Eröffnung: Plädoyer für riskantere Texte

Die Tage der deutschsprachigen Literatur gehen heuer in ihr 40. Jahr. Mittwochabend fand die Eröffnung in Klagenfurt statt. In seiner „Rede zur Literatur“ wünschte sich der langjährige Juryvorsitzende Burkhard Spinnen „mehr riskante Texte“.

Die Tage der deutschsprachigen Literatur haben auch nach 40 Jahren nichts an jugendlicher Verve eingebüßt - „auch wenn an diesem 40. Geburtstag kaum 40-Jährige im Publikum anwesend sein dürften“, wie Moderator Christian Ankowitsch, eingangs auf das Jubiläumsjahr anspielend, witzelte.

Eröffnung TDDL 2016

Johannes Puch

Das Carinhtia Saxophonquartett begleitete den Abend mit „ja griaß enk Gott“ musikalisch ein.

Doch das diesjährige Programm könnte tatsächlich vielfältiger nicht sein - ablesbar an der Tatsache, dass die Teilnehmer 2016 aus Serbien, Großbritannien, Israel und der Türkei stammen.

Eröffnung „on demand“

Das Video der Eröffnung der 40. Tage der deutschsprachigen Literatur im ORF Landesstudio Kärnten in Klagenfurt „on demand“

Die jüngste Autorin ist Jahrgang 1988, die älteste wurde 1944 geboren. Drei der teilnehmenden Autoren sind nicht mit der Muttersprache Deutsch aufgewachsen - sondern mit Englisch, Französisch und Hebräisch - mehr dazu in 14 Autoren aus acht Nationen.

Eröffnung TDDL 2016

Johannes Puch

„Mächtig eigenartig“ das Ganze

Die Juroren hätten - „ohne untereinander eine Verabredung zu treffen“ eine Auswahl getroffen, die zeige, wie „mächtig eigenartig“ die Situation beim Bachmannpreis sei, so Ankowitsch. „Der Bachmannpreis setzt Maßstäbe - es ist der Tag der großen Worte, diese Vorgabe erfülle ich nun.“ Tatsächlich wurde bereits bei der Eröffnung des diesjährigen Bewerbes bewiesen, welch großer Unterhaltungswert der intelligenten Rede innewohnt - ein vielversprechender Beginn für ein Jubiläumsjahr.

TDDL Eröffnung Bachmannpreis 2016

ORF/Johannes Puch

Moderator: „Stellen Sie Schecks aus“

Einige wenige Hinweise auf die notwenige Finanzierung durften natürlich trotzdem nicht fehlen. Wer immer wolle, dass der Bewerb weiter bestehen bleibe, sollte das ihm mögliche tun und „Schecks ausstellen“, so Ankowitsch. Jetzt, im 40. Jubiläumsjahr, sei die Frage nach einem „Altern im Würde“ des Wettbewerbes angebracht. Ankowitsch nahm damit ein Thema - die Geschichte des Wettbewerbes nämlich - vorweg, die in vielen Ansprachen an diesem Abend im Mittelpunkt stehen sollte.

Eröffnugn TDDL 2016

Johannes Puch

Der Moderator: Christian Ankowitsch

Spinnen: Keine Vernichtungen erlebt

Traditionell gibt es bei der Eröffnung des Literaturspektakels die Rede zur Literatur 2016, heuer hielt sie der langjährige Juryvorsitzende Burkhard Spinnen, der Titel seines Textes: „Mythos, Schmerz, Erfolg und Amt“. Spinnen hatte 1992 als Autor in Klagenfurt gelesen und von 2000 bis 2014 - mit einem Jahr Unterbrechung - der Jury angehört, die letzten sieben Jahre als deren Vorsitzender.

Der Mythos besage, in Klagenfurt würden Autoren „vernichtet“. Die einzigen Vernichtungen, die er regelmäßig erlebt habe, seien jedoch jene im Feuilleton gewesen, die den Juroren regelmäßig vorgeworfen hätten, schlechte Arbeit zu leisten. Für die Schwierigkeit der literarischen Urteilsfindung sei die öffentliche Diskussion der Jury aber das richtige Mittel - mehr dazu in Burkhard Spinnen: Rede zur Literatur 2016.

