TEXT Silvia Tschui, CH

Silvia Tschui liest auf Einladung von Nora Gomringer einen Auszug aus dem Roman „Der Wod“. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

Der Hartmut am Buffet

«Nimm nicht mehr als zwei Kartoffeln, ne, nicht dass dir dann der Teller zu schwer wird», sagt der Hartmut, und jetzt kuck ihn dir an. Kuck ihn dir an, den kleinen Bruder in seinem lächerlichen Anzug, wie er zusammenzuckt.

Was hat sich der Hartmut gefreut, den Emil wiederzusehen, nach Jahrzehnten, er hat nicht nur vernichtende Sprüche vorbereitet, er hat auch seinen besten Anzug angezogen, er hat sämtliche Orden darauf platziert, stark übertrieben für Lillis achtzigsten, achtzig, na, der Hartmut ist auch nicht mehr der jüngste, aber besser gealtert als der Emil. Der! Dürr und schwächlich wie immer, wie der da am Buffet vor ihm steht, aber wie hätte aus dem auch was werden können, nicht aus der kleinen Kröte. Und dass da jetzt neben dem Braten ausgerechnet Pellkartoffeln stehen, Pellkartoffeln, fieser hätte sichs der Hartmut nicht ausdenken können, und jetzt schreit der Emil schon, jetzt schreit er wieder, puterrot im Gesicht, und der Hartmut grinst. Jetzt wird er weiß, der Emil, und schreit nicht mehr und fasst sich an die Brust, der Teller mit den Kartoffeln fällt ihm aus der Hand und er selbst geht zu Boden.

Draußen formiert sich das Orchester zu Lillis Ehren neu, und Lillis Enkelin zwängt ihren Teller zwischen Schüsseln auf dem Buffet und kniet sich neben den Emil. Sie drückt rhythmisch seine Brust und pustet ihm in den Mund. Ja, jetzt liegt er da wieder, der nutzlose Emil, Lillis Enkelin schreit: «Eine Ambulanz!», und aus dem Hartmut kicherts, jemand rennt zum Telefon, und die Lilli kniet sich hin, überraschend gelenkig mit achtzig, sie streicht ihrem Neffen übers Haar und sagt: «Emilchen. Mensch, Milchen.»

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