Jurydiskussion Sascha Macht

Sascha Macht las den Text „Das alte Lied von Señor Magma“, einem entlassenen Uni-Professor. Er wurde von Hildegard E. Keller nach Klagenfurt eingeladen. Die Jury war sich nicht einig.

Bei seinem Text handelt es sich um ein Porträt eines ehemaligen Lehrbeauftragten an der Universität, der aus politischen Gründen entlassen wurde. In Kreisen, in denen er früher Teil der Gesellschaft war, ist er fortan als aufrührerische Kraft unerwünscht. Nun beobachtet er Studierende und den Universitätsbetrieb aus einer innerlichen Distanz und wandert ziellos und suchend umher.

Sascha Macht

Johannes Puch

„Text läuft müde aus“

Meike Feßmann fragte sich, wie ein Ich-Erzähler, der betrunken von seiner Biederkeit ist, so erzählen könne. Der Text soll in der Zukunft spielen. Sie fand einige Ideen interessant, unter anderem, dass die Toten nicht tot sein möchten. Der Text sei aber auch von sprachlicher Indifferenz gepackt, daher zeigte sie sich enttäuscht, dass er so müde auslaufe. Sie kritisierte die Neigung technische Neuerungen per se für interessant zu halten. Computerspiele seien spannend für diejenigen, die spielen, aber auch langweilig, wenn man darüber rede. So verhalte es sich ihrer Meinung nach bei diesem Text.

„Blues eines gescheiterten Sprachwissenschaftler“

Klaus Kastberger meinte, der Tonfall sei ihm auch aufgefallen. Der Text sei seiner Meinung nach bedeutungsschwer. Die marsianische Nacht, die nebelverhangenen Augen des Terroristen, „es passiert zu viel.“ Der Text bleibe in seiner Aufgabe stecken.

Sandra Kegel befand, dass man es mit einem Blues zu tun habe, „es ist ein Blues eines gescheiterten Sprachwissenschaftlers.“ Er könne sich nicht von seinem Schicksal loslösen. „Das ist die Maxiszene zwischen den Endzeitplatten.“ Es werde „sprachlich nur über die Namen Exotik hergestellt, ansonsten ist dieser Text aber ohne Wortgewitter und hat einen seltsamen Konservatismus.“ Die CDs, die von Vögeln gefressen werden, werden akribisch beschrieben, „das will man in dieser Detailliertheit eigentlich gar nicht wissen.“

Tim Krohn Jury

Johannes Puch

Hubert Winkels war der Ansicht, diese Szene würde eigentlich funktionieren, aber es wirke, als ob der Science-Fiction Text „in eine Travestie getrieben“ werde. Der Ich-Erzähler sei wie Jesus, sehe aber nur Tote. „Das Kollabieren kollabieren zu lassen, das müsste man anders erzählen. Der Text blockiert sich selber,“ so sein Urteil.

„Leser ist Kollaborateur“

Hildegard E. Keller wollte von einer anderen Perspektive noch einmal an den Text herankommen. Die Sprache müsse ihrer Meinung nach so präzise sein, um diese Welt zu erschaffen. Die Welt bilde etwas ab, was real sei. Die zentrale Bedeutung dieser Sprache sei daher, dass die Welt bis ins Detail hinein analysiert wird. Es sei auch typisch für die südamerikanische Literatur, dass der Leser Kollaborateur sei. Als Leser müsse man mitgehen. Der Text sei ein Angebot, eine Welt kennenzulernen, die mittels Sprache vermittelt werde. „Der Erzähler ist auch ein magischer Protagonist, man erfährt kaum etwas von seinem Innenleben“, so Keller. Der einzige Innenraum, der erobert werden könne, sei ein Innenraum der Kriege.

Publikum

Johannes Puch

„Erzähler ist ein Zombie“

Juri Steiner stimmte Keller zu, auch er habe den Text als „Kollaborateur“ gelesen. „Dinge werden zerstört, es gibt keine Moral.“ Man begleite hier ein Barockbild, das wirke wie ein Ölgemälde. Es finde eine Überlagerung von Unregelmäßigkeiten statt, man merke aber schnell, dass man in Südamerika sei. Der Erzähler sei ein Untoter, ein Zombie, der Schluss sei laut dem Juror die Akzeptanz des Schon-tot-Seins.

Stefan Gmünder sah sich zwischen seinen Vorrednern. Der Erzähler sei eher ein Prophet, für den die Zeit anders zu verlaufen scheine. Es gebe deutliche Zeichen, dass der Text in einem totalitären Umfeld spiele. Gmünder befand, er „habe den Text mit Gewinn gelesen.“

Kastberger konnte dem Text nicht glauben

Kastberger spannte den Bogen zur ersten Lesung des Tages und meinte, dieser Text sei ein Gegenstück zu Sargnagels Text. Machts Text sei sehr gelehrsam, der Autor kenne sich aus in den Traditionen, wisse, welche Metaphern und Werkzeuge funktionieren. „Der Anspruch ist aber nicht glaubhaft umgesetzt.“ Dieses Pathos funktioniere nicht, da es übertrieben sei. Kastberger fand schließlich, dass sich der Text zu weit aus dem Fenster lehnt und die übertriebene Intertextualität ihn zum Scheitern bringt. Daher konnte er dem Text nicht glauben.

Keller sieht Roman-Potenzial

Winkels fügte hinzu: „Alle Wahrnehmungen sind gleich, weil sie zu diesem Universum gehören. Das ergibt keinen konsistenten Text.“ Keller jedoch fand den Text geheimnisvoll. Der Protagonist müsse die Welt durchwandern, damit man sie als Leser auch erleben könne. Kegel könnte mit dem Erzähler als Untoten etwas anfangen, wie sie sagte, aber die Wahl der Sprache für die Direkte Rede wirke unnatürlich. Nichtsdestotrotz sah sie Potenzial für einen Roman in diesem kurzen Text.

Steiner: Jurykollegen sehen Barock nicht

Keller fand dennoch, der gestelzte Stil sei ein Teil der literarischen Strategie. Für Winkels ist jeder Satz in Wahrheit ein Betrug an der Welt. „Pathos von der ersten bis zur letzten Sekunde ergibt in Wahrheit Langeweile.“

Feßmann fragte sich auch, was an dieser Dystopie eigentlich betörend sein sollte. Juri Steiner fand den Text unverstanden und erläuterte noch einmal seine Barockassoziation. Reibung mit Realität sei etwas, das immer abdrifte in die Kunst. Diese stilistische Qualität sei, was die restlichen Jury-Mitglieder nicht lesen können, weil sie den Barock nicht sehen würden.

Kastberger schloss die Diskussion mit der Überlegung, dass man den Text auch in seiner Gesamtästhetik sehen müsse. Man muss sehen, wie die Figur im Text lebt. „Die Diskussion um die Ästhetik des Texts kann man nicht umgehen.“