „Jetzt weiß ich mehr als Du“, das sei eine Herausforderung. In der Lesung habe die Autorin den Fokus auf Abschied gesetzt, es gebe aber Humor im Text. Sie fände es brutal, wenn es hier um ein Experiment gehe und die Leser vorgeführt werden. „Das tut dieser Text nicht“.

„Andere Art der Künstlerbiografie“

Nora Gomringer sagte, Hanna Herbst wisse um die Intimitäten eines Künstlerlebens, sie stelle das im Text auch dar. Es gehe um einen exzentrischen Maler und eine Landschaft um Geschichten mit einem Eremiten. „Ich fand das eine andere Art der Künstlerbiografie.“ Geschichten werden als Träger von Information und intimem Wissen transportiert.

Lesung Hanna Herbst
ORF/Johannes Puch

Brigitte Schwens-Harran fing noch einmal am Anfang an, wo es ums Erzählen gehe. Die beiden reden nicht übereinander, sondern nur über andere, es gebe auch skurrile Episoden. Durch Satzbau und Wiederholungen werde der Tod verschoben, wie bei Scheherazade. „Ich finde, das hält der Text aber nicht durch“. Die Verbindung der Menschen funktioniere nicht. Im zweiten Teil arbeiten manche Sätze mit Abstraktion und durchschneiden das Erzählerische. Sie stören manche Sätze, das sei oft so „na no nanet“. Sie habe im zweiten Teil etwas vermisst und frage die Jurykollegen, ob sie das auch so sehen.

Wiederstein: Verlust wird nicht gezeigt

Michael Wiederstein sagte, es gehe offenbar um Verlust. Doch die Stilmittel seien nicht im Stande, den Verlust zu zeigen. „Wenn das Verlust zeigen soll, muss das mehr Leerstellen haben und nicht eine Pointe auf die nächste folgen.“

Insa Wilke meinte, es gehe um Abschiednehmen, doch der Text bringe auch Verunsicherung hinein.

Winkels: Der Hinweis auf ein mögliches Spiel oder Experiment habe seinen Blick auf den Text verändert. „Diese Ambivalenz zwischen dem Gegenstand und der Form haben wir gut herausgerarbeitet, ohne sie festmachen zu können.“ Tingler sagte, Ambivalenz sei ein super Wort, um den Text zu beschreiben. Der Text arbeite mit großartigen Bildern und Formulieren, habe aber auch krasse Klischees. Diese extreme Gefälle habe er bisher nicht feststellen können.

Die Autorin verzichtete auf ein Schlusswort, doch noch am selben Abend produzierte sie ein Video in der Art ihres Portraits mit ihrer Antwort.