Jasmin Ramadan
ZDF/SRF/ORF/3sat
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TEXT Jasmin Ramadan, D

Jasmin Ramadan liest auf Einladung von Philipp Tingler einen Auszug aus dem Roman „Ü“. Sie finden hier einen Auszug und einen Link zum gesamten Text als .pdf.

Palisander

Verletzte Frauen konnte Ben nicht ertragen. Sie erinnerten ihn an seine Mutter. Deshalb brachte er verletzte Frauen dazu, ihn zu verlassen.

Dafür reduzierte er alles mehr und mehr. Komplimente, Nachrichten, Interesse, Zuverlässigkeit. Sich. Wenn eine Frau die Situation klären wollte, ihn darüber zu reden drängte, spielte er nicht mit, ging nicht darauf ein, redete stattdessen über politisches Tagesgeschehen, einen aktuellen Krieg, die Ungerechtigkeit der Welt, Wichtiges eben. Er sagte dann, er brauche Zeit und Raum für sich und seine Interessen, er habe nie etwas versprochen, es gebe nichts zu klären, er schulde niemandem was.

Wenn sie heulten, ihre Gesichter anschwollen, die Züge sich krümmten, verging sein letztes Begehren. Frauen versuchten selbst den Verlust des Allerschlechtesten zu vermeiden, weil sie als potentielle Mütter mit universaler Konsequenz absolut und endlos zu lieben bereit waren, was auch immer da auf sie zu kommen möge. Frauen liebten mit größerem Ehrgeiz als Männer, um die Schwangerschaft aushalten zu können, die Geburt, das Leben als Mutter. So waren sie konditioniert und viele Männer nutzten das aus. Ben dachte nur noch in kalkulierter Weise an seine und die Gefühle anderer und er wusste nicht, wie er so geworden war.

Eine Frau hatte er wie verrückt geliebt, geheiratet und alles für sie getan. Doch dann wurde er so verdammt wütend auf Leila, die große Liebe seines Lebens, und diese Wut hörte gar nicht mehr auf nachdem seine Mutter überraschend gestorben und er bald darauf vierzig geworden war.

Da verliebte er sich. In eine sehr junge Frau. Eine, die ihn an gar nichts erinnerte. Er stürzte sich in das Leben nach dem Tod seiner Mutter, legte sich ein neues, schallendes Lachen zu und entschied, dass er jetzt dran sei.
Leila hatte sich einmal bei seiner Mutter für ihn bedankt. Für den empathischen Mann, den sie großgezogen hatte. Er konnte sich kaum mehr an diesen Mann erinnern. Leila vermisste ihn. Das hatte sie oft unter Tränen gesagt, bis sie endlich gegangen war.
Er wollte sich leicht fühlen, einfach leicht, egal, was es bedurfte und egal, ob dabei jemand zu Schaden kam. Das Leben hatte ihn angegriffen und er ließ sich deshalb einen vergoldeten Kettenanhänger anfertigen, der eine Kalaschnikow darstellte. Jeden Tag trug er die Kette gut sichtbar über der Kleidung, weil er sich alles allein hart erkämpft hatte.

Seine Mutter war fort. Und bevor sie fort gestorben war, war sie ihr ganzes Leben über verletzt gewesen. Sein Vater hatte schon vor Bens Geburt angefangen sie zu betrügen und er war die Sorte Mann gewesen, die sich nicht einmal schämte. Seine Mutter hatte oft darüber gesprochen. Sie war bis zu seinem Tod bei ihm geblieben, hatte ihn immer wieder einziehen lassen, obwohl es niemanden glücklich machte. Deshalb wollte Ben, dass Frauen gingen, wenn man sie schlecht behandelte. Ben war Feminist. Noch immer waren zu viele Frauen bereit, sich alles gefallen zu lassen, um zu einem Mann zu gehören. Das war längst nicht mehr zeitgemäß. Ben brachte sie dazu, es zu begreifen.
Wenn auch die mit dem geringsten Selbstwertgefühl endlich genügend Wut aufbrachten, ihre Nachrichten zur Nacht immer weniger wurden und endlich ganz ausblieben, erfüllte es Ben feierlich.
Er ging dann wieder mehr unter Leute, streifte durch Bars, und es begann von neuem. Schon lange lebte er nur noch von Adrenalin und anderen Hormonen. Das Zeug war tückisch, ein trügerischer Ersatz für Glück. Er liebte nicht mehr, er war auf Liebe.

Frauen verliebten sich schnell und heftig in ihn. Er sah gut aus, hielt immer eine gewisse Distanz und weinte bei der dritten Verabredung vor ihnen. Wegen seiner genetisch bedingten Melancholie. So nannte er es. Immer wieder hörte er sich so reden und wusste, nun berührte er die Frauen an ihrer einfachsten Stelle, ihrer Disposition zur Mutter. Bevor er mit ihnen schlief, ließ er sich Zeit, Bedürftigkeit war nicht begehrenswert. Er brachte vieles mit, war eloquent, erfolgreich, sah nordisch aus, war schlank, wusste, was ihm stand und trug immer gute Schuhe.

Er kannte sich mit vielem gut aus, am besten mit Politik. Er fing an zu weinen, wenn er über politische Unruhen sprach. Weil er so mitgerissen war und an Revolution glaubte. Nichts interessierte ihn mehr als das Auflehnen gegen Autoritäten.

Manchmal machte Ben Selfies von seinem tränenüberströmten Gesicht und verschickte sie an verschiedene Frauen. Er schrieb dazu, welche politische Ungerechtigkeit ihn aus der Fassung gebracht hatte. Es war ja nicht mal gelogen. Vielleicht ein wenig überinszeniert. Aber Bilder waren sein Leben. Er arbeitete als Werbefilmregisseur und war zudem Künstler. Mit der Kunst machte er Eindruck, verdiente sich Aufmerksamkeit und Bewunderung, als Regisseur unanständig viel Geld. Meist war ihm alles Einerlei, seit seine Eltern tot waren und weil Leila nichts mehr von ihm hielt.