Bachmannpreis 2019 für Birgit Birnbacher
Der heißeste Bachmannpreis aller Zeiten - teilweise hatte es in Klagenfurt 38 Grad Celsius - fand am Sonntag seinen Höhepunkt. Fünf Preise wurden vergeben, die vier Jurypreise brauchten alle eine Stichwahl. Insgesamt sind drei Österreicher unter den fünf Preisträgern. Zwei Autoren sind aus Deutschland.

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v.l. Leander Fischer, Ronya Othmann, Birgit Birnbacher, Julia Jost, Jannic Han Biao Federer
Gmünder: „Knisternd und aufrührend“
Die Österreicherin Birgit Birnbacher gewann mit dem Text „Der Schrank“. Es geht hier um eine soziologische Studie, eine an dieser Studie Teilnehmende und das plötzliche Erscheinen eines Schrankes. Die Laudatio für Birgit Birnbacher hielt Stefan Gmünder, er nannte die Sprache knisternd, sie rühre auf. „Plötzlich steht ein Biedermeierschränkchen im Haus, alles im Text dreht sich um eine 36-Jährige, die im Prekariat lebt.“ Ohne Winke mit dem Zaunpfahl erzähle der Text vom Lebenskampf, von Ferne klinge Samuel Becketts Endspiel an.

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Birgit Birnbacher mit Bürgermeisterin Maria Luise Mathiaschitz und Stefan Gmünder
Birnbacher sagte in einer ersten Reaktion: „Unglaublich. Der Preis bedeutet uns allen viel, darum sind wir auch hier. Es ist eine besondere Runde, so habe ich das erlebt. Es sind viele da, die den Preis verdient hätten."
Preisvergabe on demand
Deutschlandfunkpreis für Leander Fischer
Der Deutschlandfunkpreis ging nach einer Stichwahl zwischen dem deutschen Autor Yannic Han Biao Federer und dem Österreicher Leander Fischer an Fischer. Er las den Text „Nymphenverzeichnis Muster Nummer eins Goldkopf", in dem Musik mit Fliegenfischen verschwimmt.

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Leander Fischer mit Hubert Winkels und Karin Fischer, Abteilungsleiterin Aktuelle Kultur vom Deutschlandfunk
Hubert Winkels sagte in seiner Rede, er freue sich sehr, da er ja auch vom Deutschlandfunk komme. Der Titel sei sperrig, und es sei auch eine der sperrigsten Arbeiten, Köder für das Fliegenfischen zu knüpfen. „Da erfahren wir ausführlicher davon, als wir jemals wollten.“ Doch der Text schaffe es, Stück für Stück beim Zusammensetzen langsam das Vergnügen am Fertigen eines Kunstwerks zu vermitteln. Der Protagonist ist Musiklehrer, doch kein Violinkonzert könne schöner sein, als das Knüpfen der Köder.

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Julia Jost mit Werner Pietsch von der KELAG (links) und Klaus Kastberger
KELAG-Preis an Julia Jost
Auch beim dritten Preis gab es eine Stichwahl, diesmal zwischen der in Kärnten geborenen Julia Jost und dem Deutschen Yannic Federer. Wie beim Deutschlandfunkpreis hing die letzte Entscheidung an Klaus Kastberger, es gewann die gebürtige Kärntnerin Julia Jost mit ihrem Text „Schakaltal“.
Klaus Kastberger sagte in seiner Laudatio, noch hätten in Kärnten nicht alle Täler den richtigen Namen. Jost zeige in ihrem Text, wie ein solcher Bezeichnungsvorgang heute fiktional von statten gehen könnte. So werde aus dem Bärental oder einem ähnlichen das Schakaltal, nach dem Schrei einer Mutter, die um ihr Kind trauert. „Es ist eine Kindergeschichte, die die Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit neu führt und mit neuen Mitteln erweitert.“
3sat-Preis für Yannic Han Biao Federer
Und auch beim vierten Preis gab es eine Stichwahl, in diesem Fall zwischen Yannic Han Biao Federer und Daniel Heitzler. Es gewann Federer. Auch hier gab Klaus Kastberger den Ausschlag. Er las auf Einladung von Hildegard Keller den Text „Kenn ich nicht". In ihrer Laudatio sagte Keller, der Text berühre, weil er eine Trennungsgeschichte radikal von außen erzähle. „Der Autor kippt in die Geschichte, seine Freunde geben ihm immer wieder neue Namen. Bei diesem Gestöber von Alter Egos findet Trauerarbeit statt, das könnte man fast übersehen.“

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Elisabeth Keller, Yannic Han Biao Federer und Petra Gruber 3sat
Federer sagte im ersten Interview: „Ich bin völlig fertig“, er spüre nichts mehr, das Adrenalin sei ausgebrannt.
BKS-Bank-Publikumspreis für Ronya Othmann
Das Onlinevoting am Samstag konnte die deutsche Autorin Ronya Othmann mit ihrem Text „Vierundsiebzig“ über den Völkermord der Jesiden für sich entscheiden. Die Jury diskutierte weniger über die Qualität des Textes als darüber, wie man über Unsägliches schreiben und wie man darüber urteilen könne.

