Anna Gien
ORF/Johannes Puch
ORF/Johannes Puch

TEXT Anna Gien, D

Anna Gien liest auf Einladung von Mara Delius den Text „EVE SOMMER“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf. Der Download und die Nutzung der Texte darf lediglich zu Privatzwecken erfolgen.

Eintrag vom 01.05.2019

Ich bin außer mir. Ich glaube, das nennt man einen Zusammenbruch. Ich dachte immer, ein Zusammenbruch sei ein Spektakel. Aber man kann sich selbst gar nicht zusehen beim Zusammenbrechen. Man ist ja gar nicht da, man bricht ja gerade zusammen. Ich fühle mich nicht. Ich bin nur halb da. Spüre, dass ich halb da bin. Fühle mich so abgetrennt von allem, schwebe über allem, zwischen allem. Ich spreche mit Dir, wir haben schon vierzigmal gesprochen. Auf einmal ist Dein Gesicht so fremd. Ich weiß nicht, wer Du bist. Wer bin ich eigentlich? Ich bin Eve, Eve, Eve, geboren da und da. Bla, bla.

Eintrag vom 16.03.2020

Zwei Träume zwischen Schlafparalysen. Arbeitende Köpfe fallen herunter. Ich schlafe ein, habe wieder Explosionen, ich höre ein Schnippen im Raum, Dein Körper liegt schwer neben mir und schläft. Ich träume.

Eintrag vom 19.5. 2020

Ich stehe im Wald auf einer Art Hochsitz, der gleichzeitig eine Unterkunft ist und versuche hineinzukommen. Das Gras unten ist hoch. Über der Tür steht in goldenen Lettern etwas auf Hebräisch. Ich sehe mich von außen. Ich glaube, ich habe keinen Schlüssel, jedenfalls versuche ich, das Fenster zu öffnen. Auf einmal höre ich Lärm, sehe Backsteine, die auf den Balkon fliegen. Ich wage einen Blick und sehe, dass Kinder vom Grundstück nebenan (männliche, blonde Kinder) die Steine werfen. Sie brüllen dazu. Ich versuche auszuweichen, nehme das Ganze allerdings nicht so ernst, bis mich ein Stein am Kopf trifft, ich taumle, falle, mir wird schwindlig, ich weiß, dass ich träume aber bin so sehr im Schwinden. Weiß, dass ich sterbe. Ich komme von oben, wie ein Geist. Zwei Mädchen liegen auf einer Wiese, auf einer Picknickdecke. Sie sind sehr jung und tragen weiß-blaue Kleider mit Rüschen und Schleifen. Sie unterhalten sich über etwas, das ich nicht verstehe, sie sind mir fremd. Ich bin wie nicht körperlich da, versuche mich zwischen sie zu drängen, zu verstehen, was sie sagen, sie sehen traurig aus. Ich glaube, die eine weint. Ich komme über sie und drücke ihre jungen Körper an mich, an meine Brust. Ich versuche, sie aufzupäppeln, ich habe Muttergefühle für sie. Die eine schluchzt. Es macht mir Angst, ich weiß, dass ich träume.

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