Bachmann und Buch
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Ingeborg Bachmann. Und Jetzt?!

Ingeborg Bachmanns Todestag jährt sich heuer zum 50. Mal. Aber welchen Einfluss hat ihr Denken und Schreiben auf heutige Autorinnen? Die Bachmann sei „ein Vorbild als kämpferische Frau“ meint Literaturkritikerin Daniela Strigl. Einfluss auf heutige Autorinnen ortet Germanistin Doris Moser aber auch in der Bachmannschen Sprachskepsis.

„Natürlich haben wir nicht per se eine politische Macht mit dem Schreiben. Ich denke also nicht, dass Texte über den Klimawandel den Klimawandel beeinflussen. Ich glaube aber auch nicht, dass keine Macht zu haben bedeutet, keine Verantwortung zu haben“, sagt Autorin Tara Meister. Sie ist in Liebenfels/Kärnten aufgewachsen, Jahrgang 1997 und studiert derzeit am Leipziger Literaturinstitut. Die Autorin (und angehende Frauenärztin) sagt von sich selbst, dass Ingeborg Bachmann großen Einfluss auf ihr Schreiben und ihr Selbstverständnis als Autorin genommen hat. Umgekehrt fehlten weibliche Vorbilder für Frauen in vielen Bereichen der Gesellschaft.

Tara Meister: „Weibliche Vorbilder für uns Frauen fehlen“

Auf ihr Verhältnis zu Ingeborg Bachmann angesprochen, sagt Tara Meister: „Ingeborg Bachmann zu lesen hat für mich eine große Rolle gespielt. Ja, gerade Malina war für mich vielleicht die intensivste Leseerfahrung in meinem Leben. Es ist ein ganz wichtiges Buch für mich und ich hatte beim Lesen das Gefühl von so einer sehr starken Dringlichkeit“.

Tara Meister mit Plüsch-Vulva
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Tara Meister, Autorin und angehende Frauenärztin, mit Plüsch-Vulva. Sie ist Mitglied der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, die sich für niederschwellige Verhütung für Abtreibungen einsetzt und Mitglied der IPF – der International Planned Parenthood Federation.

Ingeborg Bachmann spiele für sie, als Frau, die damals auch keine Vorbilder hatte und als schreibende Frau außerhalb von „bürgerlichen Konventionen wie Ehe und Familie“ gelebt hat, eine Rolle als Vorbild. Tara Meister: „Natürlich profitiere auch ich davon, dass sie Vorbild für andere war, die dann wieder Vorbilder für mich geworden sind. Und ich glaube, dass dieses Wort Vorbild schon ein wichtiges ist, weil weibliche Vorbilder für Frauen in so vielen Bereichen unserer Gesellschaft fehlen und das aber so einen starken Einfluss darauf hat, ob wir uns in Rollen sehen und uns das für uns selbst vorstellen können.“

Die Stadt „K“
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Die Stadt K.- in ihr hat Ingeborg Bachmann der Stadt Klagenfurt ein literarisches Denkmal gesetzt.

„Misstrauen gegenüber Phrasen auch heute anzutreffen“

Auch 50 Jahre nach ihrem Tod nimmt die Bachmann Einfluss auf die Literatur von Frauen, ist Doris Moser, Germanistin an der Universität Klagenfurt, überzeugt. Denn Ingeborg Bachmann sei eine kanonische Autorin und als solche per se für Autorinnen interessant: „Ingeborg Bachmann hat grundsätzlich einen Einfluss auf die Gegenwartsliteratur und insbesondere auf die Literatur von Frauen, insbesondere in Österreich. Ganz sicher glaube ich zu erkennen, dass die Grundhaltung der Ingeborg Bachmann auch in den folgenden Generationen wieder anzutreffen ist. Das ist eine Sprachskepsis, ein grundlegendes Misstrauen gegenüber all dem, was als Phrase daherkommt im Alltag, in der Alltagssprache, aber unter Umständen auch in anderer literarischer Sprache.“

Vom Unerhörten im Alltäglichen

3sat zeigt nach der Preisvergabe am 2. Juli um 12.15 Uhr unter dem Titel „Ingeborg Bachmann. Vom Unerhörten im Alltäglichen“ eine Dokumentation aus dem Landesstudio Kärnten.

