Jurydiskussion Martin Beyer

Martin Beyer las mit „Und ich war da“ einen Text über die Hinrichtung der Widerstandskämpfer Christoph Probst, Hans und Sophie Scholl. Eingeladen wurde er von Michael Wiederstein. Die Jury war über den Text erbost, er sei moralisch verwerflich, es wurde heftig gestritten.

Aus der Perspektive von August, dem Gehilfen des Scharfrichters Johann Reichhart, wird der Ablauf der Hinrichtung unter Missachtung der Chronologie geschildert. Rückblenden und persönliche Eindrücke geben Einblick in Augusts Leben und seine Wahrnehmung der Enthauptungen.

Martin Beyer

ORF/Johannes Puch

Martin Beyer

„Text erzählt Ungeheuerliches“

Den Anfang machte Jurorin Insa Wilke. Das sei eine interessante Figur, der Text erzähle etwas Ungeheuerliches. Er tue das aber auf eine Weise, als stehe am Anfang „Es war einmal“. Sie habe ein großes Problem mit dem Ich, uneindeutig bleibe, wo das Ich stehe. Was sie fundamental störe, sei, dass die historischen Personen instrumentalisiert werden. Historische Zitate werden verwendet, wobei aber Kitsch herauskomme.

Hildegard Keller sprach über die perfektionierte Tötung, über die der Text spreche. Der Henkersknecht sei eine enorm versehrte Figur mit zerfetztem Arm. Sein Wiederauftauchen aus dem Krieg werde kaum wahrgenommen. Sie habe sich gefragt, ob das, was Wilke bemängelt habe, mit der Erzählperspektive zu tun habe. Sie würde behaupten, man könne die Namen der Mitglieder der Weißen Rose beliebig austauschen. Von der Dimension der drei Menschen fehle alles, möglicherweise aufgrund der Erzählperspektive. Der Flashback an die Front sei seltsam. Für sie sei das Stoßende daran, dass die Figuren Christoph Probst, Hans Scholl und Sophie Scholl hohl seien.

Nora Gomringer widersprach, nichts sei hohl daran. Keller fragte: „Reicht der Name?“ Gomringer antwortete: „Mittlerweile.“

„Geschrieben, um Effekt zu erzeugen“

Der Juryvorsitzende Hubert Winkels erklärte, man habe „drei Heiligenbildchen klischeehaft hintereinander“, das sei „schwer auszuhalten“. Auch die Vater-Sohn Geschichte sei nicht besser. „Völlig klischiert, völlig emblematisch.“ Es sei ein Text „der so nicht geschrieben werden darf“. Er sei geschrieben, um Effekt zu erzeugen.

Michael Wiederstein ortete in der bisherigen Diskussion grobe Unterstellungen. Winkels sei „einen Schritt zu weit gegangen“. Es stimme, dass die Hingerichteten ausgetauscht werden können. Aber drei der von Johann Reichhart hingerichteten Personen seien eben diese drei Personen. Der Text funktioniere in seiner Ambivalenz. Hierbei von Instrumentalisierung zu sprechen, finde er äußerst problematisch. Winkels hingegen urteilte, es sei „eine obszöne Geste“, so über die Hingerichteten zu schreiben. Dem Widersprach Wiederstein.

dritter tag

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Klaus Kastberger

Juror Klaus Kastberger stimmte dem zu, dass der Text eine Grenze überschreite. Es gebe eine moralische Grenze, die hier überschritten werde. Der Text profitiere von den Opfern. So wie es hier sei, dürfe man nicht schreiben. Stilistische Mittel seien gelungen, das ändere aber nichts an der moralischen Verwerflichkeit des Texts. „Der Plauderton des Texts macht es so unerträglich“, fasste er zusammen. Er könne mit dem Text nichts anfangen. Geschockt widersprach Wiederstein, dabei gehe es nicht um Ausschlachten.

Leser werden Zeugen

Gomringer meinte, der Protagonist sei vom Krieg gezeichnet, er müsse sich wieder im Leben einfinden. Die drei Mitglieder der Weißen Rose bedeuten ihm nichts. Das Gesicht der Schuld stehe ihm aber gegenüber, ihm werde bewusst, was er da tue. „Wir alle werden Zeugen durch die Augen des August“, das sei alles gut erzählt.

Gmünder glaubte, der Protagonist sei vor allem Mitläufer. Man sei in der Figur. Dass die Historischen Personen genannt werden, sei ein Problem. Er störe sich auch daran. Gomringer hingegen meinte, die Tötung werde komplett kalt geschildert. Wiederstein sagte, es reihe sich Bild an Bild, da gebe es nichts Klischeehaftes.

dritter tag Wilke Keller

ORF/Johannes Puch

Hildegard Keller

Keller ging es nicht um Moral

Keller kam noch einmal auf das Literarische des Texts zu sprechen. Ihr gehe es nicht um Moral, sondern um die Frage der literarischen Machart. Ein Zeuge, der von nichts weiß, sei eine bekannte Figur. Was sei aber der innere literarische Sinn. Das seien die drei Figuren des Widerstandes. Niemand hinterfrage, weshalb der Grund ihrer Hinrichtung Hochverrat sei.

Wilke ortete Naivität. Die drei Mitglieder der Weißen Rose seien Staffage. Sie glaube, das Problem des Texts sei die Unentschiedenheit. Die kräftigsten Stellen des Texts seien historische Zitate, der Text selbst habe keine Kraft.

Wiederstein erkannte Reflexion im Text, der Leserin oder dem Leser werde aber überlassen, was man damit macht. Der Text stelle die Frage, wie man selbst in so einer Situation reagieren würde. Wilke sah diese Fragestellung nicht im Text.

Winkels beharrte darauf, dass es sich hierbei um eine Klischeegeschichte handle, dem widersprachen sowohl Gomringer als auch Wiederstein.

dritter tag Gmünder

ORF/Johannes Puch

Stefan Gmünder

„Amateurhaft Opfern gegenüber“

Kastberger gab Wiederstein insofern Recht, dass es um die Frage gehe, wie man selbst gehandelt hätte. Doch die Ausführung gefalle ihm nicht. Der Vorwurf sei ein fundamentaler: Der Text beraube die Mitglieder der Weißen Rose der Intimität ihrer letzten Minuten. Das sei amateurhaftes Verhalten den Opfern gegenüber.

Winkels erinnerte an die Diskussion über Ronya Othmann. Da habe man schon versucht zu zeigen, „welche Mittel gehen und welche Mittel nicht gehen“.