Lesung  Ana Marwan
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Jurydiskussion Ana Marwan, SLO

Anna Marwan wurde eingeladen von Klaus Kastberger und las den Text „Wechselkröte“ über eine Frau, die recht einsam auf dem Land lebt und in einem Pool in ihrem Garten eine Kröte entdeckt. Als sie erfährt, dass sie schwanger ist, spielt sie mit dem Gedanken was wäre wenn.

Die in Murska Sobota (SLO) geborene Ana Marwan erzählt von einer einsamen Frau, die abgeschieden wohnt. Ihre einzigen Sozialkontakte sind der Postbote, der Gärtner und der Poolmann. Eines Tages wird sie schwanger und stellt sich vor wie das Kinder heranwächst. Im Text ist die Rede von einem, von ihrem, Mann, der aber nicht näher vorgestellt wird. Im Garten der Mietwohnung ist ein kleiner Garten mit einem verwahrlosten Pool. In dem Pool entdeckt sie eine Kröte und freut sich über Gesellschaft. Der Anruf beim Naturschutz verschafft ihr einen weiteren Sozialkontakt. Auf dessen Anraten fährt sie mit dem Zug zur Donauau und setzt das Tier aus. Ihr Arzt erklärt ihr, dass sie schwanger ist, sie habe die Pille doch nicht jeden Tag genommen, wie es scheint.

Ana Marwan vor der Vidiwall
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Ana Marwan vor der Vidiwall mit ihrem Poträt

Delius freute sich über Kennenlernen der Autorin

Mara Delius meldete sich zuerst, sie gestand, dass sie Marwan vorher nicht gekannt habe, aber froh sei, sie jetzt über diesen Text kennengelernt zu haben. Für Delius ist der Text ein sehr feinsinnig aufgebautes Porträt einer Eremitin. Der Text sei formal sehr interessant, weil sie das klassische Motiv der feministischen Literatur sehr zeitgenössisch und gleichzeitig humorvoll varoiere. Das Motiv sei jenes einer Frau, die sich in ein Haus zurückgezogen habe, einen Schutzraum, in dem sie denken könne.

Mara Delius
ORF/Johannes Puch
Mara Delius

Der Erzählerin sei einerseits die Welt abhanden gekommen und andererseits hadere sie gar nicht, weil sie in der Geschichte eine eigene Sprache für sich finde. Einen kleinen Kritikpunkt hatte Delius jedoch, jener Teil mit dem entlegenen Haus, mit dem Form des „Aus-der-Welt-sein“, sei für sie stilistisch besser gearbeitet als jener, der den inneren Monolog zur Frage des imaginierten Kindes wiedergibt. Das ändere aber nichts daran, dass es ein großartiges Eremitinnen-Porträt sei.

Kaiser: Wunderschön erzählt

Vea Kaiser fand die Zweiteilung großartig, weil zwei Mythen dekonstruiert werden. Zum einen der oft beschworene Mythos von „es gibt nichts Besseres als ein Haus am Land mit einem Garten“ bis hin zu politischen Forderungen. Was Marwan mache sei, sie zeige, dass so ein Haus auch jemanden einsperren könne. Der zweite Mythos, den sie dekonstruiere, sei, dass eine einsame Frau unbedingt ein Kind brauche.

Vea Kaiser und Philipp Tingler
ORF/Johannes Puch
Vea Kaiser und Philipp Tingler

Marwan erzähle wunderschön, dass Kindern nicht dazu da seien, um jemanden zu verankern, sondern sie verankern sich selbst. Kaiser fand den Text sehr gelungen, sie müsse sich aber Delius anschließen, in der Frage, ob es teilweise nicht zu lang gewesen sei. Einige Bilder seien zu sehr auserzählt, so Kaiser. Sie hätte sich gewünscht, dass die Autorin mehr auf ihren Text vertraue.

Tingler: „Das Ich besteht nur in der Sichtbarkeit“

Philipp Tingler sagte, er habe den Text anders als Mara Delius gelesen. Für ihn sei es nicht die Darstellung eines Rückzuges, eines gewählten Einsiedlerdaseins. Tingler sah darin mehr eine Illustration für eine spezifische spätmoderne Befindlichkeit. „Das Ich besteht nur in der Sichtbarkeit“, so Tingler. Der Wunsch, das Begehren, gesehen zu werden, nehme bei der Figur absurde Züge an, das werde jedoch mit Humor umgesetzt.

Für Tingler illustriert der erste Teil des Textes vor allem „das Leiden am Nichtgesehen werden“. Der Text zerfalle in zwei Texte, die Verbindung zwischen den beiden Teilen am Ende des Textes, gelinge für Tingler nicht. Für ihn handle es sich um zwei Texte, das fände er schade.