„Sowohl in der Lyrik wie auch in der Prosa“ sei der Einfluss auf die Jungen stark, glaubt auch Literaturkritikerin Daniela Strigl einen Impact auf heutige Autorinnen durch die 1973 verstorbene Ingeborg Bachmann zu erkennen. Das habe vor allem etwas zu tun mit diesem Bild der „kämpferischen Frau“ – „und an die knüpfen vielleicht eher die jungen Autorinnen an, die sich kämpferisch verstehen.“

Das Werk stand für Bachmann an erster Stelle

Die Bachmann sei auf „ihre Art und Weise“ Feministin gewesen, sagt Literaturwissenschaftlerin Irene Fußl-Pidner von der Bachmannforschungsstelle am Mönchsberg über eine „sehr selbstbestimmte“ Ingeborg Bachmann: „Sie hat sich von keinem Mann ihr Leben in irgendeiner Form vorgeben lassen. Und sie hat auch ganz genau gewusst, dass sie sich eigentlich nicht wirklich binden möchte. Die einzige Bindung, die wirklich gut funktioniert hätte – wahrscheinlich – wäre die mit Hans Werner Henze gewesen, weil die beiden einen ganz ähnliche Gewichtung in ihrem Leben hatten, nämlich: Das Werk. Das eigene Werk steht absolut an erster Stelle und erst dann kommt das Leben, erst dann kommen Beziehungen.“

Vorschau auf „Österreich-Bild am Feiertag: Die Fremde(n) Ingeborg Bachmann zum 50. Todestag“

Vorschau auf die Sendung „Österreich-Bild am Feiertag: Die Fremde(n) Ingeborg Bachmann zum 50. Todestag“. Sie war das Gegenbild der deutschen Hausfrau. Erste Medienautorin überhaupt und wurde durch ihren frühen Tod zum Mythos: Ingeborg Bachmann starb, am 17. Oktober 1973 im Alter von nur 47 Jahren, an tödlichen Entzugserscheinungen nach einem Brandunfall in einem Krankenhaus in Rom. Genau 50 Jahre später stellt sich die Frage, wie (sehr) sich die Bedingungen des Schreibens für Frauen verändert haben. Und ob die Literatur der Bachmann noch heute Einfluss auf Autorinnen wie Anna Baar, Lydia Mischkulnig oder Tara Meister nimmt. Diese Sendung ist sieben Tage unter TVthek.orf.at abrufbar.

„Bachmann-Material“ noch bis mindestens 2029

Die Bachmannforschungsstelle am Salzburger Mönchsberg wird noch bis mindestens 2029 an einer Gesamtausgabe der nachgelassenen Werke und Briefe weiterarbeiten – wobei die Forscher auch darüber hinaus gerne weitermachen würden, so Literaturwissenschaftlerin Irene Fußl-Pidner: „Die Salzburger Bachmann Edition ist derzeit bis 2029 so durchgeplant, dass wir pro Jahr zwei Bände herausbringen werden. Das wird noch immer nicht alles sein, was wir aus diesem Nachlass heraus eigentlich gerne publizieren würden. Wir hoffen also, dass wir noch ein paar Bände an die derzeit geplanten Bände anhängen dürfen“.

Im Herbst 2023 wird der Briefwechsel Ingeborg Bachmanns mit Nelly Sachs, Hilde Domin und Marie-Luise Kaschnitz herauskommen – er ist deshalb von Bedeutung, weil darin drei Frauen nach 1945 über ihr eigenes Schreiben schreiben. Irene Fußl-Pidner selbst arbeitet derzeit an einer kommentierten und damit leserfreundlichen Ausgabe des ersten Gedichtbandes, „Die gestundete Zeit“.

