Jurydiskussion Raphaela Edelbauer

Raphaela Edelbauer liest den Text „Das Loch“ auf Einladung von Klaus Kastberger. Die Jury diskutierte angeregt über Figuren und Stilmittel des Textes.

„Das Loch“ handelt von einem ehemaligen Bergwerk, in dem ursprünglich Kalk abgebaut wurde und das später zur Vertuschung von NS-Verbrechen diente. Nun soll es, um der Statik Willen, aufgefüllt und stabilisiert werden. Der Ich-Erzähler gibt zunächst Einblick in die Geschichte des Bergwerks. Während die Hintergründe erläutert werden, beschreibt sich der Auffüllungstechniker als Fremdling in den Augen der Einheimischen.

Jury Lesung Edelbauer

ORF/Johannes Puch

Raphaela Edelbauer

Der eigentliche Protagonist des informationsdichten Texts ist aber das Bergwerk. Während seines etwas mehr als hundertjährigen Bestehens ist es unter anderem als Nebenstelle des Konzentrationslagers Mauthausen in Verwendung. Gegen Kriegsende wird der Befehl erteilt, 2.000 Gefangene zu beseitigen. Edelbauers Text geht mit der Schilderung des Geschehens ins Detail. Ihr Werk endet schließlich in der Gegenwart des Erzählers und mit dessen Abfahrt.

Gut, aber wacklige Statik

Die Diskussion rund um „Das Loch“ wurde von Jury-Neueinsteigerin Insa Wilke eingeleitet. Ihr gefalle die Figur des Auffüllungstechnikers gut, da er viel ermögliche. Er sei eine spezifische Figur, ermögliche aber auch das Loch als eine Entität im kollektiven Gedächtnis zu erfahren. Sie störe sich aber am Mittelteil des Texts, wo die Statik nicht mehr stimme. Edelbauer sei zu schnell wieder beim Auffüllungstechniker, ihr fehlte der Übergang von der Schilderung des Verbrechens zur Erfahrung und den Emotionen des Ich-Erzählers.

Jury Lesung Edelbauer Insa Wilke

ORF/Johannes Puch

Insa Wilke

Juryvorsitzender Hubert Winkels las den ganzen Text als die Darstellung einer Unheilsgeschichte und ergänzte, eine derartige Thematisierung der Außenstelle des KZ Mauthausen könne heikel sein, sei aber legitim. Er habe mehr Probleme mit der Figur des Ich-Erzählers. Man habe es mit einem fast sachlichen Bericht zu tun. Der Erzähler müsste ein Distanzverhältnis dazu haben, diese Figur sei aber eigentlich Teil dieses Unheils. Zusätzlich sei sie auch zur Distanz fähig, wozu sie jedoch zu wenig ausgearbeitet sei. Der Erzähler könne nicht aus dem Verdrängungszusammenhang aussteigen. Das Unheil könne man auch als Teil einer erotischen, machtbesessenen Gier und Begierde verstehen. Erotik gebe es immer nur als Andeutung, man hätte sie aber entweder ausarbeiten oder ganz weglassen müssen.

Protagonist Teil der Verdrängungskultur

Nora Gomringer, in diesem Jahr zum ersten Mal Teil der Jury, meinte, diese Haltung des Ich-Erzählers, der wiederholt nur seine Aufträge zu erfüllen, würde eigentlich das Bild des verprellten Akademikers komplettieren. Aber er werde Teil der Verdrängungskultur. Sie stimmte der Idee der Unheilsproblematik zu.

Stefan Gmünder nahm auf die Form Bezug und erklärte, der distanzierte Protokollstil sei sehr gelungen. Die Geschichte sei seiner Meinung nach gut gezeigt. Man könne bei diesem Thema leicht zu weit oder nicht weit genug gehen. „Das Loch“ halte die Äquidistanz. Es sei ein für ihn sehr gelungener Text.

Jury Lesung Edelbauer Nora Gomringer

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Nora Gorminger zum ersten Mal in der Jury

Hildegard Keller fielen zwei Punkte an der Sprache auf. Der Erzähler richte sich an ein „Sie“, aber sie lese den Text nicht als Protokoll, dafür sei er zu eloquent. Sie frage sich, wen der Protagonist anspreche, es wirke unentschieden. Die Figur sei außerordentlich gelungen, aber das viele Füllmaterial scheine für diese Perspektive nicht geeignet.

„Weniger wäre mehr gewesen“

Michael Wiederstein stimmte der Meinung zu, dass die Statik im Text nicht stimme. Dem Text hätte es gut getan, auf Füllmaterial zu verzichten, auch hätte die Frau keine richtige Funktion. Weniger wäre mehr gewesen, dann wäre die Macht der Bilder leichter zu entdecken gewesen. Wilke fand die Figur der Frau schlüssig, sie lese sie als jemanden, bei dem der Erzähler seine Beichte ablege.

Tag 1 Hubert Winkels

ORF/Johannes Puch

Hubert Winkels

Sie wandte sich an Klaus Kastberger, der den Text vorgeschlagen hatte und fragte, ob die Passagen über Mauthausen nicht eigentlich als Bericht in den Text hineingearbeitet und die wertenden Töne gestrichen werden müssten. Beim Lesen hätte sie das Bedürfnis gehabt zu erfahren, was tatsächlich recherchiert war und was Fiktion. Die Sprünge zu Gefühlen wie Angst und Begehren konnte sie nicht nachvollziehen.

