TEXT Leander Fischer, A

Leander Fischer liest auf Einladung von Hubert Winkels den Text „Nymphenverzeichnis Muster Nummer eins Goldkopf“. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

„So, pass auf jetzt!“, noch wusste ich nichts über Ernstl, „Setz dich her!“, warum er immer barfuß war, warum seine Hände ständig zitterten, „Trink was!“, ob er längst das Delirium Tremens, oder einfach damals schon ein tattergreises Alter erreicht hatte. „Gentlemen!“, während Ernstl einschenkte, klackerte der Flaschenhals in solcher Frequenz auf das Glas, dass es fast ein einziger Ton wurde. Kurz trillerte das Geräusch noch im Zimmer, wurde immer leiser, verebbte, Stille. Ernstl stellte die halbvolle Doppelliterflasche auf die Tischplatte, an der wir nebeneinander saßen, jeder einen randvollen Pokal vor sich, beide den Blick durch das Fenster in den sonnengefluteten Garten gerichtet. Die Farbe des Mittagslichts und des Weins glichen sich. Es war nicht Ernstls erster. „Endlich“, sagte er, als seine Herbergsgeberin Nina draußen an die Grundwasserpumpe trat. Aus dem Hahn schoss sogleich ein glitzernder Strahl in einen Waschzuber.

Beim Aufprall spritzten die Tropfen durch die Luft, verwandelten sich in Weißwein und dann zu Spektralfarben, fielen auf die Gartenerde, als wäre nichts gewesen. Ernstl nahm einen Schluck, legte einen Köder zwischen uns, flüsterte: „Die Goldkopfnymphe, eines der fängigsten Muster, das wir kennen“, ob Ernstl von sich im Pluralis Majestatis sprach, oder die Gemeinschaft der Fliegenfischer meinte, oder beides, wusste ich ebenfalls nicht: „Bitte?“, sagte ich. „Bitte fortfahren, oder was?“ „Nein, bitte was, also, was bitte?“ „Ja, was, was bitte? Ist doch nicht zu missverstehen. Gold-Kopf-Nymphe! Murmel aus Gold, auf den Haken gefädelt, ist schwer, geht unter, Nymphe, im Gegensatz zur leichten Trockenfliege, die oben schwimmt“, Ernstl hielt währenddessen die Fliege direkt vor meine Augen, wozu er den Hakenbogen zwischen Daumen und Zeigefinger nahm. Seine Hand zitterte so stark, dass ich glaubte, gleich erwache der Köder zum Leben und schwirre durchs Zimmer. Doch dann warf Ernstl ihn wieder auf die Tischplatte, wo er reglos liegenblieb. Ohne dass ich einen Luftzug gespürt, Schritte oder die Türe aufgehen gehört hätte, ging Nina an uns vorbei in das Zimmer nebenan. „Aber was meinst du mit Muster?“ „Nina, Nina!“, schrie Ernstl durch die Tür. Sogleich erschien sie im Rahmen. „Sie haben mir einen Trottel geschickt, einen völligen Idioten.“

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