Bachmannpreis für Nora Gomringer
Nora Gomringer ist Schweizerin und Deutsche, Lyrikerin und Poetry Slammerin und seit 2010 Direktorin des Internationalen Künstlerhaus „Villa Concordia“, einer Dienststelle des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Johannes Puch
Klagenfurter Bürgermeisterin Maria Luise Mathiaschitz überreicht Nora Gomringer den Bachmannpreis.
Es waren drei Stichwahlen nötig, dann stand Gomringer mit ihrem Text „Recherche“ als Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises fest. Sie las auf Einladung von Sandra Kegel, die auch die Laudatio für ihre Autorin hielt. In einem mehrstöckigen Wohnhaus stürzte sich ein 13-jähriger, vermutlich homosexueller, Bub, vom Balkon. Eine Frau will mehr herausfinden über die Umstände dieses Selbstmordes und recherchiert. Das Publikum hatte mit Jubel und langem Applaus auf diesen Text reagiert - mehr dazu in Nora Gomringer.
Kegel: Verstörungskomödie
In ihrer Laudatio sagte Sandra Kegel, mit „Recherche“ sei der Autorin ein überaus komplex gestaltetes „Fantasiespiel“ gelungen, eine „Verstörungskomödie“. Ein selbstreflexiver Text, der von der Suche nach Wahrheit erzähle und vom ständigen Perspektivenwechsel lebe, das erzeuge eine „einzigartige Stimmenpolyphonie“. Der Text bewege sich „zwischen irrem Tempo und Nachdenklichkeit“. Für Kegel sei es beispielhaft, wie Gomringer hier Stimmen etabliere. Nora Gomringer nahm Preis und Blumen mit Tränen in den Augen entgegen, sie sagte, die Preisverleihung sei hart. Die Kolleginnen und Kollegen hoffen und leiden alle und das fühle sie auch.

Johannes Puch
Werner Pietsch, Kelag, mit Valerie Fritsch.
Kelag-Preis für Valerie Fritsch
Fritsch gewann nach einer Stichwahl gegen Teresa Präauer, die nach der Wahl zum Bachmann-Preis als Zweitplatzierte automatisch für den Kelag-Preis nominiert war.
Die Grazerin Valerie Fritsch wurde von Juror Klaus Kastberger geladen und las den Text „Das Bein“. Eine Vater-Sohn-Geschichte über einen alten Mann, dessen Bein amputiert wurde und seinen Sohn, der erkennen muss, dass sein Vater wohl bald sterben wird. Ein Text über die Vergänglichkeit des Lebens - mehr dazu in Valerie Fritsch. Fritsch sagte in einem ersten Statement, es beginne nun etwas: „Heute ist ein guter Tag“.

Johannes Puch
Erinnerungs-Selfie mit Moderator.
Kastberger: Bachmann war im Raum
Für Klaus Kastberger sei dies „der literarischste Text den er in diesen Tagen gehört hat“, schon im Vorfeld meinte er, wenn Ingeborg Bachmann den Preisträger mitbestimmen könnte, würde sie bestimmt auch für Fritsch stimmen. Bei diesem Text handelt es sich seiner Meinung nach um Literatur, „die der gegenwärtigen Literatur einen möglichen Weg zeigt“. Der Text habe Kraft, Potenzial zur Kritik, und Möglichkeit zur Schaffung eigener Welten. Das habe sich im Gegensatz zu allen anderen Lesungen über alte, neue und ganz neue Medien sehr gut gemacht. „Als Fritsch gelesen hat, war es so“, sagt Kastberger, „als wäre Ingeborg Bachmann in diesem Raum präsent“. Sie habe aus der „Klagenfurter Luft einen literarischen Körper gezaubert“ und gratuliert ihr herzlich. Er wünscht sich, Fritsch nähme diesen Preis als Ansporn, und ist sich sicher, dass von ihr noch viel zu erwarten sei.

