Jurydiskussion Astrid Sozio

Astrid Sozio las auf Einladung von Juri Steiner den Text „Das verlassenste Land“ über die Paranoia eines Zimmermädchens, das sich selbst fürchtet. Die Jury lehnte den Text und vor allem das oft vorkommende Wort „Negerin“ ab.

Dabei handelt es sich um eine Geschichte mit gegenwartsbezogenem Thema: Ein einfaches, paranoides Zimmermädchen, dessen Tun von den Geistern der Vergangenheit und der Gewohnheit bestimmt wird, verharrt als letzte Person in einem verlassenen Dorf und kümmert sich wie seit jeher unbeirrt um alle Zimmer des Hotels. Sie fürchtet sich vor dem Anderen in Gestalt einer „Negerin“, die sie öfters durch das Fenster beobachtet.

Astrid Sozio

Johannes Puch

Als die Flüchtende ins Hotel eindringt um ihr Handy aufzuladen, verlassen die Ich-Erzählerin jegliche Kräfte des Widerstands. Sie lässt die Fremde gewähren, zieht sich zurück und wird das Gefühl nicht los, nicht mehr alleine zu sein.

Winkels war es „zu wenig“

Juryvorsitzender Hubert Winkels meinte „wir hatten schon mehrere Geschichten, in denen das Fremde eindringt in einen private Welt“. Das entspreche dem Freud’schen Schema mit Gertrud als Überich und der Erzählerin als Ich. Das Es, das Bedrohliche, das Andere, sei hier inkarniert. Dieses Schema habe die Romantik durchgespielt, es so anzuwenden auf die gegenwärtige Situation, „ist mir zu eng, zu wenig. Es ist einfach zu einfach, zu schematisch.“

„Text will literarische Rassismusstudie sein“

Sandra Kegel schloss sich dem an, problematisch sei, dass der Text eine literarische Rassismusstudie sein wolle. „Was der Text will, gelingt nicht, weil die Analysen falsch sind.“ Rassismus werde historisiert und den Alten in die Schuhe geschoben. Dann würde ein Moment von Menschlichkeit auftauchen, was ein Kurzschluss sei, wo Literatur so tue, als wäre die Welt wieder besser. „Das überzeugt mich nicht. Der Text weiß, dass er kommentierungsbedürftig ist.“

„Mich überzeugt Erzählerin nicht“

Hildegard Keller befand, alles sei durchgestaltet in einer Ich-Perspektive und das sei anspruchsvoll. Die Erzählerin scheine eine archaische Figur zu sein. Jedoch urteilte sie: „Mich überzeugt die Erzählerin nicht.“ Es sei unglaubwürdig, dass sie plötzlich so sprechen kann, wie sie spricht, sie kann mehr als drei Worte Englisch und kann zumindest rudimentär übersetzten. Sie sei „eine unzuverlässige Erzählerin, aber die Unzuverlässigkeit ist sprachlich nicht umgesetzt.“ In der Ausdrucksweise der Erzählerin, wenn sie mit dem Mädchen interagiert, fehle die Kontinuität. Die panische Angst der Erzählerin müsse sich Ausdruck verschaffen, jedoch komme es im Text zu schnell zur etwas befremdlichen Zärtlichkeit.

Tag 3

Johannes Puch

"Völlig missglückt

Für Meike Feßmann ist dieser Text völlig missglückt. Uns in diesen Kopf einzuführen, das müsste so „wahnsinnig kritisch gearbeitet sein“. Feßmann fand sogar, man hätte der Autorin davon abraten müssen, diese Geschichte so zu konstruieren.
Stefan Gmünder hingegen hob hervor, der Text sei in dem Sinne gut, dass er „keine Sekunde von seiner Position abweicht“.

Für Klaus Kastberger war die häufige Verwendung des Worts „Neger“ problematisch, im Text komme es dreizehnmal vor, zweimal auch das Wort „Zigeuner“. Das sei Provokation, bei der er aber nicht einschätzen konnte, wozu sie eigentlich diene. Im Fall dieses Texts sei es nicht notwendig. Der Text ist gemacht worden, um etwas an der Welt besser zu machen, aber das sei nicht gelungen. Kastberger fragte auch, an wen sich dieser Text eigentlich wenden würde. Er wisse nicht, in welche Stoßrichtung sich das bewege. Er „sehe da wenig drinnen. Wenn schon das Thema, hätte man es anders arbeiten müssen.“

„Gespaltenes Ich“

Winkels meinte, es gebe nur einen Hinweis darauf, was die Autorin wollte. Die Erzählerin selber sei die ganze Zeit die „Negerin“, aber das gespaltene Ich sei seit der Romantik schon oft durchgespielt worden. Daher sei diese Erzählerin eine aufgesetzte Figur, die nicht mehr greife. „Die Idee ist, wir haben vor uns selber Angst“, so seine Interpretation.

Juri Steiner fand, es sei ein wirklich ein verstörender Versuch, Unausprechlichkeit in ein Bild einzufassen, in eine Form von Sehnsucht nach Kontakt. Die Figur suche nach Kontakt, verstecke sich aber gleichzeitig. Böse Rassistische Ideen würden immer wieder aufgewühlt. Die brutale Kollage generiere etwas Neues, darin sei etwas Aufklärerisches, eine Art von Provokation, mit der man auch im Alltag konfrontiert sei. Es sei einzigartig, dass sich jemand an diese Art von Gewalt heranwagt. Laut Steiner sei eine Form von Metapher und Abstraktionen in diesem Text, die er interessant fand, deshalb habe er ihn nominiert.

Klaus Kastberger

Johannes Puch

„Karma der Stereotypität“

Kastberger meinte dann, es scheine sich trotz aller Ideologien auch was Positives anzukündigen. Er fragte sich aber, ob in einer Fortsetzung alle Freundinnen werden würden. Das sei keine Perspektive, die einen Roman tragen könne. Das wäre eine fürchterliche Art und Weise mit dem Problem umzugehen. Er sei froh, dass die aufklärerische Perspektive nicht im Text vorzufinden sei.

Juri Steiner widersprach noch einmal und meinte, sie sei keine „einfache Hexe“, außerdem würden wir zu wenig über sie wissen. Die einzige Möglichkeit, dass das Leben wieder in die Realität der Erzählerin eintritt, sei nicht so einfach und märchenhaft gezeichnet, sie sei einfach von einem Karma der Stereotypität erfüllt.