„Schmerz kann nicht gelindert werden“

Demgegenüber finde er es „sehr angemessen, wenn am Ende des Wettbewerbs in Klagenfurt eine unkommentierte Abstimmung steht. Das Ringen um ein Geschmacksurteil mündet in ein demokratisches Verfahren.“ Der „Schmerz, den es einem Autor oder einer Autorin bereitet, wenn ihr Text gerade von denen abgelehnt wird, deren positives Urteil sie erhoffen“, könne jedoch durch Fairness und Angemessenheit nicht gelindert werden. Das Streben nach Erfolg sei das Wesen eines Wettbewerbs wie jenes um den Bachmann-Preis, sagte Spinnen.

Dessen Gewinn generiere Aufmerksamkeit und könne „die Hoffnung bestärken, auch in Zukunft als Schriftsteller leben zu können. Dazu könne es auch gehören, „sich einmal ganz frei zu machen vom Geschmack, von den Wünschen, Vorstellungen und Regeln der anderen.“ Auch deshalb wünsche er dem Bachmann-Preis "in Zukunft mehr riskante Texte und die Bereitschaft der Jurorinnen und Juroren, deren Risiko mit zu tragen.

„Risiko der Kunst über Tageserfolg stellen“

Und Spinnen weiter: „Ich weiß sehr gut, wie groß die Versuchung ist, Texte auszuwählen, die das Potenzial zum größten gemeinsamen ästhetischen Nenner haben. Und ich weiß, wie bitter es ist, mit einem riskanten Text dramatisch zu scheitern und damit womöglich die eigene Reputation aufs Spiel zu setzen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es auf Dauer die beste Überlebensversicherung des Bachmann-Preises sein wird, wenn er das Risiko der Kunst über jeden Tageserfolg stellt."

Landesdirektorin wünschte „mehr Verstand als Zeit“

Landesdirektorin Karin Bernhard begrüßte zuvor die anwesenden Ehrengäste - darunter den deutschen Botschafter Johannes Konrad Haindl, Landeshauptmann Peter Kaiser, Kulturreferent Christian Benger und die Landesräte Rolf Holub und Gernot Darmann - und dankte der Stadt, die der Veranstaltung treu geblieben sei sowie den jahrelangen Partnern BKS und Kelag. Außerdem begrüßte Bernhard die Witwe des Bachmannpreis-Erfinders, Ulrike Fink. Bernhard mahnte, dass Ingeborg Bachmanns Satz: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ zu einem geflügelten Wort geworden sei, ohne dass dessen Bedeutung in der heutigen Zeit tatsächlich vergegenwärtigt und verstanden werde. Sie wünsche der Veranstaltung „mehr Verstand als Zeit“ und „dass uns die Augen aufgehen“.

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Landesdirektorin Karin Bernhard

„Wir brauchen eine neue Sprache“

„Der Bachmannpreis ist ohne Klagenfurt nicht denkbar, Klagenfurt ohne den Bachmannpreis aber auch nicht“, lud im Anschluss Christian Ankowitsch die Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz auf die Bühne zu ihren Eröffnungsworten ein. „Wir brauchen eine neue Sprache, die sich nicht einfach von uns überreden lassen wird“ zitierte Mathiaschitz den ersten Preisträger des Bewerbes aus dem Jahr 1977, Gert Jonke. Tatsächlich sei das geschriebene Wort jenes, „das sich nicht überreden lasse und das bestehen“ bleibe - der 40. Bachmann-Preis sei ein schöner und lebendiger Beweis dafür. Mathiaschitz erinnerte an die Anfangsjahre des Bewerbes im Klagenfurter Stadthaus - und damit an Zeiten, als der spätere „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki das Zepter fest in der Hand hielt.

