Hanna Herbst
ZDF/SRF/ORF/3sat
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TEXT Hanna Herbst, D/A

Hanna Herbst liest auf Einladung von Insa Wilke den Text „Es wird einmal“. Sie finden hier einen Auszug und einen Link zum gesamten Text als .pdf.

Es beginne in einem Moment der Angst. Du und ich an einem See, an einem dunkelroten Tag im Herbst.

Du hast erzählt die Geschichte von einem Menschen, der einem Fisch seine Taucherausrüstung gab, weil der Fisch noch am Leben hing und der Mensch nicht. Ich habe erzählt die Geschichte von einem Mann, der sagte, er habe noch nie ein ganzes Buch gelesen, und die einer Frau, die sagte, sie gehe nur Yoga machen wegen der fünf Minuten, die sie am Ende in Ruhe daliegen könne. Du hast erzählt die Geschichte von jemandem, der immer Urlaub machte im Nichts: 115.000 Schilling für zwei Wochen im künstlichen Koma, weil er am Strand einfach immer zu viel nachdenken musste.

Ich habe noch nie gehört die Geschichte: von einem alten Menschen mit einem jungen Hund. Es gibt nicht viele Wahrheiten, aber hier sind zwei: Jeder alte Mensch hat einen alten Hund. Und: Der Rückweg ist immer kürzer als der Hinweg. Und noch eine: Jede Vorgeschichte ist länger als ihre Nachgeschichte.

Ich habe dir erzählt von einer Frau, die wollte stets glücklich sein und tapfer und gerecht und gut, aber es fiel ihr so schwer. Du hast mir erzählt die Geschichte eines Pessimisten, dem gute Dinge passierten, die nicht gut waren, weil er Pessimist war. Und ich dir die vom alten Säufer, der, wenn die Bar leer war, die Feuerwehr rief, um nicht alleine trinken zu müssen. Und von dem Schriftsteller, der bei Banalitäten einen physischen Horror verspürte, und nur den Momenten und Gefühlen nachging, die er für beschreibenswert hielt. Vom für verrückt Erklärten, der sich aus dem 4. Stock hatte fallen lassen, nur um zu wissen, wie es sich anfühlt, unverletzt überlebte, es aber nie wieder tat, weil gut hatte es sich nicht angefühlt. Über ihn hätte der Schriftsteller gewiss gerne geschrieben, aber er hat ihn nicht gekannt.

Du hattest dein Akkordeon dabei, von dem du nur die linke Seite zu spielen ge-lernt hast. Du hast mir darauf vorgespielt, „schön“, hab ich gesagt, und ich hab es so gemeint. Und du hattest deine Mundharmonika dabei, auf der du nie richtig spielen gelernt hast, du hast es trotzdem versucht, ich hab nicht „schön“ gesagt, aber es war ehrlich.

Du hast erzählt die Geschichte einer Frau, die Seefahrer liebte, weil sie aus Salz-burg kam. Und erzählt von den dünnen Armen eines Kindes, das die Mutter im Krieg oft nachts in einem Boot über den See schickte, um beim Bauern einen Kraut-kopf zu stehlen, weil das Essen nicht reichte. Das solche Angst vor dem schwarzen Wasser hatte, dass es so tat, als habe es nur ganz wenig Hunger.

Ich habe gefragt, ob du dich erinnerst an die Geschichte der Mutter, die ganz über-raschend am Vortag der Hochzeit ihres Sohnes einen beinahe Unbekannten heiratete und am kommenden Tag im Hochzeitskleid zur Hochzeit ihres Sohnes kam und sag-te, sie hätte es einfach nicht mehr geschafft, sich umzuziehen. Du hast gelacht mit einem staubigen Lachen, wie von Geröll verschüttet, „kann ich“, hast du gesagt. Konntest du.