LIsa Krusche
ZDF/SRF/ORF/3sat
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Jurydiskussion Lisa Krusche

Lisa Krusche las auf Einladung von Klaus Kastberger den Text „Für bestimmte Welten kämpfen und gegen andere“. Eine dystopische Welt und Bilder eines Computerspiels, die Lob aber auch Kritik erntete. Vor allem Philipp Tingler sprach gegen den Text.

Insa Wilke zeigte sich vom „Mut des Textes“ beeindruckt. Das Pathos werde durch die Figur der Judith gebrochen. Es gehe darum, Ursprungsdenken zu verneinen und eine Daseinsform in andere Weise vorzustellen, unter anderem durch Symbiose und Verwandlungen. „Krusche nimmt die Fäden auf und verwandelt sie.“ Die Symbiose zwischen Judith und Camille sei aufgebrochen. Judith ist die Kriegerin, Camille sucht. Es führe in eine widersprüchliche Komplexität und starke Bildwelt. Die reale Welt eines Schwimmbads werde in eine Vorstellungswelt wie Blade Runner verwandelt. „Es ist aber nicht so düster wie Blade Runner.“

Referenzen aus der Mythologie

Hubert Winkels schloss sich an und verwies auf die Richtigkeit von Wilkes Referenzen auf die Mythologie. Anders wäre der Text nicht zu lesen, der Text greife in die Fülle von Transspezies. Man könne es auch nach den „Phantastischen Tierwesen“ lesen nach J.K. Rowlings. Das Besondere sei, die Mythologie werde auf Computerspielwelten übertragen. Mit den Avataren und Bots wiederhole sich das Spiel der Verwandlung, der Symbiose. „Ich frage, ob das ausreicht“.

Lisa Krusche hört der Jurydiskussion zu
ORF/Johannes Puch
Lisa Krusche hörte der Livediskussion zu

Philipp Tingler sagte, er wolle hier anknüpfen. Es stelle kein Kompliment an einen Text dar, wenn man sage, er wäre ohne Referenzen nicht zu lesen. Der Text sei ein Missverhältnis von Substanz und Präsentation. Er sehe oberflächliche Bilder, die Ästhetik des Konsums. „Worum geht es hier eigentlich in zwei Sätzen?“

„Was sind die Gründe für den Aufbruch in eine Revolution“, gab Winkels die Antwort.

Wiederstein sieht ein Computerspiel

Michael Wiederstein sagte, Judith sei offensichtlich die einzige Überlebende einer großen Katastrophe. Sie tut zwar so, als ob sie sich verstecken müsste, aber es seien nur Drohnen da. Auch er sah einen Verweis auf die Computerspielwelt – „Ich glaube, das Vorbild des Settings ist das PC-Spiel ‚the last of us‘. Bilder kommen direkt aus diesem Spiel, wie das dunkle Hochhaus. Es sei „verdammt schwierig“, ein Computerspiel zu erklären, hier verzettle sich der Text. „Die interessante Sache, da gibt das Spiel über das Verhältnis zwischen Judith und Camille seien Bots und Avataren.“ Die computergenerierten Bots seien die einzigen, die handeln und reden, die von Menschen gesteuerten Avatarare seien verschwunden.

Das Studio mit Moderator Christian Ankowitsch
ORF/Johannes Puch
Die Jury diskutierte auch von der Ferne heftig

"Sehr gut gearbeitet

Brigitte Schwens-Harrant sagte, der Text sei sehr sehr gut gearbeitet. Natur und Postzivilisation vermischen sich, das ist „sehr gut gemacht“. Der Bild auf die erste Seite belegt, dass gründlich gearbeitet werde. Tingler sprach dazwischen, es gebe ein Missverhältnis und er sehe Kitsch.

Insa Wilke sagte, die Handlung sei sehr klar. Es gebe eine Frau in einer Welt, breche sie auf oder nicht. „Ich finde es nicht schwierig, die Frames zu sehen, die sie aufbaut.“ Es gebe Ruinen einer einst schönen Welt und eine Welt voller Müll und dazwischen eine Welt der Wünsche. Der Text nehme das mit den Denken ernst und stelle Fragen, statt Antworten zu geben. Tingler habe Recht, dass man nicht nur auf Referenzen verweisen könne. Der Text funktioniere aber auch ohne Referenzen.

Lesung Lisa Krusche
ORF/Johannes Puch
Lesung Krusche

Nora Gomringer sprach von Gamer fiction, das Hineinerzählen in dieses Computerspiel durch E-Mails baue Distanz auf, auch zwischen den beiden Frauen. „Ich finde es gut nacherzählt, der virtuelle Raum wird zu einem Wartezimmer“. Sie fand es spannend, in der Lesung entwickelte sich eine Zärtlichkeit.

Kastberger will Tingler Welt erklären

Klaus Kastberger sagte zu dem Text, der von ihm eingeladen wurde, in den letzten Jahren hätte es beim Bachmannpreis gar nicht so wenige Texte über dystopische Welten gegeben, in denen Menschen und Pflanzen verschmolzen. „Immer waren es Juroren aus der Schweiz, die diese Welten nicht verstanden haben.“ Tingler warf ein „es interessiert mich nicht“, es sei ein uninteressanter Text. Kastberger sagte, er versuche, ihm den Text zu erklären, auch wenn Tingler das nicht zur Kenntnis nehmen wolle.

„Warum fordert man von Texten immer Handlungen?“. Kastberger wurde nach einer erneuten Unterbrechung Tinglers laut und wirkte genervt. „Was für mich diesen speziellen Text im Vergleich mit anderen dystopischen Zukunftswelten ausmacht, ist die politische Dimension, die er erst nach dem zweiten oder dritten Mal lesen erkannt habe. Der Text bebildere mit der Welt der Biologin Donna Haraway.

Winkels sagte gegenüber Tingler, der Text arbeite mit Referenzen auf Pegasus oder Medusa, man müsse diese Bilder aufrollen. Das sei ein Bilderbuch der griechischen Mythologie, das sei die Form und kein Rätsel. Tingler meinte, das ergebe keinen Sinn.

Wilke wollte ausreden

Wilke bat darum, dass sie nicht gleich nach zwei Sätzen wieder unterbrochen werde. Leser müssen die Bereitschaft mitbringen, sich zu involvieren. Der Text erzähle von großer Sehnsucht und Einsamkeit, das sei ein Risiko, weil er weit gehe, das zu formulieren. Es wundere sie, dass man hier von Zukunftsvisionen spreche, das sei Theorie, wissenschaftliche Praktiken. „Der Text arbeitet mit der jetzigen Zeit, es ist ein Text der Gegenwart.“ Die Ebene der Zeichen formuliere der Text selber, die Crux und Großartigkeit sei, dass man in von vielen Seiten lesen könne. „Man kann nicht sagen, der Text handelt davon und das wars.“

Michael Wiederstein sah darin auch ein Problem. Was man nebenher im Text dargereicht bekomme, sei oft interessanter als das, was erzählt werde. Er verstehe Tingler, der Text sei überfrachtet. Die Liebesgeschichte gehe ein bisschen unter, sie sei begraben unter Schutt und Müll der dystopischen Welt. Der szenische Anfang sei stark, dann verzettle sich der Text, so Wiedersein.