Jurydiskussion Silvia Tschui

Die Schweizerin Siliva Tschui las auf Einladung von Nora Gomringer den Text „Der Wod“, in dem es um Nachwehen kindlicher Kriegserfahrung geht, mit Perspektivenwechsel und einfacher Sprache. Die Jury war eher verhalten.

Bei einer Geburtstagsfeier treffen einander zwei Brüder, die augenscheinlich einen Groll gegeneinander hegen. Rückblenden offenbaren die Ursachen ihres schwierigen Verhältnisses. Eine vom Krieg zerrüttete Familie flieht vor dem Feind. Für auf dem Weg erduldete Rückschläge zeichnet der ältere Bruder den jüngeren verantwortlich und lässt ihn nach dem Tod der Mutter bei einem Bauern zurück.

Silvia Tschui

ORF/Johannes Puch

Silvia Tschui

Die dritte Diskussion des ersten Lesetages leitete Hubert Winkels ein. Er habe ein „grundlegendes Problem mit dem Text“, da er das historische Geschehen ausblende und sich zu stark auf die Perspektive der Kinder stütze. Man wisse dennoch, dass die Ostfront immer näher rücke. „Ein klassisches Beispiel dafür, wie man es nicht tun sollte“, befand der Juryvorsitzende.

Kastberger: Beginn wie Kinderbuch

Klaus Kastberger empfand den Beginn des Texts als rhythmisiert, der Ton habe ihm zunächst ganz gut gefallen. Er beginne wie ein Kinderbuch, funktioniere bis zu einem gewissen Punkt, an dem vom Krieg die Rede sei, gut. Jedoch sei die Sprache nicht an das Geschehen angepasst. In der Lesung seien bewusst Emotionen reingebracht worden. Entweder solle man den Text kühl halten, oder nicht, aber da „gibt es eine Inadäquatheit dem Thema gegenüber“.

Diskussion Tschui

ORF/Johannes Puch

Hildegard Keller

Für Hildegard Keller war nicht ganz klar, was das Thema sei. Sie erklärte, es sei eine Kain-und-Abel Geschichte mit Weltkriegskontext. Das serielle Erzählen ermögliche, die Brüder tatsächlich zu sehen, was ihr gefalle. Der Wod sei ein Märchenelement, aber an und für sich würde sie der Text an Simplicius Simplicissimus erinnern. Es sei nicht ganz klar, aus welcher Perspektive erzählt werde. Aber es sei der Versuch, Vorgänge zu schildern, die sich Kindern darstellen. Von ihr aus gesehen müsste die Erzählperspektive an Emil angelehnt sein.

„Es geht ständig ums Essen“

Laut Winkels gehe es ständig ums Essen und um Kartoffeln, „es ist einfach wahnsinnig schematisch“, man erkenne sofort, wie „Der Wod“ gestrickt sei, das sei „langweilig“. Geschockt von der bisherigen Kritik meldete sich Nora Gomringer, die Tschui eingeladen hatte, zu Wort. Sie sei froh gewesen, dass ihr so ein Text vorgelegt worden sei. Auch die Lesung selbst habe sie genossen.

Diskussion Tschui

ORF/Johannes Puch

Stefan Gmünder

Stefan Gmünder widersprach Gomringer und pflichtete den anderen Jurymitgliedern bei. Die Kamera, durch die die Geschichte geschildert werde, schwenke manchmal, aber kühl, und dann komme es zu einer eigenartigen Empathie. Die Geschichte setze auf Effekt und würde sich nicht durch Sprache entwickeln. Michael Wiederstein hingegen erklärte, er habe das Gefühl, es erzähle eine Großmutter. Nach dem Krieg habe man sich gewünscht, eine Großmutter würde so erzählen. Insgesamt gehe das „in der Waage auf“. Der Text sei schlüssig, „ziemlich gut“.

„Am Ende fehlt ein Widerspruch“

Für Insa Wilke gehe es in dem Text um den Wod, der die Kinder tatsächlich geholt habe. Es sei nicht unzulässig, ein Verfahren anzuwenden, wie es hier der Fall sei. Der Text sei motivisch gut gebaut, jedoch fehle ihr am Ende ein Widerspruch. Es gebe eine schöne Steigerung, an der Stelle, an der das Publikum während der Lesung zu klatschen begann, werde ein Höhepunkt erreicht, daher brauche es ihrer Meinung nach keinen Abschluss.

Diskussion Tschui

ORF/Johannes Puch

Kastberger brachte ein, das Kriegsthema sei nichts Neues. Interessant finde er, wie sich die Dinge am Buffet ziselieren. Aber man sei einer gewissen Verantwortung verpflichtet, wenn man sich dieses Themas annehme. Winkels ortete eine „falsche Repräsentativität“ in dem Text.

Gomringer jedoch finde, der Text halte durchaus stand. Sie sei dankbar für den Hinweis auf den Wod, der eine Verkörperung der Ängste sei. „Stark genug für dieses massive Bild des Krieges“, schlussfolgerte Gomringer.