Johannes Puch
Dana Grigorcea mit Petra Gruber von 3Sat.
3sat-Preis für Dana Grigorcea
Dana Grigorcea, die von Hildegard Elisabeth Keller eingeladen wurde, erzählte in „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ die Geschichte und die politische Wende Rumäniens anhand der Kindheits- und Jugenderinnerungen und des aktuellen Lebens einer Frau in Bukarest nach. Die Jury zeigte sich begeistert - mehr dazu in Dana Grigorcea. Grigorcea setzte sich in der Stichwahl gegen Teresa Präauer durch, die als Zweitplatzierte auch für den 3sat-Preis gesetzt blieb.
Laudatio: Brennende Aktualität
Keller sagte in ihrer Laudatio, in ihren Augen sei es eine Erzählung, die die Welt aus der Perspektive eines weiblichen Ichs erschließe: Der Beginn des Farbfernsehens unter Ceauscescu, Michael Jackson der sich nach Bukarest verirre und in der Jetztzeit privilegierte rumänische Auswanderer, die sich über das Sexleben des hingerichteten Diktators unterhalten. Die großartige Satire „sprüht vor Vitalität, ist bitterböse und traurig zugleich“. Bald sei diese Geschichte als Roman erhältlich. Die Aufschließekraft dieses Textes „ist von brennender Aktualität für Rumänien, für die Schweiz, für Europa, für die Zeltstadt in Krumpendorf, für die gesamte Welt“, so Keller.

Johannes Puch
Ein sehr enttäuschender Tag für Teresa Präauer, die dreimal in Stichwahlen unterlag.
Auch BKS-Publikumspreis für Valerie Fritsch
Das Publikum stimmte im Internet samt Begründung ab und wählte mit klarer Mehrheit Valerie Fritsch, die nun Kelag-Preis und BKS-Preis mit nach Hause nehmen kann.

Johannes Puch
BKS-Vorständin Herta Stockbauer und Valerie Fritsch.
Winkels: Hoffnung auf Zukunft
Jury-Vorsitzender Hubert Winkels zeigte sich zufrieden mit den Texten die die Jury für die diesjährigen „Tage der Deutschsprachigen Literatur“ ausgewählt hatte. Die Texte seien expressiv und gut vorgetragen gewesen, und hätten „stimmlich und performativ beeindruckt“, so Winkels. Die Künstler-Filme, die jeweils vor den Lesungen gezeigt werden, sorgen für ein Gesamtkunstwerk – diese Inszenierungen möchte er für die kommenden Jahre beibehalten.
Der Jury-Vorsitzende bedankte sich bei den Organisatoren und meinte, in Anbetracht der in den vergangenen Jahren in Frage gestellten TV-Live-Übertragung der TDDL hoffe und plädiere er für einen Fortbestand. Die Zusammenarbeit mit seinen Jury-KollegInnen habe ihm viel Spaß gemacht. Er sei ganz „beflügelt davon, dass drei neue Juroren dabei sind“, die sich „von Anfang an wunderbar eingefügt“ haben. Hubert Winkels verabschiedet sich nach diesen fünf turbulenten Tagen und „geht glücklich und zufrieden nachhause“.
Vor allem Frauen in der Favoritenrolle
Auffällig war, dass bei den 39. Tagen der deutschsprachigen Literatur fast ausschließlich Texte von Autorinnen von der Jury favorisiert wurden: Am Samstag waren es vor allem „Oh, Schimmi“ von der Österreicherin Teresa Präauer und „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ von Dana Grigorcea. Vor allem Monique Schwitter sorgte am Freitag mit ihrem Text „Esche“ für positive Kritiken. Am ersten Lesetag wurde der Text „Das Bein" der Grazerin Valerie Fritsch mit Lob der Juroren bedacht. Anklang fand auch der Text „Recherche“ der Schweizerin Nora Gomringer.
Die Preise
Ingeborg-Bachmann-Preis in Höhe von 25.000 Euro der Landeshauptstadt Klagenfurt, Kelag-Preis in der Höhe von 10.000 Euro, gestiftet von der Kärntner-Elektrizitäts-Aktiengesellschaft, sowie der mit 7.500 Euro dotierte 3sat-Preis des Gemeinschaftssenders der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ZDF, ORF, SF und ARD. BKS-Bank-Publikumspreis in der Höhe von 7.000 Euro.