Mehrere Favoriten am zweiten Tag

Den Beginn des zweiten Lesetags machte die Deutsche Corinna T. Sievers, mit einem Text über Sex, der den Juroren zu wenig radikal war. Als Favorit kristallisierte sich der Text der Ukrainerin Tanja Maljartschuk heraus, auch Ally Klein und Bov Bjerg erhielten viel Lob.

Corinna T. Sievers wurde auf der Ostseeinsel Fehmarn geboren, sie lebt in Herrliberg am Zürichsee und las den Text „Der Nächste, bitte!“ auf Einladung von Nora Gomringer. Die Sexphantasien einer Zahnärztin, die Männer auf dem Behandlungsstuhl verführt, waren der Jury nicht radikal genug. Für Hubert Winkels ein ungewöhnlicher Text, sachlich und mutig. Für Elisabeth Keller reduziere die Me-Too-Kampagne Frauen oft auf die Opferrolle, hier werde eine Frau zur Täterin. Der Text sei von klinischer Sorgfalt, es fehle aber für sie die Radikalität, er sei „zu dünn“.

TddL 2018 Tag 2 Corinna T. Sievers

ORF/Johannes Puch

Corinna T. Sievers

Insa Wilke sagte, es sei ein Text „mit Handschuhen und Mundschutz“ geschrieben, handelt für sie aber nicht von Erotik. Sex und Körper werden mit „grotesker Ausführlichkeit“ beschrieben.

Es sollte eine Antwort auf männlichen Sexismus sein, es werde daraus aber eine Männerphantasie: „Die Frau, die es unbedingt will.“ Für Klaus Kastberger hat die Geschichte ein pornographisches Setting, sie sei Zeugnis einer Besessenheit - mehr dazu in Jurydiskussion Corinna T. Sievers.

TddL 2018 Tag 2 Ally Klein

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Ally Klein

Keine einhellige Begeisterung für Ally Klein

Mit ihrem stakkatoartigen Vortrag brachte anschließend die 1984 geborene Berlinerin Ally Klein viel Schwung in den Saal: Sie trug einen Auszug aus ihrem am 10. August im Grazer Droschl Verlag erscheinenden Debütroman „Carter“ vor - eine unheimliche und beklemmende Geschichte, die Annäherung einer Figur an eine Hütte, die mit einer Begegnung mit einer geheimnisvollen Frauenfigur schließt, die offenbar im Zentrum des Romans steht. „Selten erzeugt ein Debütroman eine derartige Sogwirkung wie ‚Carter‘.“, wirbt der Verlag. Dem konnten sich Klaus Kastberger und Stefan Gmünder anschließen: „Ein toller Text mit einem unheimlichen Sog. Ich bin sehr begeistert“, so Gmünder.

Dagegen fand Hubert Winkels den Text „in der Durchführung ein bisschen öde“: „Es ist ein vollkommen unterdeterminierter, unterkomplexer Text. Wir können uns da alles reindenken.“. Insa Wilke ortete viele falsche Bilder und Ungenauigkeiten - mehr dazu in Jurydiskussion Ally Klein.

Großes Lob für Maljartschuk

Die in Österreich lebende Ukrainerin Tanja Maljartschuk las auf Einladung von Stefan Gmünder den Text „Frösche im Meer“. Es geht um den Migranten und Hilfsarbeiter Petro, der sich mit einer dementen alten Frau anfreundet, die er im „Froschpark“ einmal kennengelernt hat und eines Tages vermisst. Er sucht sie auf, kümmert sich um sie und wird von Frau Grill für ihren Ehemann gehalten. Sein letzter Besuch verläuft allerdings ganz anders als erwartet, als schließlich die Polizei auftaucht. Petro hat jedoch keine Papiere.

Tanja Maljartschuk

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Tanja Maljartschuk

„Gut gemacht. Wir sind erleichtert. Endlich Literatur.“, eröffnete Nora Gomringer die Jurydiskussion. „Eine ganz einfache Geschichte, die aber sehr kompliziert ist“, meinte Insa Wilke. „Es geht um zwei Arten von Einsamkeit. Es ist ein abgründiger Text.“ Hildegard E. Keller ortete „eine Parabel über Randständigkeit, über Selbstauslöschung“. Einen „vom Hintergrund sehr harter Text“, ortete Klaus Kastberger: „Es ist nichts falsch an dieser Geschichte.“

Stefan Gmünder, der Maljartschuk eingeladen hatte, fand den Text „sehr schön und wahnsinnig gut gemacht. Sehr elegant. Super-Text!“ Michael Wiederstein zeigte sich ebenfalls „ganz erleichtert, dass wir endlich eine richtige Geschichte haben“. Kleine Einwände gab es gegen das Ende, das zum Teil als aufgesetzt empfunden wurde - mehr dazu in Jurydiskussion Tanja Maljartschuk.