Dritte Interpretation von Wiederstein

Michael Wiederstein sagte, er habe es nochmals anders gelesen als Delius und Tingler. Tatsächlich handle es sich nicht um eine Eremitin, es werde ja hingedeutet, dass es einen Mann in ihrem Leben gebe. Der Mann sei weg und komme im letzten Absatz wieder zurück. Das ändere für ihn die Konstellation, so Wiederstein. Die Frau habe sich für den klassischen Entwurf entschieden, auf dem Land mit einem Mann zu wohnen und zu verhüten. Dann bekomme sie die Nachricht, dass sie schwanger sei, als der Mann gerade nicht da war.

Michael Wiederstein
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Michael Wiederstein

Das setze den zweiten vom ersten Teil des Textes ab, verbinde die Teile jedoch. Dann werde lange darüber berichtet, dass sich die Frau etwas vorstelle. Einen Tag bevor der Mann zurückkomme, sagt sie dem Poolmann der ganze Pool könne abgesaugt werden, hier entscheide sie sich gegen das Kind. Die Kombination aus den beiden Teilen funktioniere mit der Klammerschließung des letzten Absatzes, Wiederstein sagte, er finde der Text sei eine gelungene Komposition.

Wilke wechselte von Inhalts- zu Motivebene

Insa Wilke wechselte in ihrer Kritik auf die Motivebene. Es gebe eine Methode in dem Text und zwar die der Verschiebung, die sich dann auch auf dann auch auf der Inhaltsebene wiederfinde. Nämlich in Form der Anpassung. Thematisch gibt es laut Wilke zwei wichtige Themen, nämlich das der Gewalt durch Anpassungszwang und das Thema des Mangels, „eines Loches, das versucht werde zu füllen“. Das könne man feministisch deuten, müsse man aber nicht.

Insa Wilke
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Insa Wilke

Wilke sagte, für sie sei es an keiner Stelle etwas zu viel gewesen oder nicht durchdacht, dass könne man sehr gut an den Klangstrukturen ablesen, die sie aber noch nicht ganz durchschaut habe. Für Wilke gibt es drei Teile des Texte: Im ersten Teil die Welt und das Wollen, dann komme die Wechselkröte als Verbindung zum Kind. Auf dieser Ebene sei der Text sehr fein gearbeitet und „entwickle eine Sogwirkung, obwohl man nicht so klar weiß, worum es geht, und was spricht mich an“. Das spreche sie am Text sehr an.

Schwens-Harrant: Im Großen und Ganzen zufrieden

Brigitte Schwens-Harrant schloss an Wilke an, sie glaube, der Text sei sprachlich sehr reif gearbeitet. Sie habe eine Sprachmelodie erkannt. Auch sie habe die Frage beschäftigt, ob die Teile gut zusammenpassen würden. Für sie sei auch der Teil über die Vorstellung des Kindes weniger gelungen als der andere Teil. Im ersten Teil habe Marwan die Frage zwischen Vorläufigkeit und Verwurzelung durch einige Motive „in einem wunderbaren Hin und Her“ dargestellt. In der Vorstellung des Kindes komme dann eine Linearität in den Text, das war für Schwens-Harrant weniger plausibler. Sie sei mit dem Text aber im Großen und Ganzen zufrieden, wolle aber noch die Frage in den Rasum stellen, ob das Bild der Kröte nicht zu platt sei.

Klaus Kastberger
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Klaus Kastberger

Kastberger: „Gänsehauttext“

Für Klaus Kastberger sei es ein „Gänsehauttext“ gewesen, das habe er erst jetzt in der Lesung gemerkt. Er habe nicht das Gefühl gehabt, der Text zerfalle in zwei Teile, weil er ihn „von vorne bis hinten gepackt“ habe. Der Text baue Spannungen auf, die teilweise unerträglich werden. Die erste Spannung sei die zwischen Idylle und Horror, die zweite Spannung habe mit der Stimmung der Person zu tun, die zum einen depressiv und melancholisch sei und dann plötzlich einen immensen Witz habe.

Für Kastberger sei es ein Text, der damit spielt, Möglichkeiten aufzumachen und entwerfe potenzielle Lebenswelten. Die Laich am Ende erinnerte ihn an den Film „Apocalypse Now“ und an das Herz der Finsternis. Apocalypse now ende mit dem Satz „saugt sie alle ab“, ähnlich wie im Text, für Kastberger wische dieser letzte Satz im Text alle Möglichkeiten weg, die er aufgemacht habe. Er könne den Text ohne Bruch lesen.