Eröffnugn TDDL 2016

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Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz

„Sehe nächstem Jahrzehnt mit Freude entgegen“

Man sei „ganz besonders stolz“ im Namen der Stadt zum 40. Mal dabei zu sein, Klagenfurt sei „Literaturhauptstadt“ und werde es bleiben, so Mathiaschitz, die den Bachmannpreis ein „kulturelles Aushängeschild“ nannte. Sie sehe dem „nächsten Jahrzehnt“ als Partner des Bewerbes mit Freude entgegen und wünschte „Interessante Texte und lebhafte Diskussionen“.

Zu einer „kleinen Ansprache“ wurde dann auch Petra Gruber von 3sat auf die Bühne gebeten, die den Ansprache-Reigen in Anlehnung an Peter Wawerzinek mit „Scheiben auf einem Plattenteller“ verglich. „Ich hoffe der Gesamtmusikmix ist interessant.“ 28 Jahre lang werde der Bachmann-Preis nun schon auf 3sat übertragen, „ein Fossil in der Fernsehlandschaft“, so Gruber. Beim Vorlesen im TV nur auf die Quote zu schielen sei nicht denkbar. Gleichzeitig müsse man sich die Frage stellen, ob das „schrille und laute“ in puncto Quote automatisch siege. „Eine neue Sprache braucht auch eine neue Gangart, einen neuen Geist“. Auf der anderen Seite gelte es „das meisterhaft Geniale“ zu finden, dieses „sollte auch ohne Fernsehen funktionieren“, die Übertragung dürfe „kein Selbstzweck“ sein.

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Petra Gruber von 3sat

„Seien Sie ohne Rücksicht auf das TV Sie selbst“

15 Stunden werde live auf 3sat gelesen, Lesungen und Diskussionen seien 1:1 auch im Internet abrufbar, wobei auch Twitter und Facebook bespielt würden. Auch nach 28 Jahren sei der Bachmannpreis - „allen Sparzwängen zum Trotz“ - für 3sat ein Anliegen. „Kindern, denen vorgelesen wird, sind nachweislich sozialer und mitfühlender - vielleicht trifft das auch auf uns Erwachsene zu.“ Den Autoren gab sie den guten Rat: „Seien Sie, ohne Rücksicht auf das Fernsehen, Sie selbst. Alle anderen sind schon vergeben.“

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Johannes Puch

Landeshauptmann Peter Kaiser und Kulturlandesrat Christian Benger

Was reimt sich auf: Finanzierungszusage für 2017?

Überraschend dann der Einfall des Moderators, die Politiker und Sponsoren mögen sich doch selbst interviewen. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) und Kulturreferent Christian Benger (ÖVP) mussten die Aufgabe bewältigen, in ihren kurzen Reden fünf vom Moderator vorgegebene Begriffe unterzubringen. Der Witz dabei erschloss sich erst mit der Zeit, weil - von Ankowitsch vorgegeben- auch immer die Phrase „Finanzierungszusage für 2017“ mit einzubauen war. Dasselbe galt für Herta Stockbauer von der BKS und Werner Pietsch von der Kelag.

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Die Sponsoren von BKS und Kelag: Herta Stockbauer und Werner Pietsch

In der Jury bleibt alles beim alten

Dann stellte Ankowitsch die diesjährige Jury vor - Veränderungen zum vorigen Jahr sind ja bekanntlich ausgeblieben - bevor Vorsitzender Hubert Winkels zu seiner Eröffnungsrede anhob und dabei ebenfalls auf die Geschichte des Wettbewerbes rekurrierte. Unterhaltung sei heute das, was früher Ideologie gewesen sei, so Winkels, der vor „Sprachverhunzung, Vulgarität, Grobheit und sprachlicher Verwahrlosung“ warnte, wie sie vor allem in der Politik durch Marine le Pen oder Nigel Farage Einzug gehalten habe. Das „Reden über Literatur“ könne ein Gegenpol zu diesen gesellschaftlichen Entwicklungen sein. Dann holte Winkels weit aus, um Gegenwart und Vergangenheit des Wettbewerbes miteinander in Beziehung zu setzen.