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Rony Othmann, links, mit Insa Wilke und BKS-Bank-Vorständin Herta Stockbauer
Bei der Onlineabstimmung konnte eine Stimme nur gezählt werden, wenn die Abstimmenden eine kurze Begründung mitlieferten.
Hier finden Sie einige dieser Begründungen:
- Wichtiges zeitgeschichtliches Zeugnis
- Ronya Othmann ist eine faszinierende und starke junge Frau, von der wir viel lernen können
- Bester, wichtigster Text und Nachwuchstalent, wow
- Interessantes literarisches Konzept, natürlicher Vortrag
- Aktuelle Thematik wurde literarisch hervorragend aufgearbeitet. Guter und mutiger Text
- Wichtiger Text mit politischer Aussage von hoher literarischer Qualität
- Der Text war berührend und stilistisch wundervoll
- Der beste Text, geschichtlich wahr und selbst erlebt, in wunderbarer Erzählweise geschrieben
- Es ist ihr gelungen, aus einer besonderen Position heraus, Unsagbares zu vermitteln
- Der Text hat mich tief beeindruckt
- Ein journalistischer Text mit Tiefgang und betroffen machender Sachlichkeit
- Eine Stimme, die gehört werden muss
- Glaubhafte Darstellung des Jesiden-Genozids
- Awareness und political consciousness are crucial for our society
- Der Text hat in distanzierter und zugleich unmittelbarer literarischer Weise berührt
- eine kraftvolle Erzählung
- wie Literatur sein sollte
- sie hat das Grauen ausgesprochen
- eine Sprache, die das laute Schweigen bricht
- Eindringlich, roh, direkt, in der Verzweiflung poetische Momente abgepresst wie kleine Fluchten
Winkels: Es war ein gutes Jahr
In seiner Schlussrede sagte Juryvorsitzender Hubert Winkels, er ziehe den Vorhang nun zu und könnte sagen, es sei ein gutes Jahr gewesen. Oder wie es Weinkenner sagen, ein guter Jahrgang.
Shortlist-Erstellung ganz transparent
Die Shortlist wurde in diesem Jahr transparenter gestaltet, insgesamt sieben Autorinnen und Autoren werden ausgewählt, aus diesen sieben werden die Preisträger gekürt. Wer nicht auf der Shortlist steht, kann keinen Preis mehr gewinnen. Die Juroren haben Punkte an je fünf Autoren vergeben (nicht an ihre eigenen) und diese Vergabe wird auch hier online veröffentlicht. Damit will man klarstellen, dass es keinerlei geheime Absprachen gibt und dass jeder Juror nach eigenem Ermessen urteilt - mehr dazu in Die Shortlist für die Preisvergabe.

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v.l. ORF-Landesdirektorin Karin Bernhard, Klagenfurter Bürgermeisterin Maria Luise Mathischitz, Leander Fischer, Birgit Birnbacher, Ronya Othmann, Julia Jost, Jannic Han Biao Federer, Landeshauptmann Peter Kaiser
Die Preise:
- Ingeborg-Bachmann-Preis: Gestiftet von der Landeshauptstadt Klagenfurt am Wörthersee in der Höhe von 25.000 Euro.
- Deutschlandfunk-Preis: Gestiftet von Deutschlandradio in der Höhe von 12.500 Euro.
- Kelag-Preis: Gestiftet von der Kärntner-Elektrizitäts-Aktiengesellschaft in der Höhe von 10.000 Euro.
- 3sat-Preis: Gestiftet von 3sat, dem Gemeinschaftsprogramm der öffentlichrechtlichen Fernsehanstalten ZDF, ORF, SRG und ARD in der Höhe von 7.500 Euro.
- BKS-Bank-Publikumspreis: Gestiftet von der BKS-Bank in der Höhe von 7.000 Euro. Am Samstag von 15.00 bis 20.00 war das Publikumsvoting freigeschaltet, der BKS-Publikumspreis ist gekoppelt an ein Stadtschreiberstipendium - mehr dazu in Preise und Preisstifter 2019.
Die Lesetage
Außer Hitze gab es auch hitzige Diskussionen, es zeichneten sich aber schon Favoriten ab, wie bei der Lesung von Katharina Schultens, die als allererste ins Rennen ging. Der erste Lesetag war ein „Frauentag“ mit fünf Autorinnen. Neben Schultens kam auch viel Lob für Julia Jost, auch Sarah Wipauer bekam einige gute Kritiken - mehr dazu in Erste Favoriten zeichnen sich ab.
Am zweiten Tag waren dann auch Männer an der Reihe, ihre Texte zu lesen. Daniel Heitzler kam gut an, gespalten zeigte sich die Jury bei Yannic Han Biao Federer - mehr dazu in Wohlwollende Diskussionen am zweiten Lesetag. Der dritte und letzte Tag sorgte für eine fast schon aggressive Diskussion über den Text von Martin Beyer über die Hinrichtung der Geschwister Scholl - mehr dazu in Spannung vor der Preisvergabe.