Betrunkene Bäume und denkende Eier

Die Texte von Ada Dorian und Sharon Dodua Otoo wurden am Samstag wohlwollend diskutiert, Otoos Text erinnerte Klaus Kastberger an Thomas Bernhard. Astrid Sozios Text kam nicht gut an, viel Lob erntete Dieter Zwicky, der schon 2007 beim Bachmannpreis las.

Die Deutsche Ada Dorian kam auf Einladung von Hildegard E. Keller nach Klagenfurt und las am Samstag als erste den Romanauszug „Betrunkene Bäume“. Der Text ist eine Art Familienaufstellung, wobei mehrere Handlungsäste angerissen werden. Erich ist ein alter Mann, der einen veritablen Wald in seiner Wohnung angelegt hat, was er vor den anderen verheimlicht. Er lebt in der Vergangenheit und vermisst seine Frau. Seine Tochter will ihn ins Heim stecken und als sie den Wald entdeckt, tut sie es auch.

Tag 3 Ada Dorian

Johannes Puch

Ada Dorian

„Fein geknüpfter Text“

In der Wohnung nebenan versteckt sich ein junges Mädchen, das von zuhause ausgerissen ist. Sie schwänzt die Schule und vermisst ihren Vater, der nach Sibirien gegangen ist, um dort zu arbeiten. Die Verbindung mit ihrem alten Nachbarn ist damit hergestellt, denn er stammt von dort, dem „Fluchtpunkt Sibirien“.

Stefan Gmünder fand den Text „fein geknüpft“, wie Jurykollege Hubert Winkels habe er am Anfang Unsicherheiten gespürt. Sandra Kegel meint, der Text sei funktional wie ein IKEA-Regal und wolle auch keine Avantgarde sein. Gmünder sah den Text „motivisch fein gearbeitet“, ein Text über das Wachsen, der auch selbst wächst - mehr dazu in Jurydiskussion Ada Dorian.

Humor von Otoo

Nach ihr las Sharon Dodua Otoo auf Einladung von Sandra Kegel den Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“. Damit brachte Otoo Humor in den Wettbewerb. Die in London geborene Schriftstellerin beschreibt ein spießiges Pensionistenpaar. Herr Gröttrup ist ein klassischer Patriarch, der seiner Frau genau vorschreibt, wie lange sie sein Frühstücksei zu kochen hat. Und mitten in diese Idylle platzt ein siebeneinhalb Minuten lang gekochtes Ei, das nicht hart ist und ihn anspritzt, als er es köpft. Denn das Ei ist nicht einfach nur ein Ei, sondern beherbergt ein Bewusstsein, das als Ich-Erzähler auftritt.

Sharon Dodua Otoo

ORF/Johannes Puch

Sharon Dodua Otoo

„Thomas Bernhard dröhnt mit“

Es hat diese Form der Verstofflichung gewählt, dabei aber nicht damit gerechnet, gekocht zu werden. Um dem alten Kontrollfreak eins auszuwischen, beschloss das Ei, nicht hart zu werden. Das Bewusstsein schlüpfte immer wieder in stoffliche Dinge wie etwa einen roten Teppich oder auch einen Lippenstift, wobei es sich ausgerechnet um einen Lippenstift von Frau Gröttrup handelte. Ziel des Bewusstseins ist es aber eigentlich, geboren zu werden. Laut Hubert Winkels ein Text, der langsam beginnt, sich zur Farce steigere. Keller fand die Wendung, dass das Ich als Ei spricht, verblüffend und gelungen.

Preisverleihung

Am Samstag konnte zwischen 15.00 und 20.00 Uhr online über den Publikumspreis abgestimmt werden. Am Sonntag ab 11.00 Uhr werden die vier Preise vergeben. Danach stellen sich die Gewinner der Presse. Preisverleihung und Pressekonferenz werden live übertragen und sind danach on demand im Internet abrufbar.

Klaus Kastberger sagte, er sei vom Genre nicht zu unterschätzen. Der Text von Thomas Bernhard anlässlich einer Bundespräsidenten-Wahl in Deutschland „Der deutsche Mittagstisch“ dröhne in Otoos Text mit - mehr dazu in Jurydiskussion Sharon Dodua Otoo.