Bov Bjerg

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Bov Bjerg

„Starker Text“ von Bov Bjerg

Der Text des Deutschen Bov Bjerg „Serpentinen“ wurde der von der Jury sehr gut aufgenommen. Im Text werden Episoden aus dem Leben des Ich-Erzählers Höppner und dessen siebenjährigen Sohnes dargestellt. Die Abschnitte des Texts bieten wenig Orientierung, jedoch werden nach und nach Zusammenhänge erkennbar. Dem gegenüber stehen einerseits die klare Sprache und andererseits ganz konkrete Situationen in der Vater-Sohn Beziehung. Hubert Winkels sah „schöne Dialoge“, der Text sei motivisch dicht. Für Wilke wird in der Enge ein Kosmos aufgebaut. Hildegard Keller meinte, einen „radikal erzählten“ Text zu lesen, eine raffinierte Spannung zwischen Kälte und Wärme. Einigkeit gab es in der Jury nicht, doch überwiegend stimmte man überein, es sei ein starker Text - mehr dazu in Jurydiskussion Bov Bjerg.

Videos live und on demand

Hier können Sie ab 10.00 Uhr die Lesungen live mitverfolgen und danach alle Videos on demand abrufen - mehr dazu in Videos live und on demand 2018.

Diskussion über Echtheit von Nefts Figur

Als letzter Autor des zweiten Tages las Anselm Neft seinen Text „Mach’s wie Milos“. Erzähler ist ein stark dem Alkohol zusprechender Obdachloser, der mit seinem Hund Lucy („Lucy ist nicht in erster Linie Hund. Sie ist in erster Linie Lucy.“) umherstreift und mit seiner Familie gebrochen hat. Aber: „Für einen Wandersmann ist zu wenig Platz. Es gibt schon genug Probleme. Und andere Gesetze gibt es auch. Die neue Regierung ist jetzt mehr fürs Volk und weniger für ihn.“ Lucy wird überfahren und der Outcast greift zum Schnaps: „Eine Gin-Gin-Situation.“

Anselm Neft

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Anselm Neft

Hubert Winkels sah ein Stationendrama mit imaginären Schauplätzen und zeigte sich „verstimmt über die Massivität der Mittel, mit der mir das Mitleid abgepresst werden soll“. „Ich finde den Text sehr überfrachtet“, meinte Insa Wilke, während Klaus Kastberger fand, dass der Text ein lockereres Ambiente gut vertragen hätte: „Auf einer anderen Bühne würde der Text besser wirken.“ Heftig und durchaus divers wurde die Frage diskutiert, ob der titelgebende Miltos eine eingebildete oder eine reale Figur sei. Nora Gomringer, die Neft eingeladen hatte, fand gleich „zwei Hinweise darauf, dass Miltos kein Hirngespinst ist“. Und Hildegard F. Keller hatte mindestens zwei Fragen an Text und Autor: „Ist das jetzt ein Schizophrener? Hat er seine Familie umgebracht?“

Den dritten und letzten Lesetag bestreiten Jakob Nolte, Stephan Groetzner, Özlem Özgül Dündar und Lennardt Loß - mehr dazu in Die Lesereihenfolge 2018.

Preisverleihung am Sonntag

Am Sonntag werden von den sieben Juroren, unter denen die deutsch-schweizerische Autorin Nora Gomringer, Bachmann-Preisträgerin aus dem Jahr 2015, und die deutsche Literaturkritikerin Insa Wilke neu sind, die Preise vergeben: der mit 25.000 Euro dotierte Bachmann-Preis, der Deutschlandfunk-Preis (12.500 Euro), der Kelag-Preis (10.000 Euro), sowie der 3sat-Preis (7.500 Euro). Das Publikum bestimmt via Internet, wer den mit 7.000 Euro dotierten BKS-Bank-Publikumspreis mit nach Hause nimmt. Im Vorjahr gewann Ferdinand Schmalz den Ingeborg-Bachmann-Preis – mehr dazu in Ferdinand Schmalz gewinnt Bachmannpreis.

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