Lesung Eva Zeman
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Jurydiskussion Barbara Zeman, A

Barbara Zeman las auf Einladung von Einladung von Brigitte Schwens-Harrant den Text „Sand“ über die Reise eines Paares nach Italien. An dessen Ende geht die Protagonistin ins Meer.

Die Ich-Erzählerin verbringt mit Ihrem Lebensgefährten Josef, einem Architekten, die kalte Jahreszeit in einer Ferienwohnung in Chioccia bei Venedig. Die Protagonistin erholt sich von der Diagnose eines gutartigen Tumors, die Beziehung zu Josef ist recht abgekühlt. An einem Tag sind sie am Strand und die Protagonistin geht ins Wasser, weiter hinaus, dorthin, wo es tief wird. Josef läuft ihr hinterher, ruft nach ihr, doch sie dreht sich nicht um.

Lesung Eva Zeman
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Barbara Zemann

Kaiser begeistert vom Vortrag

Vea Kaiser meldete sich als erste. Sie wolle das Offensichtliche betonen, wie toll es sei, dass die Autorinnen und Autoren die Texte vorlesen. Im Falle von Zemans Text habe man die ganz große Qualität des Textes durch den Vortrag erfahren habe. Der Text sei eine durchrhythmisierte Prosa gewesen, „die den Takt eines Flanierens durch die laguna morta vorgibt.“ Beim eigenen Lesen habe Kaiser gar nicht alles erfassen können, beispielsweise wie schön die Strophen ausklingen.

Mara Delius und Vea Kaiser
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Mara Delius und Vea Kaiser

Das habe sie sehr begeistert, sogar die Störung durch den Krankenwagen, der die Lesung kurz unterbrach, sei etwas Tolles, weil man gleich wieder in diesen Rhythmus hineingekippt sei. Das zeige die hohe Qualität dieses „sprachlich sehr schön gearbeiteten“ Textes. Kaise sagte, sie wolle ein Lob für ein dreifaches Wagnis aussprechen – der Text traue sich drei völlig aus der Mode gekommene Topoi darzustellen. Nämlich die schwindende, zartbesaitete Sprecherin, die Landschaftsbeschreibungen mit tollen Adjektiven und vor allem sei es sehr mutig, die sehr oft beschriebene Stadt Venedig zum Thema zu machen. Dennoch fühle sich Kaiser wegen der Häufung von Zeichen und Symbolen in Text ein wenig erschlagen.

„Poetisch aufgeladen aber nicht überladen“

Mara Delius sagte, sie fände für diesen Text eine etwas aus der Mode geratene Kategorie durchaus wichtig, nämlich die Kategorie der Stimmung und die Art und Weise, wie sie erzeugt werde. Die Bilder seien in einer poetisch sehr aufgeladenen aber nicht überladenen Sprache gehalten. Es gebe viele Farbbilder, wie der violette Schnee, sie seien ruhige und präzise gearbeiteten Bilder des Lichts und der Farbe, so Delius. Ihr ginge es ein Stück weit ähnlich wie Kaiser, da sie nicht nachvollziehen könne, wo die zartbesaitete Protagonistin mit ihrer Stimmung eigentlich hin wolle.

Vielleicht habe sie aber noch nicht ganz verstanden, welcher „Tod in Venedig“ hier inszeniert werde oder besser gesagt, welche Krankheit in Venedig geschildert werde. Das habe sie aber nicht gestört, Delius meinte, sie finde es sehr bemerkenswert, wie der Text in jeder Sequenz eine ganz eigene Stimmung erzeuge.

Philipp Tingler
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Philipp Tingler

Tingler: Zum Glück aus der Mode gekommen

Philipp Tingler sagte, er finde auch, dass der Text aus der Mode gekommen sei, zum Glück, wie er sagte. Er verbinde aber gewisse Schwierigkeiten mit dieser Art von Prosa. Man habe es mit der Ersten Person im Präsens und einer parataktischen Komposition, also der Nebenordnung von Assoziationen. Die Autorin bekenne sich zu einem assoziativen Stil, das Problem, das er damit habe sei, dass das einzige Kriterium der Komposition die Selbstbezüglichkeit sei, so Tinger.

Das sorge dafür, dass solche Texte „per se hermetisch wirken“. Es werde keine Türe aufgemacht, sondern in einen Spiegel geschaut. Die Empfindsamkeit spiegle sich in der Topografie Venedigs wider. Der Text habe aber auch etwas Regressives, eine Infantilisierung der Sprache. Vieles bleibe nur angedeutet und sei eine Prosa, die „sehr viele Leute einfach draußenlässt“, so Tingler.

