Sophie Klieeisen
ORF/Johannes Puch
ORF/Johannes Puch

TEXT Sophie Klieeisen, D

Sophie Klieeisen liest auf Einladung von Philipp Tingler den Text „Taube Früchte“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf. Der Download und die Nutzung der Texte darf lediglich zu Privatzwecken erfolgen.

Das Gebäude leuchtete. Seine gelbe Fassade, seine Kupferkuppel, die goldene Kugel auf der Kuppel, die Stadt. Leuchteten. Hinter der goldenen eine zweite Kugel, eine silberne, viel größer, auf einem sehr hohen, hellgrauen, konisch zulaufenden Betonfuß. Mit einem geschlossenen Auge wirkten die Kugeln wie auf einem Planetenschema Sonne und Mond, nur umgekehrt. Geschichtsloses Wetter dazu. Greta querte den Werderschen Markt Richtung Nordosten zur Schleusenbrücke, blieb an der Ecke stehen, den Brückenpfeiler zwischen den Füßen. Komische Stellung. Auf der anderen Seite ich. Ungewöhnlich viele Menschen auf der Straße für die Gegend, eine ganze Gruppe lief mir durchs Bild. Greta war an der Französischen Straße aus der U-Bahn gekommen. Von hinten sofort wiedererkannt. Ihr Gang ließ ihren Oberkörper immer etwas zu sehr nach links und rechts federn. So, wie sie am Geländer lehnte, fiel mein Blick auf die Tafel am Brückenpfeiler neben ihr: ›Die beiden inneren Medaillons schuf Kurt Schumacher, geb. am 6. Mai 1905, ermordet am 22. Dez. 1942. Mitglied der antifaschistischen Widerstandsgruppe Schulze Boysen Harnack.‹ stand darauf. Eins der Medaillons zeigte ein Werder aus dem Jahr 1650, ein Relief der Stadt nach dem Dreißigjährigen Krieg. So gut wie nichts drauf, ein paar Häuser, eine Klosteranlage, eine Schleuse. Den größten Raum beanspruchte eine Freifläche. Auf der steht heute das leuchtende Kuppelgebäude, dachte ich und hob den Kopf. Im Gegenlicht verschmolz die kleine goldene Kugel mit der großen silbernen. Jetzt thronte die auf der Kuppel. Dass ich nicht schon vorher an Greta gedacht hatte. Zum ersten Mal seit langem war ich wieder auf dem alten Parkplatz. Obwohl alles betoniert war, hatte ich den Geruch von nassem Asphalt in der Nase. Immer noch Baustelle. Erdaushübe für Bäume, Sperrgitter für künftige Wege, Kabel für künftige Kameras, meterhohe Eisenstangen, Scheinwerfer an den Spitzen, Boden aus Sand, Gebäude aus Beton, quittegelb, kalt. Leuchtend. Heute rief es zur Eröffnung, nicht nur einmal.

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