Jurydiskussion Anselm Neft

Der 1973 geborene und in Hamburg wohnhafte Allrounder Anselm Neft arbeitet seit 2004 als freier Autor und Publizist. Auf Einladung von Nora Gomringer las er seinen Text „Mach’s wie Miltos!“. Die Jury war eher ablehnend.

In seinem Text werden zwei scheinbar eigenständige Protagonisten beleuchtet, die möglicherweise ein und dieselbe Person in verschiedenen Lebensabschnitten sind.

Zu Beginn der Diskussion meldete sich Hubert Winkels zu Wort. Man sei mit Empathie beim Schicksal des Obdachlosen dabei und lasse sich in den Text hineinziehen. Er las den Text als eine Art Stationendrama.

Anselm Neft

ORF/Johannes Puch

Anselm Neft

Es gebe zwei Seiten, die Miltos-Seite und das Elend, worin Lucy, die Hündin, überfahren wird. Er sei verstimmt über die Massivität der Mittel, die Rührung hervorrufen wollen. „Mit zu viel Wucht und Pathos“, fühlte er sich vom Text erpresst.

Wilke sieht „starkes Motiv“

Insa Wilke sah ein starkes Motiv im Text. „Vom Zwang werden manche starr und tauen nie wieder ganz auf“. Das sei ein Satz, ein Motiv, von dem sie gerne mehr gehört hätte. Sie zählte weitere Motive auf, die ihr wichtig erschienen. Es werde mit Schnitttechnik gearbeitet, bei der sie aber eher skeptisch sei, da damit auch Schwächen verdeckt werden können. Derartige Schwächen ortete sie an zwei Stellen: Die Stelle mit dem Hund hätte sie gestrichen, da sie nicht über das Klischee hinausgehe. Andererseits werde teilweise auch zu wenig erläutert.

Wilke Gmünder

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Wilke und Gmünder

Die Kehrtwende zum Zyniker sei nicht ausreichend erzählt worden. Auch Michael Wiederstein schloss sich zunächst dieser Lesart an, meinte aber, es gebe zwei Geschichten. Eine über die Familie, eine über den Obdachlosen. Die Pointe sei Miltos‘ Aussage „Du bist doch bloß ausgedacht“. Beachtet man diese Stelle, wisse man laut Wiederstein gar nicht, was die richtige Geschichte sei. Ob Miltos sich die bürgerliche Existenz zusammenreime, oder ob es der Protagonist ist, der auf der Straße gelandet ist.

Winkels mochte diese Auslegung nicht. Ein einziger Satz könne nicht die Bedeutung des gesamten Texts umschreiben.

Geschichte aus Rückblicken eines Sterbenden

Gomringer hingegen mochte die Idee des imaginären Freundes, der sich gegen einen wendet. Die Schichtungen, die Dichte sei gerechtfertigt, der Rückblick des Erfrierenden setze eigentlich die Geschichte zusammen. Es gehe um die Erinnerungen eines Sterbenden. Die Namensgebung „Lucy“ bringe Licht in die Geschichte, erinnere zum einen an den Fünfjährigen, zum anderen an Lucifer, den Lichtbringer.

Stefan Gmünder sah Parallelen zu Bjergs Text „Serpentinen“. Man gehe mit einer oder zwei Figuren durch verschiedene Stationen. Den ersten Teil fand er sehr stark, die Exposition sei sehr gut. Mit der Zeit wirke der Text aber doch überinstrumentalisiert. Er breche, da es zu viel werde. Trotzdem bekundete er Respekt vor der Figur und vor dem Text.

Hildegard Keller

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Hildegard Keller

Doppelbedeutung von Lucy

Hildegard Keller sprach zunächst über Lucy. Lucy sei auch die erste auf zwei Beinen stehende Frau gewesen. Die Frage danach, wer sich wen ausdenke, sei ebenso interessant. Aber ihrer Meinung nach bleiben zu viele Stellen offen und so fragte sie den Autor, wie die Geschichte eigentlich angelegt sei. „Jeder mache mit dem Text, was er will“, zeigte sie sich kritisch.

Klaus Kastberger hatte das Gefühl, der Text sei für eine andere Bühne gemacht, wo man weniger genau auf jedes Wort achte, eine Freiluftbühne zum Beispiel. Es sei ein lauter Text im Vortrag und auch auf die Stilfiguren bezogen. Auf einer anderen Bühne würde der Text besser wirken, aber er freute sich darüber, ihn hier zu haben.

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