Verriss für Text von Jörg-Uwe Albig

Albig las den Text „In der Steppe“ über eine Liebesbeziehung eines Mannes zu einem Gebäude. Erklärungsversuchen von Meike Feßmann, die den Autor eingeladen hatte, folgte die Jury nicht.

Der von Meike Feßmann nach Klagenfurt eingeladene Jörg-Uwe Albig wurde 1960 geboren und ist seit 1993 als Autor und Reporter für verschieden Magazine tätig. „In der Steppe“ ist ein von Rückblenden und traumähnlichen Sequenzen durchzogener Text, der sich wortgewaltig einer unüblichen Beziehung zwischen Lebendem und Leblosen nähert. Gregor Stenitz entdeckt eines Tages eine einsame Kapelle und kehrt fortan regelmäßig zu ihr zurück, bis er eines nachts bei ihr übernachtet. Im Text selbst stellt sich die Frage, ob es sich bei dieser außergewöhnlichen Anziehungskraft zu einem Gebäude um eine Perversion handelt. Beantwortet wird sie nicht.

TddL 2017 Tag 2 Jörg Uwe Albig

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Jörg-Uwe Albig

„Überfrachteter Text“

Nach kurzer Verschnaufpause meldete sich Klaus Kastberger als erster zu Wort. Es werde alles aufgeboten, in fast jedem zweiten Satz sei etwas vorhanden, der Text sei zu überfrachtet. „Ich glaube, der Text hat eine völlig missglückte Schönheitsoperation hinter sich.“ An Mut mangele es dem Text nicht, er bringe ein neues Thema in die Literatur ein: ein Mann verliebt sich in eine Kapelle. Trotzdem mochte er ihn nicht.

Hildegard Keller stellte heraus, dass Gregor und Madeleine nicht umsonst diese Namen tragen, sie würden bestimmte Assoziationen wecken. Der Text sei ein Essay über eine mystische Union mit einem Gebäude. Schließlich komme es zur „mystischen Union mit der Erde“. Ihrer Meinung nach könne man den Wunsch erkennen, einem spirituellen Thema Ausdruck zu verschaffen. Interessant fand sie die vielen zweifachen Adjektive vor den Substantiven und schön seien auch die vielen Alliterationen.

fessmann

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Meike Feßmann

Kegel googelte Objektophilie

Sandra Kegel habe sich nach der Lektüre im Internet über Objektophilie informiert und sei von deren Existenz überrascht gewesen. Das Problem an dem Text sei, dass er „zu überfrachtet“ ist. Er sei „verstellt durch die unglaubliche Ambition“ Kafka oder ein anderer großer Literat zu sein. Der Stil habe sie wiederholt aus der Geschichte „herausgeworfen“.

Auch Stefan Gmünder zeigte sich irritiert, dennoch mochte er das Thema der Liebe. Er fand den Text „abgedreht“ und „gewöhnungsbedürftig“, ein Problem hatte er mit dem auktorialen Erzähler, der in die Perspektive des personalen eingreife. Trotzdem gefiel ihm der Text.

„Verrückte Konstellation bleibt hängen“

Hubert Winkels sprach ebenso die alles umfassende Liebe an, die ansetzen könne beim Beginn der Welt, der Schöpfung, des Lebens, der eigenen Geburt. Man kriege all das, was der Autor will, nicht in einen Text, es sei „too much von allem“.

Diskussion Peschka

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Michael Wiederstein

Michael Wiederstein meinte, Gregor befinde sich in einer Stadt, in der diese Kapelle steht. Das finde er schön. Dann jedoch würde der Protagonist zum Objekt werden, als Leser warte man auf etwas, das aber „von dem Lastwagen zugekippt“ werde. Die „verrückte Konstellation“ bleibe jedoch hängen.

Erklärungsversuche von Feßmann

An dieser Stelle unternahm Meike Feßmann einen Erklärungsversuch. Sie sah in dem Text eine pathetische Liebesgeschichte, eine erkaltete Liebesgeschichte mit Judith und die damit verbundene Depression. Gregor stolpere über diese Kapelle und übertrage die nicht mehr mögliche Liebe zu Judith auf die Kapelle. Es sei eine klassische Form der Erzählung mit vielen schönen Bildern. Auch die Meteorologie als die Spiegelung des Seelenlebens sei ein klassisches Mittel.

Der Wechsel vom Belebten zum Unbelebten sei durchdrungen von der Luftmetaphorik. Außerdem handelt es sich laut ihr um eine Geborgenheitsphantasie, in der sich Gregor in einen Mutterschoß, in Sicherheit hineinphantasiere. Es gebe immer wieder tolle Szenerien, an einer Stelle verwandle Gregor sich zum Beispiel in einen Lebemann, der er nicht sei. Diese „Vermischung von inneren Bildern, von der Bedrängnis, von Pathos“ sei „großartig“ gemacht. Man müsse auch nicht gleich von Objektophilie sprechen. Sie zeigte sich „enttäuscht“, dass „so eine Runde keine klassische Liebesgeschichte mehr versteht“.

Publikum

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Jurykollegen folgen Feßmann nicht

Hildegard Keller bedankte sich bei Feßmann für die Erläuterungen, bekannte aber, sie sehe die Sache mit der Depression nach wie vor nicht. Sie habe Gregor als stärker empfunden, als eine Figur, die auf dem Weg „back to the roots“ ist. Auch Martin Wiederstein konnte Feßmanns Interpretation nicht nachvollziehen. Klaus Kastberger bezog sich auf den Vorwurf, die Jury könne keine klassische Liebesgeschichte mehr verstehen. Wenn der Text ihm erzähle, dass jemand sich in eine Kapelle verliebt, glaube er ihm nicht.

Er könne die Liebesgeschichte wegen all dem „Geröll“ nicht als solche wahrnehmen. „Je mehr er ankarrt, desto weniger präzis wird es.“ Alles sei „herausgegoogelt“. „Wozu?“, fragte er in die Runde. Die Jury-Mitglieder würden sich doch eine Liebesgeschichte wünschen, aber bei diesem Text würde es sich um ein „Monstrum von Schichten“ handeln, “wo ich nicht durchdringen kann zu dieser tiefen Beziehung des Mannes mit der Kapelle“. Feßmann entgegnete: „Das liegt daran, dass Sie keine pathetischen Texte mehr ertragen, sondern nur noch ironische.“

Keller relativierte schließlich noch die Kritik an dem im Text dargebotenen Fachwissen, da auch andere hier dargebrachte Texte Fachterminologie vorzeigen würden. Dennoch, so Winkels, sei der Text nicht überzeugend.

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