Jurydiskussion Saskia Hennig von Lange

Saskia Hennig von Langes Text „Hierblieben“ löste bei der Jury zwei große Diskussionen aus: Ist der Text langweilig oder nicht? Muss er realistisch oder psychologisch interpretiert werden? Die Meinungen reichten von „blutleer“ bis „meisterhaft“.

Die Handlung: Ein Mann sitzt im Führerhaus eines Lkws. Er flieht vor seiner Frau, die plötzlich schwanger ist. Für Hildegard Keller ist die Geschichte der „Exodus eines Schwangerschaftsfeindes“. Die Figur habe Potenzial, weil sie über die elementare Frage, ob sie sich in einem Kind „fortgesetzt sehen will“, nachdenken muss. Allerdings sei die Umsetzung nicht ganz geglückt, „die endlosen Wiederholungen im Text haben etwas Unglaubwürdiges und nützen sich ab mit der Zeit“.

TDDL 2015 Saskia Hennig von Lange

ORF/Johannes Puch

Winkels: „Blutleere und Langeweile“

Auch Meike Feßmann fand, dass der Text nicht aufgehe und erzähltechnisch schlecht gelöst sei. Sie habe „Schwierigkeiten mit der Konstruiertheit des Ganzen“, meinte aber versöhnlich, dass das zugleich auch die Qualität des Textes sein könnte.

Während Hubert Winkels dem Text dann noch Tendenzen zu „Blutleere und Langeweile“ attestierte, weil es im Lauf des Textes kaum neue Informationen gebe, erfreute sich Sandra Kegel, an „hochkonzentrierter, flüssiger Sprache“ ihrer Autorin. Gmünder empfand die Erzählung als „nicht so schlecht“, zu Beginn „noch spannend“, dann aber „zu explizit“.

Jury Feßmann Ankowitsch

Johannes Puch

Einen Text zu schreiben über eine von Haus aus nicht sehr ereignisreiche Situation, nämlich ein Mann, der im Auto sitzt und fährt, empfand Juri Steiner als „mutig“. Durch ihre Art des Vorlesens – Winkels nannte es „skandiert“ – würde die Autorin „die Musik zur Handlung liefern“, meinte Steiner. „Stimmig“ lautet sein Urteil über den Text.

Und als „meisterhaft“ bezeichnete Hildegard Keller, die reduzierte Handlung, die Bewegung des Gedankengangs und die in ihre Einzelheiten aufgefächerte Sprache. Klaus Kastberger fand den Lesungsbeitrag ebenfalls „nicht fad“. Das Nachdenken darüber, ob die Hauptfigur seine Partnerin verlassen solle, sei doch „total spannend“. Spannend sei seiner Meinung nach außerdem, dass es um einen Mann gehe, dessen Figur und Gedanken von einer Autorin geschrieben worden seien.

Jury Hennig

Johannes Puch

Kastbergers Suche nach dem besten ersten Satz

Für Klaus Kastberger „ein spannender weiblicher Erklärungsversuch des männlichen Tickens. Lob gab es von seiner Seite auch für den ersten Satz des Textes. Er habe Donnerstagfrüh angekündigt, auf der Suche nach dem besten ersten Satz bei den diesjährigen TDDL zu sein und war entzückt von Saskia Hennig von Langes „Jetzt sitze ich hier und würde doch lieber woanders sitzen“.

Jury Hennig

Johannes Puch

Für heftige Diskussionen sorgte die Frage nach den Interpretationsmöglichkeiten der Geschichte. Während Meike Feßmann die Handlung als absolut realistisch einschätzte, meinte Sandra Kegel, dass man die Handlung aus psychologischer Sicht deuten müsse. Hubert Winkels addierte noch die metaphysische Perspektive. Kurzer heftiger Wortwechsel. Klaus Kastberger beschwichtigte: „Je mehr Interpretationsmöglichkeiten, desto besser.“

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