Text der Rede zur Literatur: Der Wert der Worte

Feridun Zaimoglu hielt im Jahr 2018 die „Rede zur Literatur“ im Rahmen der Eröffnung der 42. Tage der deutschsprachigen Literatur. Hier können Sie den gesamten Text der Rede nachlesen.

Das Mädchen, das um den Vater trauerte, sang mit einem Faden Stimme, es sang leise ein islamisches Klagelied: Wir sind geworden Gegangene, ein Gruß den Gebliebenen.

Ich lernte von dem Kind, das sich nicht allein zum Mund eines toten Mannes machte. Dies war der Gesang der Seelen, die mit der Zunge der Halbwaisen sprachen. Wer aus dem Leben der anderen scheidet, ungewollt und unfertig, muss nicht fürchten, dass er verstummt. Der Kummer des Mädchens war so groß wie seine Welt, es wollte aber mit der Stimme der gebannten Geister sprechen. Es würde später im Stillen den Vater beweinen, es würde heimlich riechen am Ärmel der Strickjacke des Vaters.

Ich lernte: Es gibt kein Alleinsein, und nicht das Schweigen, noch die Stille übertreffen die Worte. Die Anderen, die Abgekehrten, die Verschwundenen, die Gebannten, sie sollen klingen.

Ich lernte: Es soll durch meinen Mund sprechen, was sich dem Lärm entzogen hat, und ich will auch den Mangel, den Makel, den Schwund und die schlechte Absonderlichkeit bezeichnen.

Ich trat die Heimkehr zu den Verlassenen an.

TddL Eröffnung 2018 Feridun Zaimoglu

ORF/Johannes Puch

Feridun Zaimoglu hielt die Klagenfurter Rede zur Literatur 2018.

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Rede zur Literatur 2018 Zaimoglu Wert der Worte
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