Chioggia als kluger Schachzug

Klaus Kastberger wies darauf hin, dass die beiden Figuren nicht nach Venedig fahren sondern nach Chioggia. Wenn man nach Venedig fahre, fahre immer sehr viel mit, weil eben schon so viele Leute nach Venedig gefahren seien und es beschrieben hätten. Es sei ein kluger Schachzug der Autorin gewesen, nach Chioggia zu fahren und Venedig nur zu streifen, so Kastberger. Für ihn fahre einfach zu viel mit auf diese Reise, „es fahren zu viele andere Autoren mit, es fahre Ingeborg Bachmann mit, es fährt das Lukas Evangelium mit, es fährt Puschkin und Tschukovskaya mit“.

Klaus Kastberger
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Klaus Kastberger

Für ihn werde es dadurch ein wenig eng auf dem „Erzählgefährt“, so Kastberger. Die Gefahr der Referenzen auf andere Autoren sei, dass die Leser plötzlich gerne die anderen Autoren lesen würden als Barbara Zeman. Das Bild des violetten Schnees sei gar nicht von ihr, der Text leide darunter, dass er zu viel „anhäuft und aus einem Haufen heraus, Stimmung erzeugen will“, so Kastberger. Der Text komme für ihn nicht zu einem Ende, er habe das Gefühl, es werde ein Tableau ausgeteilt, das später noch weiter gehen müsse.

Wilke: „Zeman spielt mit vielen Referenzen“

Insa Wilke sagte, sie habe den Eindruck, dass im Text mehr passiere, könne es aber auch nicht genau zusammenfassen. Es sei enorm wichtig, dass Zeman mit den vielen Referenzen spiele, sie mache eine Welt der Literatur auf. Man müsse aber nicht nur auf die Referenzen gehen, sondern auch auf die Motive. Einerseits habe man hier eine Zeitungsmeldung, eine Boulevardgeschichte, man habe aber auch das Motiv der Frau in der Verbindung mit dem Wasser. Damit habe man die ganze feministische Geschichte in diesem Text. Wilke sagte, sie habe den den Eindruck, dass sich eine Stimme in eine Tradition einschreibe. Dies aber auf eine „befreundete Weise“, die zeige, dass es darum gehe, eine Tradition wachzurufen, die aber noch immer nicht geschrieben sei und gleichzeitig etwas Radikales tue.

Wilke sagte, es gebe kein Zentrum in Zemans Text. Die Frage bleibe, wie der Text ende, am Ende sei Bachmann drinnen. Der Text ende möglicherweise ebenso mit einem Mord. Das Interessante an dem Text sei, „dass man einsteigt, die Richtung aber nicht weiß, man merkt nur, es geht in eine Richtung. Wir steigen in ein Wasser ein“. Das Wasser treibe den Leser wohin, Wilke habe erstmal aber nicht dagegen, dass sie dem Wasser ausgeliefert sei.

Brigitte Schwens Harrant
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Brigitte Schwens-Harrant

Schwens-Harrant: Nicht nur eine Liebesgschichte

Brigitte Schwens-Harrant sagte, Wilke spreche sehr viel Wichtiges an. Vor allem, dass zuletzt angedeutet werde, dass es um etwas Unheimliches gehe. Der Stil tangiere etwas ins Lyrische und das schien bei der Jury Probleme zu machen. Das Thema sei leicht zu verfolgen, auf einer sehr einfachen Ebene gehe es um eine dramatische Liebesgeschichte, die wahrscheinlich nicht sehr gut ausgehe.

Der Text mache aber viel mehr und arbeite mit vielen Mitteln, das aufzumachen. Schon bei den ersten Bildern merke man, es gehe nicht nur um eine Liebensgeschichte. Sie fände es großartige, wie Zeman das mache. Es gebe konkrete Motive, wie die italienische Buslinie, der man nachgehe und etwas wiederfinden könne. Wenn man aber genauer hinschaue, fange es an sich leicht zu verschieben, es sei „Sand“. Wenn man im Wasser im Sand stehe, sei es eine sichere Unterlage, die Wellen spülen aber die Sicherheit weg. Das mache der Text Schritt für Schritt und man bekomme eine Andeutung von bösen Geistern. Die Referenzen anderer Autoren seien kunstvoll eingeflochten, so Schwens-Harrant. Es sei auch ein politischer Text.

Michael Wiederstein
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Michael Wiederstein

Wiederstein sieht Text nicht baden gehen

Laut Michael Wiederstein ist der Text vor allem ein melancholischer. Solche Texte gehen in Klagenfurt „meist baden, wie Venedig“. Die Jury reibe sich daran auf, warum dieser Text nicht baden gehe. Das liege daran, dass er sich selbst unterspüle, es gebe so viel Farben und Wassermetaphern, dass man mit der „Nase richtig reingedrückt wird“. Der Text könne wie eine Warnung gelesen werden nach Venedig zu fahren. Die ganzen Referenzen und Andeutungen überfrachten den Text und würden ihn „über- und unterspülen“. Das gehe laut Wiederstein „seltsamerweise“ auf. Außerdem habe der Text viele fantastische, kurze Sätze, wie „Abseits der Nacht sind wir“.