TEXT Özlem Özgül Dündar (TUR)

Özlem Özgül Dündar liest den Romanauszug „und ich brenne“ auf Einladung von Insa Wilke. Sie finden hier einen Auszug des Textes und den gesamten Text zum Nachlesen im .pdf-Format.

mutter 1

ich setze meinen fuß und dann den anderen ich setze meine füße voreinander und spüre den boden unter ihnen diese mit asphalt bedeckte erde und die härte die sie mir entgegenbringt meine alternden füße immer nachgiebiger die muskeln lösen sich auf und die knochen werden schwächer und meine füße tragen mich mein ganzes gewicht und die füße sie setzen sich voreinander jeden tag setzt sich ein fuß vor den anderen und ich gehe schritte und immer schritte und wie viele schritte kann ein mensch in einem leben gehen als ich jung war dachte ich unendlich viele dann merke ich irgendwann das ist vielleicht so die mitte meines lebens und die erste hälfte ist jetzt vorbei von diesem moment an fühlen sich die schritte nicht mehr unendlich an ab da bekommen sie eine bestimmte begrenzung denn alles hat eine bestimmte zahl eine menge verstehst du die menge von etwas ist immer begrenzt alles hat eine ganz bestimmte stückzahl und meine füße kennen nur noch diesen einen weg mit dieser einen stückzahl und er führt ins feuer und ich gehe einkaufen und stehe im feuer ich bringe meine enkeltochter am morgen zur schule und stehe im feuer ich sitze beim frühstück und rieche das feuer ich liege im bett und spüre die hitze des feuers in meinem gesicht und ich bin bei einer hochzeitsfeier und stehe in der mitte tanzender menschen und stehe im feuer und meine ganze familie steht darin und dieser moment ist so fix er ist so unverrückbar fix in mich eingehämmert praktisch in mein gehirn gemeißelt mehr als mein name noch in die bahnen meines gehirns gehämmert in meine zellen und jede winzige zelle steht mit mir im feuer und dort verharre ich nicht in stein sondern in mein gehirn gemeißelt ist der punkt verstehst du der moment in der die schritte meiner familie beendet werden tränen weine ich nicht mehr auch die stückzahl von tränen ist begrenzt auch die sind nicht endlos irgendwann kommen keine tränen mehr die augen hören einfach auf sie sind dann leer kennst du diesen moment in dem die tränen aufhören und dir bleibt nicht einmal mehr das weinen auch das wird dir genommen du willst vielleicht noch weinen aber die augen machen einfach nicht mehr das ist der moment in dem dir auch die tränen genommen werden wo auch die stückzahl der tränen endet alles hat ein ende und dennoch hat es kein ende denn im feuer verharrst du für immer und wenn deine tränen alle verweint sind dein körper erschöpft ist und leer ist dann wirst du zur ruhe selbst fliegst ganz leicht über den dingen und fliegst über alles hinweg und du bist ein vakuum die leere selbst und dann treibst du

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IBP 2018 TEXT Oezlem Oezguel Duendar und ich brenne
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