Laura Leupi
ORF/Johannes Puch
ORF/Johannes Puch

TEXT Laura Leupi, CH

Laura Leupi liest auf Einladung von Thomas Strässle den Text „Das Alphabet der sexualisierten Gewalt“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf. Der Download und die Nutzung der Texte darf lediglich zu Privatzwecken erfolgen.

A steht für Angst, die uns anerzogen wird: Angst vor dem öffentlichen Raum, Angst vor Sex, Angst vor der Nacht, Angst vor dem Fremden, Angst vor der Angst. Die Angst verweist uns zurück an den Herd und den Mann ans Gewehr.
A steht für Alltag.
A steht auch für Anwält*in, anal, Abwärtsspirale, Angela Davis.

Das ist eine Geschichte über einen Raum, der zu Schimmel neigt.

Das ist ein Versuch, Spuren zu hinterlassen.

Das ist ein Versuch ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ich wohne in einer Wohnung in einem Haus ohne Garten, mit einem Balkon und einer Küche und einem Badezimmer und drei Schlafzimmern. Der Nachbar sammelt stinkende Schuhe vor seiner Wohnungstür, und immer, wenn ich nach Hause komme, muss ich mir die Nase zuhalten. Mit zugehaltener Nase klettere ich mühselig die Treppen hoch bis in den obersten Stock. Es kommt vor, dass ich vergesse, die Nase wieder loszulassen, so dass ich noch Stunden später mit zugehaltener Nase in der Küche sitze.

B steht für Brennesseltee.
B steht für Bundesamt für Statistik.

Im Zimmer steht ein Bett. Das Bett ist so gross, dass ich darin versinke und verschwinde. Ich schwimme in den Bettlaken, die wie Bettwellen über mich hereinbrechen. Manchmal ist das Bett auch sehr klein, so klein, dass meine Körperenden über das Bett hinausragen. Ich versuche, meine Körperenden einzuziehen, aber sie kleben am Boden fest. Meine Körpermitte liegt still auf dem Bettlaken, und während ich schlafe, beginnen die Bettwellen zu tanzen. Meine Körperenden tanzen mit, obwohl ich nie tanzen wollte, und später werden sie mich fragen, wie es so weit kommen konnte.
Das hat alles und nichts mit mir zu tun.

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