Bild der Pferde bleibt hängen

Kastberger drückte seine Hoffnung aus, dass sie sich auch am Sonntag noch an die Intensität des Texts erinnern würden. Das Bild der Pferde, deren Augenlicht ausgelöscht wird, sei so ein Bild, das hängen bleibe. Das metaphorische Bild des Ausstechens der Augen sei dem Bild der Gefangenen entgegengesetzt. Das eine sei ein metaphorisches Verfahren, das andere wörtlich zu verstehen. Die Intensität ergebe sich aus der genauen Beschreibung der Tötungen. Die Diskussion habe gezeigt, dass es sich um einen dichten Text handle, der sich nicht mit einmaligen Lesen erschöpfe.

Außerdem habe der Text einen starken österreichischen Hintergrund, er greife Traditionen auf und führe sie in einer aktuellen Form weiter. Die Art und Weise wie die Geologie des Loches beschrieben wird, überzeugte ihn. Der Text sei präzise, nichts sei überflüssig. Was den Text innovative mache, sei die Art wie durchaus unterschiedliche Dinge kombiniert werden. Brillant gelöst sei auch der Körper des Erzählers. Die zentralen Themen seit 1945 würden hier zusammengefasst werden.

Jury Lesung Edelbauer

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Kastberger, Wilke, Gmünder, Winkels, Keller, Wiederstein, Gomringer v.l.

Gomringer: Alle Männer Auffüllungstechniker

Gomringer fand das Bergwerk auch spannend, die Pferde gehen hinab, so auch der Auffüllungstechniker, was eine erotische Note habe. Mit der Bemerkung, dass damit „alle Männer Auffüllungstechniker“ seien, erntete Gomringer einige Lacher aus dem Publikum. Vorzufinden sei auch Zynismus und Ironie, da sich der Erzähler auch als Held in einem Western begreife. Die Frau erkenne ihn als unfähig. Gomringer: „ich finde das super“.

Wilke: „Widerspruch“

Wilke befand, die Präzision sei natürlich bedeutend. Die blinden Pferde würden aber im Widerspruch zur eigentlichen Aussage des Texts, wobei es darum gehe, dass man nur mit offenen Augen ins Bergwerk könne. Noch immer habe sie keine Antwort auf den Zusammenhang zwischen Angst, Neugier und Erotik erhalten.
Winkels meinte, der Text sei schon gut. Es gehe auch um ein Freud’sches Schema, der Todestrieb und die Libido hätten dieselbe Energie, das sei schon stimmig ausgearbeitet. Ihn störe aber die Art wie der Erzähler spreche. Er sollte aufgrund seiner Ausbildung eigentlich nicht so sprechen können.

Parabel für die Welt

Keller widersprach der früher erwähnten Idee der Beichte. Eigentlich sei das Loch eine Parabel für die Welt, man wisse nicht, wie lange sie standhalten würde. Die Welt der NS-Zeit sei von Zahlen definiert gewesen, die Prämisse der Sprache passe aber in den Techniker nicht hinein.

Gmünder bekräftigt, je besser ein Text, desto offener die Interpretation“. Das spreche auch für die Qualität dieses Texts. Man müsse sich dem Gefühl der Sprache hingeben „und Schluss“.
Kastberger sei bei der Diskussion ausgestiegen. Er stieß sich daran, dass wiederholt gesagt wurde, was der Text hätte sein können. Laut ihm sei der Text all das. In der Steiermark habe es vor einigen Jahren ein Bergwerk gegeben, das einstürzte, wobei die Rettungsmannschaft verunglückte. Alle Experten hätten alles gesagt, das Thema sei erledigt gewesen. So sei ein Pfarrer zum Interview eingeladen geworden, der gesagt habe, „es ist völlig egal von welcher Seite man die Wahrheit anbohrt“. Er habe diesem Unglück eine zusätzliche Dimension gegeben. Dies stimme auch für Edelbauers Text.

Wiederstein konterte, der Text sei nicht so präzise, wie hier getan werde. Das Loch sei am Ende keine Leerstelle mehr, was dann doch präzise sei.

Gomringer war Zeitablauf nicht klar

Gomringer meinte, man sei irritiert, da die Tektonik und der Zeitablauf nicht klar seien. Man könne da noch mehr Bericht einfügen. Ihr gefalle aber, wie der Erzähler die anderen arbeiten lässt, das komplementiere ihn. Sie habe das Gefühl, es gebe den Auffüllungstechniker und einen allwissenden Erzähler. Wilke stellte klar, man sei es den Texten hier schuldig präzise vorzugehen, man könne nicht verallgemeinern und sagen, das Loch stehe für die Welt.

Schließlich fasste Moderator Ankowitsch die Diskussion zusammen. Erstens habe die Jury bereits nach der ersten Lesung geschafft ihr gesamtes Instrumentarium vorzuzeigen. Zweitens: Alle Männer seien Auffüllungstechniker. Drittens: Die Jury habe schon jetzt begonnen, selbstreferenziell ihr eigenes Vorgehen zu reflektieren.