Text von Astrid Sozio begeisterte nicht

Ein ehemaliges Hotel mit einer einzigen Bewohnerin, die jeden Tag die Zimmer putzt, obwohl es längst keine Gäste mehr gibt, in dieses Setting verortet Sozio die Vereinsamung der Deutschen und die Trostlosigkeit von Flüchtlingsschicksalen, die sie aufeinandertreffen lässt. Die Ich-Erzählung ignoriert die politische Korrektheit und spricht ständig von „der Negerin“, ein minderjähriges Flüchtlingsmädchen aus Ghana. Die bricht ins Hotel ein, lädt dort ihr Handy auf und wird von der Protagonistin entdeckt. Ihre Absicht, die Polizei zu rufen, setzt sie dann aber doch nicht um, sondern entwickelt sogar eine gewisse Sympathie für das Mädchen.

Astrid Sozio

ORF/Johannes Puch

„Kurzschlussliteratur“ am Problem vorbei

Juryvorsitzender Hubert Winkels konstatierte, es gebe erneut einen Einbruch des Fremden in die gewohnte Ordnung, dieser sei aber viel zu schematisch gemacht. Sandra Kegel bezeichnete den Text als „Kurzschlussliteratur“, er trivialisiere das Problem. Hildegard Keller zeigte sich nicht überzeugt von der Erzählerin, die einerseits sehr archaisch gezeichnet sei, andererseits plötzlich Englisch könne.

Meike Feßmann befand, der Text sei „völlig missglückt“ in der Behandlung des Themas, man hätte der Autorin von dieser Methode abraten sollen. Auch Stefan Gmünder äußerte starke Bedenken. Klaus Kastberger stieß sich an der Nicht-Notwendigkeit, gezählte 13 Mal das Wort „Negerin“ zu verwenden. Für ihn gingen an allen Ecken und Enden Fragen auf, nur für eine Versuchsanordnung mit diesen Dingen sei das Thema zu wichtig. Juri Steiner, der Sozio vorgeschlagen hatte, sah sehr wohl etwas Aufklärerisches in dem Text, der ihn schon gepackt hätte - mehr dazu in Jurydiskussion Astrid Sozio.

Dieter Zwicky

ORF/Johannes Puch

Dieter Zwicky

Zwickys Text kam gut an

Dieter Zwicky las den Text „Los Alamos ist winzig“ auf Einladung von Juri Steiner. Zwickys Protagonist ist Ingenieur, der seinen Zungenkrebs überwunden hat, mit seiner Partnerin in Los Alamos durch diverse Lokale zieht und dabei viel Weißwein konsumiert. Was ihm in dieser fremden Welt fehlt, ist das Sauerkraut. Diverse Locations werden gezeichnet, Querverweise auf die Entwicklung der Atombombe sind eingebaut. Der Ingenieur geht einkaufen, plaudert auf der Parkbank mit einer alten Dame, nur um festzustellen, dass er ihren Sohn kennt, der Friseur in England ist. Am Ende sitzt er mit seiner Frau beim Abendessen und macht ihr eine Liebeserklärung, die sie mit Tränen quittiert.

Lob für ruhigen Vortrag

Feßmann sah einen wunderbaren Abschluss für eine „sehr schöne Rondo-Konstruktion“. Der „etwas irre Ich-Erzähler“ sei ein „Verkleinerungskünstler“. Kastberger fand den Text faszinierend, man wisse nie genau, ob es noch Idylle sei oder schon Apokalypse. Der Weltuntergang sollte von einem Schweizer Kommentator vorgetragen werden, die hätten so einen beruhigenden Tonfall, so Kastberger. Keller stellte fest, dass der Text kein Zentrum habe, er sei labyrinthisch, ja, frenetisch, das sei genau der Trick. Kegel konstatierte: „Dieser Text spricht in Rätseln.“ Das mache aber überhaupt nichts. Steiner bekundete „frenetische Freude“ mit diesem Text. Winkels hingegen sprach von „Nonsenspoesie“, die ihm nicht zusage - mehr dazu in Jurydiskussion Dieter Zwicky.

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