Jayrome C Robinet
ORF/Johannes Puch
ORF/Johannes Puch

TEXT Jayrome C. Robinet, F/D

Jayrome C. Robinet liest auf Einladung von Mithu Sanyal den Text „Sonne in Scherben“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf. Der Download und die Nutzung der Texte darf lediglich zu Privatzwecken erfolgen.

Als ich ein Kind war, dachte ich, Mozzarella sei ein Stück von Mozart. Mozartella. Ein Menuett. Etwas Kammermusikalisches. Dr. Papa, Mama, mein Bruder und einer meiner Körper in der Küche, unser Quartett für Besteck und Glasinstrumente. Musik konnte man also abbeißen und hinunterschlucken. Alles, was ich liebte, wollte ich abbeißen. Meine Eltern, beide Polentakörper, sie, Beine ohne Feinstrumpfhosen, er, müde und den Mund weit geöffnet für das allergrößte Schweineschnitzel, das meine Mutter mit dem Holzhammer flachgeklopft hatte. Er schaltete dann unser Radiogerät mit der klebrigen Dunstpatina ein, drehte den Knopf nach links, nach rechts, auf der Suche nach UKW. Rauschvariationen. Der Empfang war schlecht wegen des Hochhauses direkt gegenüber. Und plötzlich strömte Musik in die Küche. Dr. Papa nickte mit dem Kopf im Takt. Seine Lippen waren dünn, seine Augenbrauen buschig, sein Adamsapfel prominent, und ich fragte mich, ob es ihm weh tun würde, wenn man ihn anfasste, oder ob Papa ihn aus Versehen verschlucken könnte. Mein Vater sang La vie en rose. Aus „Quand il me prend dans ses bras“ wurde: Kennt ihr mein’ Brand mit Zebra / Immer Perle Tuba / Jeweils Lawine in Roose. „Ich sing’ Joghurt“, grinste er. Erdbeerjoghurt.“ Er sang Quatsch. Wortmatsch. Und ich sagte mir, dass der Kloß im Hals dann wohl eine Erdbeere war.

Am besten war es, wenn die Musik unerwartet eine Pause machte und Dr. Papa plötzlich innehielt, als spielten wir Ochs am Berg. Jedes Mal musste ich lachen, als wäre es das erste Mal – wie hatte Papa bloß die Pause vorhergesehen? Wusste er einfach alles? Wenn der Schlagzeuger seine Sticks gegeneinanderschlug, schlug mein Vater zeitgleich mit seinem Schraubenzieher in die Luft. Dann machte er sich wieder daran, den Toaster oder die Waschmaschine zu reparieren, und ich durfte zuschauen. Ich war seine principessa. Wenn Papa eine Glühbirne auswechselte, hielt ich die schwere Leiter fest, tief überzeugt von der Bedeutung meiner Aufgabe. Ich sorgte dafür, dass Papa nicht herunterfiel. Ich war fasziniert von all den Dingen, die mein Vater machte: das Licht, das mit der neuen Birne wieder anging, klick, hell, der Toaster, der wieder Röstduft und Brotscheiben auswarf, klong. In diesen Augenblicken war ich glücklich. Gleichzeitig hatte ich Angst, mein kleiner Bruder würde groß werden, und dann würde Papa lieber mit ihm, seinem Sohn, basteln. Aber mein Bruder wurde nie groß. Nach dem Unfall hatten Mama und ich wochenlang kein Licht mehr im Flur, weil niemand die kaputte Glühbirne wechseln konnte. Oder vielleicht wollte meine Mutter sie gar nicht wechseln, damit wir jedes Mal an Papa denken konnten, wenn wir den Schalter vergeblich drückten?

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