Jurydiskussion Stefanie Sargnagel

Stefanie Sargnagel las auf Einladung von Sandra Kegel den Text „Penne vom Kika“. Der Text kam bei den meisten Juroren gut an, Vergleiche mit Faust und der Suche nach dem heiligen Gral des ultimativen Kicks wurden bemüht. Meike Feßmann hielt dagegen.

Die eigensinnigen Beobachtungen der Ich-Erzählerin ernteten ein paar Lacher beim Publikum. Eine erdig-derbe Darstellung eines Tages im Leben einer Auftragsautorin, die nicht mag, was sie für Geld schreibt. Als Belohnung für die Fertigstellung eines Texts beschließt sie jedoch, Eislaufen zu gehen, tröstet eine Freundin über Liebeskummer hinweg und erlebt ein kleines Drama in einer Kneipe, bevor am nächsten Tag neuerlich ein Text darauf wartet, geschrieben zu werden. Bevor sie sich dieser Aufgabe widmet, gönnt sie sich aber ein billiges Mittagessen in einem Möbelhaus-Restaurant.

Sargnagel Lesung

Johannes Puch

„Heftig um zehn Uhr morgens“

Hubert Winkels machte den Anfang der Kritik und sagte, der Text sei „heftig für 10.00 Uhr morgens“, aber vertrauter, als man zuerst denke. „Raus aus der Hochkultur in die reale Hölle der Vorstadtkneipen.“ Es sei die Suche nach dem Gral, der Gral ist der „ultimative Kick“, es wimmle von Totenklagen und Blutenden. „Sie braucht den blutenden Körper, um einen schönen Text zu schreiben in der Wiener Unterwelt“. Nicht ganz neu, aber gut gemacht, „Respekt“, so Winkels.

Tag 1 Sargnagel Lesung

Johannes Puch

Faust kann einpacken

Sandra Kegel sagte zu ihrer Autoren, der Text werde getragen von monströser Fokussierung auf das „Ich“, das unglaublich aufgeblasen werde. Das machte die Kunstfigur aus. Dann zerplatze das „Ich“ wie eine Christbaumkugel. Unruhe kommt im Text zum Ausdruck. Es habe etwas Klaustrophobisches, dieser Wechsel zwischen „Ich“ und der Welt. Es seien „unglaubliche Milieuschilderungen“. Unruhe einerseits führe zu einem Bedürfnis nach Ruhe. „Das ist wahnsinnig gut auf den Punkt gebracht.“ Das Bedürfnis des „Ichs“, Penne zu essen, die nach nichts schmecken. Gegen die zerrissenen Typen aus Wien kann Faust einpacken, so Kegel.

Hildegard Keller

Johannes Puch

Hildegard Keller

„Es droht immer der Absturz“

Hildegard E. Keller sah eine Ringerzählung, spannend sei immer, wenn man in die Weltsicht eines Wesens eintauche. Es drohe aber immer der Absturz auf der Suche nach dem Kick. Der Text sei offenbar aus Spielfreude entstanden, doch die Gefahr sei die Inkonsistenz. Das „Ich“ rotiert in sich, „ich bin mein eigener Gott“, das Ich sei sein eigens Lieblingsthema. Die Anfangs- und Endstücke fand Keller „überzeugen“.

Gmünder Jury

Johannes Puch

Stefan Gmünder

Meike Feßmann sagte, sie würde den Text gerne auf den Boden der Tatsachen herunterholen, es gebe Wiederholungen im Text, die Ästhetik halte keine zweite Lektüre aus. Er sei gewöhnlich und banal. Die Autorin komme leicht in Schwung, beobachtet genau, aber sie bringt sich in einen Quasselmodus, der nicht mehr zu bremsen sei. Das Comicelement sei bewusst hineingebracht, „aber die Komik hat nicht funktioniert“.

Meike Feßmann

Johannes Puch

Meike Feßmann

„Arschkarte gezogen“

Klaus Kastner hätte sich gewünscht, dass man „nicht schon nach drei Minuten den Gral und den Faust“ auspacke. Sie hat mit der ersten Lesung die Arschkarte gezogen und musste einmal im Jahr früh aufstehen. Der Text könnte zeigen, dass die Tätigkeit eines Bachmannjurors nicht nur Mühe, sondern auch Vergnügen ist. „Steffi, der ist einfach nur gut, der Text“, wolle er ihr ins Ohr flüstern. Der Text sei klüger und tiefsinniger, als er tue. Er sagte, „ich bin Literatur, aber ohne Literatur“.

Stefan Gmünder sagte, den Arbeiten Stefanie Sargnagels stehe er kritisch gegenüber. Er sei vom Text aber überrascht gewesen, er setze sich der Erwachsenenwelt entgegen, die alles regeln wolle. „Am Anfang hat er mich auch sprachlich sehr überzeugt, dann bekommt er aber ein Problem und wird flacher.“ Er fühlte sich an den Autor und Bachmannteilnehmer Stefan Alfare im Jahr 1999 erinnert, der habe vorne ein Bier getrunken und geraucht, da sei es auch um so eine Beislsache gegangen.

„Spielzeug für Juroren“

Für Juri Steiner ist es ein Text, der unglaublich großes Talent habe, mit dem man umgehen müsse. „Der zweite Tag ist ein Bruch, der ist völlig anders gestaltet.“ Das Talent finde zur Ruhe, es brauche keine exogenen Drogen. Es sei ein Statement für jemanden, der sich zerrissen fühle. „Der Text ist zyklisch, Penne vom Kika ein Zellgericht, zu dem sie gefunden hat.“

Winkels fügte hinzu: „Der Text tut so, als ob er einfach und authentisch ist, es ist aber komplexe Literatur.“ Keller sagte gar, der Text sei „ein ideales Spielzeug für Juroren.“ Es folgte eine angeregte Diskussion der Juroren untereinander. Kastberger überlegt allgemein, dass Texte, die Widerstandskräfte haben, besser seien. Dieser Text habe Widerstandspotenziale eingebaut, das gehöre wesentlich zu ihm. Man werde dem Text nicht gerecht, wenn man das nicht sehe.

Feßmann bleibt bei Kritik

Feßmann fragte sich, wo dieses Wiederstandpotenzial sei. Für sie sei der Text voller Klischees. Die Autorin habe zwar Gespür für Szenerien, das seien Stellen, wo die Ernsthaftigkeit hervorkomme. Aber Widerstand sehe sie in ihm nicht.

Kegel konterte: „Ich raste aus“ – das wird nicht zufällig zweimal erwähnt. Es heiße so viel wie, ich ruhe mich aus, das sei die Balance zwischen der der Text arbeite. Dem Text passiere nichts, dem unterlaufe nichts. „Dieser Text ist wie eine Membran, die in die Welt hinausgehalten wird und verhandelt.“

Feßmann meinte dennoch, das Hin- und Herschwanken zwischen Erfolg und dem Gedanken, dass das nicht zu einem passe, sei einfach altersgemäß. Kastberger sah genau darin das Widerstandspotenzial. So könne man dem Text auf den Leim gehen, dass man denke, dass er nur hingeschrieben sei. Winkels stimmte zu: „Wenn man über einen Text lange reden kann, dann hat er Widerstandspotenzial.“