Lydia Mischkulnig auf dem Weg zur Bachmann Forschungsstelle am Mönchsberg
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Autorin Lydia Mischkulnig auf dem Weg zu Bachmannforschungsstelle am Mönchsberg, die sie für die Dokumentation "Die Fremde(n)/8.6, 18.25 Uhr ORF2 und 3sat, 2.Juli um 12.15 Uhr, besucht hat.

Der starke Zusammenhang zwischen Leben und Werk bei Ingeborg Bachmann sei anhand der nachgelassenen Briefe, Notizen, Tagebücher und autobiographischen Schriften klar zu erkennen, sagt Fußl-Pidner: „Das ist für uns auch das Spannende für die Salzburger Bachmann Edition, das Leben und Schreiben bei Bachmann sehr eng beieinander liegen.“

Forscherin: „Leben und Werk bei Bachmann sind eins“

Bachmanns „normaler Arbeitsweg“ sei es dann allerdings, das Geschriebene sehr stark „von der Realität zu entkleiden“: „Wir sehen das, wenn wir eine Werk-Genese nachvollziehen, also wenn wir schauen, was sind die ersten Ansätze eines eines Werks? Dann sieht man, dass es oft seinen Ausgang nimmt von etwas Konkreten, das ihr widerfahren ist, das sie erlebt hat. Dann bearbeitet sie das Ganze und am Ende würde man auf dieses private Erleben gar nicht mehr schließen können.“

Darüber hinaus gebe es einige Passagen im Werk der Bachmann, die eins zu eins erlebt worden sein dürften. „Wie Träume, die eins zu eins in ‚Malina‘ eingeflossen sind. Und das sind schon sehr spannende Funde für uns“, so Irene Fußl-Pidner.

Lydia Mischkulnig mit Irene Fußl-Pidner in der Bachmannforschungsstelle am Mönchsberg
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Lydia Mischkulnig und Irene Fußl-Pidner in der Bachmannforschungsstelle am Mönchsberg

Der Frieden ist für Bachmann nur „Fortsetzung des Krieges“

Ingeborg Bachmann erlebt als Jugendliche den Zweiten Weltkrieg in Klagenfurt mit und über-lebt: ein Bombenangriff im Jänner 1944 kostet sie fast das Leben. Es sind Erfahrungen, die sich für ihr Werk als prägend erweisen sollten: Bachmann setzt in mehreren Texten mit der Fortschreibung des Kriegs im Frieden auseinander.

„In Malina heißt es ja auch, die Gesellschaft ist der allergrößte Mord- Schauplatz“, so Literaturkritikerin Daniela Strigl. „Das heißt, dieses Mörderische und dieses Aggressive, das ist etwas, was eine sensible Autorin wie Bachmann im täglichen Umgang der Menschen miteinander beobachtet hat und vor allem im Krieg der Geschlechter. Sie hat aber eben auch ein Gespür für den Krieg gehabt, der die Fortsetzung des Friedens und umgekehrt darstellt, das heißt für die fließenden Übergänge zwischen einer Kriegsrhetorik, einer aggressiven Rhetorik im sozialen Miteinander und dem tatsächlichen Krieg.“

Anna Baar: „Was ist mit unserem Krieg?“

Autorin Anna Baar sieht hier durchaus Parallelen zu heute: „Niemand fragt: Was ist mit dem Krieg in unserer Gesellschaft? Es ist, glaube ich, das, was Ingeborg Bachmann gemeint hat, mit dem Krieg, der fortwirkt in den persönlichsten Bereichen der Menschen. Dass das, was im Außen nicht mehr sein durfte, durch den kollektiven Schock, sich in ein Inneres verlagert hat, wo es einfach nicht mehr so greifbar ist, aber noch immer genauso zerstörerisch. Ich glaube, wir kennen ganz viele Anteile in uns selbst nicht. Unsere Kriegsbereitschaft untereinander und unsere Kriegslust, auch die Lust am Ausrichten, am Niedermachen, am Lächerlich-machen. Das Lächerlich-machen ist ja auch eine sehr gefährliche Waffe.“