TDDL Eröffnung Bachmannpreis 2016

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Sit-In: Die Jurymitglieder bei der Eröffnung

Winkels: „Kein Gefälle“ zwischen Jury und Autoren

Der Bachmannpreis sei zwar nicht „Rechtsnachfolger“ der Gruppe 47, dennoch gebe es Gemeinsamkeiten, wie den Versuch, der „Sprachverhunzung“ zu entkommen. Von Autoren erfunden, seien später Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki und Walter Jens dazukommen und hätten die Macht bei der Gruppe 47 ergriffen, woraufhin die Autoren „keine Lust mehr“ gehabt hätten. Kurze Zeit später sei dann der Bachmannpreis erfunden worden, für die Autoren gab es böse Schelte und Ausschlüsse, wie etwa für Jörg Fauser. Dieser sei von Reich-Ranicki mit dem Verweis, bei seinem Text handle es sich nicht um Literatur, der Veranstaltung verwiesen worden, was Michal Köhlmeier in seiner Rede vor zwei Jahren stark kritisiert hatte.

Dieser Gestus des Kritikers, dieses „Gefälle“ zwischen Jury und Autoren gebe es nicht mehr. Es gebe keine „Aburteilungen“ mehr, sondern einen sorgfältigen Umgang mit Texten um abschließend einzuschränken: „Ich hoffe ich rede nicht schön, was wir hier machen“, so Winkels.

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Juryvorsitzender Hubert Winkels

Sargnagel als erste dran: „Oh nein“

Dann wurde die Lesereihenfolge ausgelost. Ausgerechnet Stefanie Sargnagel muss am Donnerstag als erste vor die Jury treten, worauf ihr ein leises „Oh Nein“ entkam. Moderator Christian Ankowitsch beruhigte: „Statistisch gesehen ist das weder von Nachteil noch von Vorteil“. Es folgen am Donnerstagvormittag Sascha Macht und Marko Dinic, ein in Salzburg lebender gebürtiger Wiener mit serbischem Pass, am Nachmittag Bastian Schneider und Selim Özdogan - mehr dazu in Die Lesereihenfolge 2016.

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Stefanie Sargnagel bei der Auslosung der Lesereihenfolge.

TDDL Eröffnung Bachmannpreis 2016

ORF/Johannes Puch

Burkhard Spinnen bei seiner Rede zur Literatur

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Goldene Medaille der Stadt für Spinnen

Am Ende der Eröffnung holte die Bürgermeisterin Spinnen noch einmal auf die Bühne. Mathiaschitz: „Wer als lesener Autor, als Jurymitglied, als Vorsitzender und als Redner bei dieser Veranstaltung dabei war, der ist Klagenfurt besonders verbunden. Ich möchte offiziell im Namen der Stadt Klagenfurt herzlich Danke sagen, Sie haben diesen Wettbwerb mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Charisma und ihrer Kompetenz geprägt und sich für dessen Weiterführung stark gemacht, als er kurz ins Wanken geriet.“

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ORF/Johannes Puch

„Dankeschön“ der Stadt an Spinnen

Mathiaschitz verlieh Spinnen im Jubiläumsjahr 2016 für seine Verdienste in Würdigung und Anerkennung um das Internationale Ansehen die Goldene Medaille der Landeshauptstadt Klagenfurt. Der Verleihung folgte die Eintragung ins Goldene Buch der Stadt. Mathiaschitz: „Sie sind immer herzlich Willkommen in Klagenfurt“. Spinnen darauf: „Wenn ich den Bachmannpreis gewonnen hätte, hätte ich das nicht gekriegt“ bevor es schließlich zum „gemütlichen Beisammensein“ in den Fernsehgarten ging.

Eröffnung TDDL 2016

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„Gemütliches Beisammensein“: Karsten Krampitz und Stefanie Sargnagel im Fernsehgarten nach der Eröffnung.