Karin Peschka: Wohlwollende Jurydiskssion

Die Österreicherin Karin Peschka las auf Einladung von Stefan Gmünder den Text „Wiener Kindl“ über ein kleines Kind, das in einem ausgebombten Haus überlebte und von einem Rudel Hunde adoptiert wird. Die Jury war wohlwollend und sah eine „Wolfskindgeschichte“.

Die in ihrer Entwicklung gehemmte Titelfigur aus Karin Peschkas „Wiener Kindl“ trägt neben einem Rudel sich selbst überlassener Hunde die Geschichte des ersten Teils ihrer Erzählung, die im August dieses Jahres erscheinen soll. Im postapokalyptischen Wien gibt es bis auf diese Protagonisten und einen „Verrückten“ keine Überlebenden mehr, über den Grund und die Hintergründe der Katastrophe erfährt man nichts.

Analepsen und wäre-alles-wie-gehabt Abschnitte geben Einblick in die Besonderheiten des Kindes, das zum Anführer des Rudels wird und schließlich trotz seiner vermeintlichen Behinderung ungeahnte Fähigkeiten entfaltet. „Man muss sich zu helfen wissen“ ist eine der Kernaussagen des Auszugs.

„Gute Eröffnung des Lesereigens“

Hubert Winkels meinte der Text sei eine gute Eröffnung des Lesereigens. Er habe einen einfachen Duktus, einfache Sätze. Es sein eine klar umrissene, einfache Geschichte. Das Kindl selber sei nicht sprachfähig, das spiegle die Art des Schreibens wider. Es ähnle dem leichten Bellen eines Hundes, die Instinkte der Tiere nähern sich dem kleinen Kind an.

Der Text sei ein Emblem der Apokalypse, das Kernmotiv die Erlösung einer untergegangenen Welt. Außerdem fand Winkels darin eine neue Religionsstiftung. Was ihn störte, seien die manchmal unsauberen Perspektivenwechsel, manchmal werde der Text auktorial. Er bemerkte ein paar handwerkliche Fehler. Die Geschichte sei zu einfach, es werde nur feingemalt, was ihm ein wenig zu wenig sei.

Diskussion Peschka

ORF/Johannes Puch

„Mogli im Wiener Dschungel“

Für Sandra Kegel ist es eine Gesellschaft, die vor die Hunde geht, eine Zivilisation breche zusammen. Das schwächste Glied einer Familie überlebe, das Kind und die Hunde. Das Kind in der alten Welt war ein Opfer von Verzärtelung, ebenso wie die Hunde, wie Moses, wie Mogli im Wiener Dschungel. Der Text finde „schöne Bilder“, die Origamivögel werden zum Beispiel durch echte Vögel ersetzt.

Meike Feßmann meinte, sowohl Tiere als auch Kinder wurden verwöhnt und müssen jetzt die Naturwüchsigkeit wieder lernen. Das sei ein interessantes Element des Wolfskindes. Auch die Hunde müssen wieder lernen, sich selbst zu ernähren. „Das Setting ist sehr schlicht gewählt“, so Feßmann, aber in der Anlage sei das Umschlagen eines Zivilisationsprozesses in Naturwüchsigkeit interessant.

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ORF/Johannes Puch

Sandra Kegel

Elisabeth Keller: „Ich habe den Text gelesen und gehört wie ein modernes Märchen.“ Es sei ein Hybridtext, der verschiedene Allusionen berge. Sie fühlte sich erinnert an die Geschichte Roms, wie das Kind an den Zitzen saugt. Es gebe verschieden Elemente, wie den Silberlöffel, die Klangschale aus der Klangtherapie, Dosen, die Verzögerung im Erwerb der Sprachkompetenz, die Motive der Gegenwart seien, die sich mit zeitloseren Motiven ergänzen. Die Kombination im Motivischen lasse sie aber an der Qualität des Texts zweifeln, die gestauchte Sprache, „das kommt für mich noch nicht ganz zusammen“.

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ORF/Johannes Puch

Klaus Kastberger

„Haben die Apokalypse hinter uns“

Kastberger meinte, mit der Apokalypse den Lesereigen anzufangen sei gut, denn „wir haben die Apokalypse hinter uns“. Als literarisches Thema sei sie immer da. Vieles kann schief gehen, wenn man die Apokalypse beschreibt. Generell gebe es zwei Orte für die Apokalypse: amerikanische Großstädte in Hollywood-Filmen oder Wien in literarischen Texten. Was erzählt werde, sei für ihn glaubhaft: „Hunde sind für mich unberechenbare Wesen, ich glaube, Peschka weiß, was Hunde tun.“

Für Stefan Gmünder ist der Text „große Kunst“. Es sei schon immer das Privileg der Literatur gewesen, aus Schwäche Stärke zu machen. Der letzte Mensch werde zum ersten Menschen, diese Metapher „schätze“ er „sehr“. Er fühlte sich unter anderem an Bernhards „Ein Kind“ erinnert. Peschkas Text sei ein großes Wagnis, die Perspektive sei in seinen Augen neutral gehalten, es gebe immer eine neutrale Stimme, der Text sei sauber gearbeitet.

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ORF/Johannes Puch

Michael Wiederstein

„Ambitionierter Genremix“

Wiederstein befand, der Genremix sei recht ambitioniert. Er entdeckte im Text eine Verschmelzung von „Guck mal wer da spricht“ und dem „Dschungelbuch“ oder „Walking Dead“. Erzählerisch sei da zu wenig Reduktion, man hätte mehr auf das Kind reduzieren können. Das nehme die Poesie vom Moment wieder weg, man könnte ein Achtel des Texts streichen, dann wäre er gelungener.

Gmünder mochte die poetischen Stellen. Würde man es reduzieren, könnte es zu lieblich werden. „Es gab keinen mehr der die Stufen hinaufgehen könnte“, das sei zu viel, man merke ja, dass niemand mehr da sei, so Wiederstein.

Kastberger ergänzte, wenn man nur ein Achtel weglassen müsste, wäre die Literatur besser. Das sei ein Lob, es gebe vermeintliche Einfachheit, sprachlich sei der Text einfach, aber das sei kein Vorwurf. Denn er sei präzise in der Fokussierung. Die Einfachheit der Sprache und der Situation seinen emblematisch, der Text spare bewusst alles andere aus.

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