Jurydiskussion Marko Dinic

Marko Dinic las auf Einladung von Klaus Kastberger den Romanauszug „Als nach Milosevic das Wasser kam“. Er war der einzige Autor, der stellenweise serbisch sang. Die Jury urteilte überwiegend positiv.

An Textstellen, an denen der Protagonist Musik hört, sang Dinic in Serbisch „Balkane moj“ und vermittelte somit zusätzlich die Stimmung im Jugoslawien der 90er-Jahre. Der Ich-Erzähler ist ein junger Maturant im Jahre 2006, der auf dem Weg zur Schule über den Beginn des Krieges in Serbien 1999 nachdenkt. Er sinniert über die nicht weit zurückliegende serbische Geschichte, typisch serbische Verhaltensweisen und Charakterzüge, grübelt über die eigene Anpassung an von Eltern gelebte Werte und dem Gruppenzwang und der prekären gesellschaftlichen Lage geschuldete, teils rechtswidrige Taten.

TDDL 2016 Marko Dinic

ORF/Johannes Puch

Mitten in der Reflexion enthüllt er seinen Wunsch, nach Österreich oder Deutschland auszureisen, um dort ein Studium zu beginnen. Mit Serbien und den für ihn enttäuschenden Idolen hat er abgeschlossen.

Dank von Hubert Winkels

Hubert Winkels bedankte sich für den gut vorgelesenen Text, die Darbietung sei „langsam und pointiert“ gewesen. Es gebe zwei Zeiten, die eine Rolle spielen, das Jahr 2006, als der Junge maturierte, und das Jahr 1999, als er 13 Jahre alt war. Der Text befasse sich mit der Schuld der Väter, die mitgemacht worden sei. Der Wald, durch den der Protagonist gehe, sei der Wald der Angst.

Das Ganze sei unglaublich klar und sehr profiliert. Daher fragte sich Winkels, warum aus dem Abstand zu 2006 nicht noch etwas gemacht wurde. Zum Schluss merkte er aber, dass das gezeichnete Bild genau dadurch klar wurde. Dieses streng gezeichnete Bild fand er gerade in der Beschränkung gelungen. Die Figuren fand er aber schablonenhaft.

Feßmann überzeugt

Meike Feßmann meinte, der Autor habe sich auf das Alter einer Coming-of-Age-Geschichte festgelegt. Durch diese Reduzierung erfahre man verschiedene Schichten der Erzählung. Der Wald werde immer wieder beschrieben. Man denke sich eigentlich, es reiche, dass immer wieder betont wird, dass es sich um Erinnerungen handelt. Dann wird er aber metaphorisch eingesetzt, „der Text hat sehr überzeugt.“

Jury Winkels Juri Steiner

Johannes Puch

Winkels und Steiner

Juri Steiner sah, dass aus der Angst heraus die Wahrnehmung der Sterblichkeit steige. "Die Angst taucht auf, deshalb hat er beim Lesen nach einer dritten Phase gesucht. Die Angst ist da, ist implementiert.“ Der Erzähler möchte eigentlich abhauen. Er wählt die Flucht, könne aber nicht abhauen. Man würde ihm gönnen, dass er den Bus erreiche. So wie der Text jetzt sei, habe er etwas von Sentimentalität, das konnte Steiner „nicht nachvollziehen.“

Frage nach der Distanzierung

Stefan Gmünder sagte, die Geschichte sei präzise in der Zeit loziert. Als starkes Element empfand er das Symbol des Netzes. Dieses ziehe sich durch den Text. Deshalb war er von Anfang an vom Text überzeugt.

Auch Sandra Kegel gefiel der Text: „Erinnertes und Erlebtes kommt zusammen, das ist schön gemacht.“ Der Text habe auch eindringliche Bilder, es sei eine reife Geschichte. Sie fragte sich aber bei dem Lied, was es damit auf sich habe. „Wo ist da eine Distanzierung?“ Der Erzähler wolle ja Serbien verlassen, aber der Song handelt eigentlich davon, dass die Sehnsucht noch recht groß sei.

Jury publikum

Johannes Puch

Sandra Kegel, Stefan Gmünder

Winkels erklärte, dass gerade in diesem Lied die Ambivalenz sei, die vorher abging. Klaus Kastberger machte deutlich, dass er diese Gattung von Texten eigentlich nicht so gerne möge, da es sich üblicherweise um unglückliche Konstruktionen handelt. Dieser Text schaffe es aber, was man über diesen Krieg wisse, aus einer Erfahrung heraus zu vermitteln.

Text vielleicht zu kurz?

Obwohl der Erzähler dabei war, merke man, dass „ich nichts über Milosevic und über die NATO weiß.“ Dieser Text sagt „ich habe alles gesehen“, „aber letztlich weiß ich doch nichts über diesen Milosevic.“ Man fragt sich, was denn die richtige Wahrheit sei. Es gefiel ihm gut, dass da eine Aufarbeitung der Geschichte geschieht. Komplexitäten, die man eigentlich nicht brauche, passen laut Kastberger aber vielleicht eher zu einem ausgeweiteten Text.

Tag 1 Bachmann Keller

Johannes Puch

Hildegard Keller

„Unüberhörbar halbstark“

Hildegard Keller meinte, der Halbstarke sei unüberhörbar, er versuche es auch mit Nationalismen, das sei sehr apodiktisch. Es sei eine Art von Bruch von dieser Figur, „es geht nicht richtig zusammen, ein Hitzkopf zu sein, mit diesem gleichzeitig analytischen Blick auf die Kinderperspektive.“ Das Jonglieren mit der Lebenszeit funktioniere auf der emotionalen Ebene nicht, meinte Keller. Der Text beinhalte analytische Passagen, gleichzeitig ist der Protagonist aber ein Typ, der weg wolle. „Der Antiklimax ist aber vielleicht die adäquate Antwort auf seine Quadratur des Kreises,“ so die Jurorin.

Unterschiedlichste Meinungen

Kastberger fand auch die Lesung nicht so gut, „man hätte mehr Vertrauen zum Text haben müssen.“ Er habe den Text beim stillen Lesen besser gefunden. Gmünder zeigte sich beeindruckt davon, dass der Autor immer wieder Zeichen setze. Der Text sei „fein gearbeitet, ohne auf die Tube zu drücken.“ Feßmann meinte, dass es sich durchaus auch um eine Gesellschaftsbeschreibung handelt. Ganz präzise Beschreibungen gehen immer wieder an Klischees vorbei. Bilder für diese Form von unterdrückter Aggressivität zu finden sei ein Zeichen von Qualität.

Jury Dinic Lesung

Johannes Puch

Steiner fand den Text zunächst problematisch. Als Kleinkind habe der Protagonist überhaupt keine Wahrheit erfasst, dadurch seo ein Grundzweifel gegeben, dass er an Wahrheiten nicht rankomme. Nach der Diskussion verstand Steiner den Schluss aber anders. Die treibende Kraft der Existenz liege auch im Lied.

Kegel schloss mit der Beobachtung, dass der Maturant, der jetzt Reife erlangt habe, in narrative Ordnung versetzt wird. Gleichzeitig wirke das immer unterlaufen. „Der Text balanciert auf einem schmalen Grat, gelungen.“