Jurydiskussion Tom Kummer

Der Schweizer Autor Tom Kummer las auf Einladung von Michael Wiederstein den Text „Von schlechten Eltern“, der die Jury polarisierte. Ganz überzeugt war sie vom Text nicht, die Diskussion war kontroversiell.

„Von Schlechten Eltern“ gibt Einblick in die Gedanken und Erfahrungen des Ich-Erzählers Tom, der Vater von zwei Kindern ist und nachts als Taxifahrer arbeitet. Auf den Fahrten plaudert er mit seinen Fahrgästen und gibt sich Erinnerungen und Fantasien hin.

Gleich zu Beginn äußerte Stefan Gmünder, dass man ein gewisses Verständnis für Pathos haben müsse, um dem Text Genüge zu tun. Er operiere mit vielen Elementen, auf der zweiten Ebene setze er sich mit Gespenstern, Toten auseinander. Üblicherweise werde die Schweiz als Gefängnis wahrgenommen wie bei Friedrich Dürrenmatt, hier werde sie als Geisterland kreiert. Gefallen habe ihm auch der Hinweis auf Montreux und auf Deep Purple.

Tom Kummer

ORF/Johannes Puch

Tom Kummer

„Das Ich ist der Autor selbst“

Auch Hildegard Keller urteilte, es sei „ein starker Text“. Das Ich sei gezeichnet vom Leben, im roadmovieähnlichen Kontext handle es sich klar um den Autor selbst. Eingestreut in die finstere Fahrt durch die Vergangenheit seien surreale Momente, die ihr sehr gefallen haben. Lust und Horror, Einbrüche ins Innenleben, das sei stark eingestreut.

Klaus Kastberger bekundete, er habe sich bei keinem Autor mehr gewünscht, dass sich die Drehbühne im Kreis drehe, als bei Kummer. Interessant fand er das Wortspiel, dass ein Autor mit dem Auto fahre. Der Text spiele mit Oberflächen und erinnere ihn an Werbetexte aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das Setting erlaube Machosprüche. „Kuratierter Wald“ sei ein Konzept, das er über die Schweiz gelernt habe, so etwas gebe es ja bald auch in Klagenfurt. In Bezug auf die Referenz zu Tolkien bekannte er, er habe schon immer vermutet, dass Mordor in der Schweiz liege. Insgesamt finde er jedoch zu viel Pathos im Text, an Nora Gomringer angelehnt, tat er kund, er sei „hinausgekegelt“.

Tom Kummer Inka Wilke

ORF/Johannes Puch

Insa Wilke

„Inszenierung des Unangenehmen“

Insa Wilke kritisierte, sie habe als Leserin das Gefühl gehabt, sie müsse ihre Reaktionen unter Kontrolle bringen. Der Text sei eine Inszenierung des Unangenehmen, er balanciere zwischen dem Unzulässigen und dem Zulässigen. Der Text habe etwas Exhibitionistisches, obwohl er das ständig auch entziehe. Er sei merkwürdig dünn.

Winkels warf ein, er sei eigentlich kein Freund von Kurzsätzen, es gebe aber eine gewisse 90er-Jahre-Popästhetik und Noir-Elemente, die den Text tragen. Eigentlich wolle er von einem Verlust erzählen, könne das aber aus dem Setting heraus nicht. Die Trauer komme in den Mustern zum Vorschein. Das Klischeeniveau gefalle ihm irgendwie. Es bleibe in den Möglichkeiten, die dieser Figur zur Verfügung stehen. Die Begrenztheit halte er für eine Evokation der Trauer, die glaubwürdig sei.

Wilke fand die Räume im Text interessant. Auf der einen Seite gebe es die Weite der Straße, andererseits beengende Räume. Sie glaube, dadurch entstehe jedoch ein Problem für den Text. Keller sagte, sie verstehe nicht, wieso man das so groß machen müsse. Man sehe einen Mann bei der Arbeit, der darum ringe, die Kontrolle zu behalten. Eigentlich sei ihm alles im Leben entglitten, das zeige sich sehr deutlich.

Hubert Winkels

ORF/Johannes Puch

Hubert Winkels

„Letzter Großstadtcowboy“

Einen „Lobgesang auf den letzten Großstadtcowboy“ erkannte Michael Wiederstein im Text „Von schlechten Erltern“, den er nach Klagenfurt eingeladen hatte. Der Protagonist stelle bald fest, dass er diese Zügel nicht in der Hand habe. Eine Komplette Welt liege auf dem Erzähler. Er werde von Eros und Thanatos gezogen. Der Eindruck, der Text sei dünn, könne sein, doch die Entwicklung der Dialoge sei stark. Das Episodenhafte erinnere an Richard Ford, aber auch an „Taxi Driver“. Dieser Film habe eine ähnliche Grundstruktur wie Kummers Text.

Wilke antwortet, das Dünne sei nicht in den Dialogen zu finden. Aber als Leserin werde sie unter Kontrolle gebracht. Es gehe permanent um den Versuch Kontrolle loszulassen. Wiederstein wollte wissen, wie der Text sie denn kontroliere. Wilke meinte, sie werde gezwungen, sich mit diesen Kontexten zu beschäftigen, das empfinde sie als Enge. Gmünder und Keller wundersten sich über diese Erklärung, da das von den Jurymitgliedern doch generell eher als Qualität gewertet werde.

„Absoluter Retrotext“

Kastberger warf ein, diese Diskussion interessiere ihn gar nicht, er wolle auf etwas anderes Bezug nehmen. Der Text habe etwas Retrohaftes, für ihn stelle sich die Frage, ob das in einer Woche auch noch funktioniere. Es sei ein „absoluter Retrotext“, die Dialoge seien gut innerhalb von Werbetexten, es „beamt uns in die 90er“, aber er frage sich, ob wir nicht schon weiter seien.

Keller hingegen gab an, sie kenne diese Art der Kommunikation von eigenen Fahrten dieser Art, für sie habe das nichts mit Retro zu tun, sondern mit der Arbeitssituation, in der der Protagonist sich befinde.

Was Wilke störte, versuchte sie neuerlich zu erläutern, sei, dass der Text manipulativ sei und im Gegensatz zur Trauer stehe. Winkels widersprach ihr und meinte, das sei im Kontext des Settings und der Figur überhaupt die einzige Möglichkeit, die Trauer zum Ausdruck zu bringen.