TEXT Sarah Wipauer, A

Sarah Wipauer liest auf Einladung von Klaus Kastberger den Text „Raumstation Hirschstetten“. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

1.

Gespenster entstehen zufällig. Sie fallen uns auf, wenn nach dem Tod eines Menschen, der sich nun nicht mehr selbst erklären kann, noch etwas Irreguläres von ihm vernehmbar bleibt: ein Klopfen, ein unberührtes, umgeworfenes Glas, ein kleines Irrlicht in einer Baumkrone, ein sich bauschender Vorhang, der die Kinder für Jahre vorsichtiger macht. Vielleicht sind es plötzlich auf dem eigenen Körper auftauchende große Flecken, für die es keine Erklärung, aber sehr wohl einen Namen gibt, vielleicht ist ein fußballfeldgroßes Gebilde, in glitzernde Isolierfolie gewickelt, das an warmen Sommernächten auf einem Feld in Wien Donaustadt nur für den müden, betrunkenen Spaziergänger sichtbar wird, vielleicht sind es Namen, die in manchen Büchern gedruckt sind, die sich aber auf keinem Grabstein der Welt finden.

Im Schloss Hirschstetten, das für eine lange Zeit am Rande einer großen Stadt stand, mag so manches Gespenst seinen Anfang genommen haben. Die Familie von Pirquet bezog es Ende des 19. Jahrhunderts, sie brauchte Platz für die sieben Kinder, die dort, auf diesem Schlossgrund, geboren wurden. Der berühmteste von ihnen würde Clemens von Pirquet sein, dem die Stadt Büsten und einen Gemeindebau widmen würde. Als Kinderarzt und Professor der Wiener Universitäts-Kinderklinik würde er für Allergien die Bezeichnung Allergie fixieren, den Tuberkulin-Hauttest entwickeln, ein Ernährungssystem, das hauptsächlich aus Kuhmilch und Zucker bestand, zusammenstellen, nach dem Ersten Weltkrieg die amerikanische Hilfsaktion zugunsten der unterernährten österreichischen Kinder organisieren, und sein Vorgänger Theodor Escherich, nach dem das E.coli Bakterium benannt ist, würde über ihn sagen: „Ich habe einen Assistenten, der ist zwar sehr tüchtig, aber er hat eine fixe Idee: Er bohrt mir alle Kinder an.“

Am 28. Februar 1929, als nach langen Wochen klirrender Kälte die Donau in Wien komplett eingefroren ist und es immer noch nicht zu tauen beginnt, nimmt sich Clemens von Pirquet gemeinsam mit seiner Frau Maria Christine das Leben.

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