TDDL 2020: Lesung Leonhard Hieronymi
ORF/Johannes Puch
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Jurydiskussion Leonhard Hieronymi

Leonhard Hieronymi las auf Einladung von Michael Wiederstein den Text „Über uns, Luzifer“, der bei der Jury nicht gut ankam. Drei junge Männer auf einer Reise auf den Spuren Ovids mit viele EU-Kritik und Kritik an einer hohlen Erinnerungskultur.

Insa Wilke fand es schön, dass dieser Text nach dem von Lisa Krusche folge. Hieronymi arbeite mit einer konservativen Ästhetik, die Ablehnung der Moderne, das Spüren statt Verstehen. Das Spüren funktioniere ganz gut, weil die leeren Zeichen ein Gefühl des Unheimlichen hervorrufen. Es gebe die Reise im Raum und die Reise in der Geschichte, damit arbeite er. Sie fühlt sich an Fellini und Pasolini erinnert.

Tingler will weniger schreien

Philipp Tingler: „Ich bin von meiner besseren Hälfte gebeten worden, weniger zu schreien“, damit wolle er anfangen. Er gebe Insa Wilke in vielem Recht, nicht in allem. Im Text gebe es keine Ironie.

Hubert Winkels sagte, Ironie habe er nicht, aber er habe eine Energie der Verwerfungen. Es gehe offenbar um die Idee von Europa und behauptete Größe. Das könne man nur ahnen. Das Verworfene sei eine Form der Wahrnehmung, es gebe keine Reise in die Geschichte. Es gebe nur Ruinen, er verstehe nicht, warum diese Reise zu den Gräbern interessant sei. Er erkenne keinen Erkenntniswillen im Text.

Insa Wilke meinte, der Erkenntniswille sei genau das, was er kritisiere. Literatur als Erkenntnismittel. „Wir reisen alle zu den Gräbern der Literaten, das tun wir in unserem Alltag.“ Er habe eine große ironische Distanz zu dem, was im Literaturbetrieb Bedeutung habe.

Kastberger: Hält Ton nicht durch

Klaus Kastberger sagte, er sei zu 99 Prozent der Meinung von Tingler und würgte gleich einen angesetzten Zwischenruf desselben ab. Man könnte das ja alles für seltsam halten, dass sich die rich kids in der Armut suhlen. Das Manifest der Ultraromantik finde er als Basis schon ganz gut, er sehe den Text auch nicht als ganz ironiefrei. Dass da ein Goldzahn aufblinke, dass im Titel Luzifer genannt werde, das seien forcierte romantisch-ironische Mittel, die übertreiben werden. Die unglaublichen Ungenauigkeiten würde er da noch akzeptieren. „Was mich stört ist, er hält den Ton nicht durch“.

Moderator mit Jury
ORF/Johannes Puch
Moderator Ankowitsch mit der Jury. Oben links Klaus Kastberger, oben rechts Insa Wilke, Mitte links Nora Gomringer, Mitte rechts Hubert Winkels, links unten Michael Wiederstein, rechts unten Brigitte Schwens-Harrant, ganz unten Philipp Tingler

Gomringer stellt Fragen

Nora Gomringer sagte, bei Frau Ramadan haben manche gesagt, es sei ein Blick auf eine Generation. Vielleicht ist das hier genauso, fragte sie sich. Vielleicht sind die drei jungen Männer auf der Suche, vielleicht sei es aber ein Stunt. Ein Autor, der sagt, er stehe auf Stunts, stehe auf Pseudobewegungen. „Ich fand es spannend und erhellend in der Zeit, wo man sich Sorgen um die EU machen muss, dass sie zerbricht wie Ovids Roms.

Tingler sagte, er sei der Auffassung von Gomringer. Ein Übermaß an Attitüde oder Gewolltsein mache sich bemerkbar. „Eine unterschiedliche, mittelmäßige geistige Durchdringung“. Die zeitgeschichtlichen Bezüge reichen ihm nicht. Das nenne er Mittelmaß im Handwerk. Das lasse den Text am eigenen Anspruch scheitern.

Wiederstein wollte über die Form reden

Michael Wiederstein wollte drei Schritte zurück gehen. Über die Form sei gar nicht geredet worden. Die literarische Reisereportage suggeriere, das habe so stattgefunden. Der Ich-Erzähler soll für realen Hintergrund sorgen, doch das sei nicht der Fall. Sie sitzen vor einem KFC in einer Mall und reden über Europa, das sei absurd. Sie finden dasselbe Constanta wie Ovid, doch nur Ovid behauptete, er sei dort gewesen. Es sei eine Kritik an einer hohlen Erinnerungskultur. Tingler sagte, Wiederstein mache als Kritiker die Arbeit des Autors.

Insa Wilke sagte, sie finde die Arbeit der Lesenden gehöre auch zum Text, nicht nur die Arbeit des Autors. Sie habe von einer konservativen Ästhetik geredet. In Richtung Tingler sagte sie, das sei kein mittelmäßiges Handwerk, er sei gut gearbeitet, auch wenn sie für einen anderen Literaturstil stehe.

Leonhard Hieronymi
ZDF/SRF/ORF/3sat

Kastberger: Text verbindet Ebenen nicht

Kastberger sagte, es gebe Texte, die werden immer besser, je länger die Diskussion dauere, dieser Text werde immer schlechter. Es spreche für Philipp Tingler, wenn er sage, der Text schaffe es nicht, die beiden Ebenen zu verbinden. Die ultraromantische Ebene auf Spuren von Ovid und die politisch-gegenwärtige Ebene mit der EU. Ein Text, der mutig wäre, würde sich etwas zutrauen, er traue auch dem Leser zu wenig zu. „Warum muss der Autor erklären, dass ein Cut kommt, das hätten wir schon verstanden.“

Brigitte Schwens-Harrant meinte, handwerklich sei nicht alles in Ordnung. Wie Inhaltliches in die Geschichte verwoben werde, da könne man etwas daran arbeiten. „Ich habe den Text mehrfach gelesen, eine Frage, die eine Rolle spielt, wenn ich beim ersten Mal lesen lache, auf wessen Kosten lache ich.