LIsa Krusche
ZDF/SRF/ORF/3sat
ZDF/SRF/ORF/3sat

TEXT Lisa Krusche, D

Lisa Krusche liest auf Einladung von Klaus Kastberger den Text „Für bestimmte Welten kämpfen und gegen andere“. Sie finden hier einen Auszug und einen Link zum gesamten Text als .pdf.

Das Wasser leuchtete grün wie giftige Milch. Es schwappte sämig um Judith herum. Sie lag auf dem Rücken, mitten im Becken, die Arme ausgestreckt. An der Decke flirrten Reflexionen, das erinnerte sie an Videos von Polarlichtern. Es war schön sich vorzustellen, es wären welche, und sich von Melancholie hitten zu lassen. Judith war ganz allein; diese vergessenen Ruinen, die mal ein Schwimmbad waren, Jugendstil, mit Springbrunnen und Schmuck an den Wänden. Goldene Sonnen und steinerne Tiere. Fast alles zerbröckelt. Ein Echsenschwanz war noch da und ein Sonnenstrahl. Es kam einem vor, als wäre die Welt mal ein schöner Ort gewesen. Die Kuppeldecke hatte Löcher und vielleicht strahlten die Reflexionen des Wassers dort hindurch in den Smog. Judith fühlte sich ganz leicht. Sie machte nur Minimalbewegungen, um sich an der Wasseroberfläche zu halten. Ihre Haare und die Algen in der Tiefe bildeten eine Analogie. Manchmal brachte ein Wind das Schilf müde zum Wogen. Efeu und Moos und Farne. Eine Transformation, die die Steine zusehends verschwinden ließ. Ein modriger Geruch, der irgendwie angenehm reintriggert in der Bauchgegend, als würde man jemanden zufällig wiedertreffen, der einem sehr viel bedeutet hat. Hmm, Judith drehte sich und tauchte unter. Kurz war alles richtig. Befreit von den normalen Bedingungen des Körpers. Ruhig, nur Rauschen im Ohr. Was lebt hier, Plankton vielleicht, oder auch, das würde Camille gefallen, Seeanemonen und fluoreszierende Seeschmetterlinge, migriert und mutiert und jetzt dabei, dieses Becken in Beschlag zu nehmen, in dem mal Gruppen alter Menschen mit weißen Badehauben auf und ab hüpften, Schwimmnudeln zwischen den Beinen. Judith streckte die Hände aus. Wenn man doch mit den Tieren unter Wasser über Schallwellen kommunizieren könnte, gelbe Augen und unendlich viel Kraft hätte. Oder es wüchsen einem die Beine zusammen, in einem nachträglichen Schub Sirenomelie. Aber dann wäre man gefangen, ein menschlicher Fisch in einem Becken aus Regenwasser. Wenn die nächste große Trockenperiode kommt, müsste man sich auf schmerzhafte Weise rückübersetzen, was aber scheitern würde. Der nächste Regen würde dann alle Überbleibsel des zerstückelten Kadavers wegspülen. Oder, tja, man hätte jemanden, der einen in einem Rollstuhl bis zum Fluss fährt und von dort würde man durch das saure Wasser zum Meer schwimmen. Weit hinaus, während man das Plastik um einen herum in Bewegung versetzt. Von den Drohnen aus gesehen wäre man ein sich abmühender Punkt im Ozean. Untertauchen. Immer tiefer hinab in die unheimlichen Unterwelten, der Flossenschlag bringt die Gorgonien zum Wehen, immer tiefer hinab, dorthin, wo sich Tränen nicht mehr weinen lassen. Oh Mann, Judith tauchte auf, hustete, schwamm zum Beckenrand und stemmte sich aus dem Wasser. Leitern gab es keine mehr, nur eine steinerne Treppe, aber sie mochte das glitschige Gefühl auf den algigen Stufen nicht. Sie schüttelte sich wie ein Hund statt sich abzutrocknen und zog sich einen schwarzen, übergroßen Kapuzenpullover und eine schwarze, übergroße Hose an. Sie kletterte in einen der Fensterrahmen, schob ein paar lose Holzlatten zur Seite und stieg nach draußen in die heiße Nacht, die erste heiße Nacht nach unendlich vielen Regentagen. Er war nicht mehr da, aber er hatte sich überall manifestiert, in den Gerüchen, in der Stimmung, in den Pfützen und in der Luft, die greifbar zu sein schien und sich sofort an den Körper klebte.