Anna Baar
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Laut Anna Baar – sie lebt in Wien und Klagenfurt – kommt man „um Ingeborg Bachmann nicht herum, wenn man in Klagenfurt aufwächst“.

Mit „Utopia“ Literatur zu einer „neuen Sprache“

Die von Bachmann als „neue Sprache“ formulierte Utopie sei noch heute unerreicht, befindet Doris Moser: „Die Frage ist, und das ist wirklich eine offene Frage, ob es der Literatur gelingt, hier eine neue Sprache zu entwickeln oder zumindest diese Sprache, die wir vorfinden, so zu destabilisieren, damit man neu sprechen lernen kann. Also für Bachmann war ja die Sprache immer ein Mittel, auch um so etwas herzustellen wie Menschlichkeit. Und das in allen Facetten. Es ist ein wesentlicher Teil ihrer Literatur. Und ich denke das wir mit Anna Baar, Tara Meister und Lydia Mischkulnig drei Versuche haben, auf ganz unterschiedliche Art mit durchaus unterschiedlichen ästhetischen Mitteln, Ähnliches zu erreichen: Es ist diese kritische Distanz, das Hinterfragen. Und immer aus einer Position der Frau heraus.“

Mischkulnig: Kapitalismus bedroht widerständige Literatur

Für Autorin Lydia Mischkulnig muss die Frage nach Macht & Gewalt in Gesellschaften neu gestellt werden: „Wo steckt sie, wer hat sie, wer benützt sie wie, wer wird wie ausgebeutet?“. Auf den Literaturmarkt umgemünzt, bedinge das ökonomische Ausgeliefertsein im Kapitalismus auch eine erhöhte Konkurrenz unter den Schreibenden.

Mischkulnig: „Wenn man versucht vom Schreiben zu leben, dann hat man einiges für sich zu erkämpfen. Das bedeutet natürlich, dass es mit dem Rückgang der Lesenden schwierig wird für die Schreibenden. Und das erhöht die Konkurrenz – und das ist für die Schreibenden extrem schlecht. Wenn die Solidarität einbricht, dann geht es ja auch nicht mehr um die Literatur und um den literarischen Gewinn und um das, was wir hervorbringen, nämlich enorm viel symbolisches und künstlerisches Kapital und letztlich eine immense Kraft, die für das menschliche Zusammenwirken maßgeblich ist. Das leidet dann darunter, wenn wir dem kapitalistischen Druck unterliegen, der ja in neoliberaler Hinsicht die Literatur auszumerzen gedenkt, weil sie zu widerständig ist.“

Bachmann und Buch
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Doku: Die Fremde(n). Ingeborg Bachmann zum 50. Todestag

Ein Österreichbild aus dem Landesstudio Kärnten zum 50. Todestag der Bachmann beschäftigt sich mit der Fortsetzung des Kriegs im Frieden, mit Macht und Gewalt in Sprache und Gesellschaft: Sind schreibende Frauen noch heute das andere Geschlecht? Wie schwierig ist es für Autorinnen, Orte gesellschaftlich relevanten Sprechens einzunehmen? Und, welche Grenzen setzen der Literaturbetrieb und die sogenannte Marktlogik den weiblichen Stimmen der Gegenwart?

3sat zeigt die Doku unter dem Titel „Ingeborg Bachmann. Vom Unerhörten im Alltäglichen“ als Langfassung nach der Preisvergabe der TddL 2023 am Sonntag, dem 2. Juli, um 12.15 Uhr.