Andreas Moster
ORF/Johannes Puch
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Jurydiskussion Andreas Moster, D

Andreas Moster las auf Einladung von Vea Kaiser den Text „Der Silberriese“. Eine Geschichte vom Werden eines Vaters, der von der Mutter seines Kindes verlassen wird. Er lernt, mit dem Baby umzugehen und es mit seiner Sportlerkarriere zu vereinbarten – das erweist sich als unmöglich, er entscheidet sich für das Kind.

Der Protagonist ist Spitzensportler, ein Diskuswerfer, der auf die Olympischen Spiele in Peking hintrainieren sollte. Doch seine Freundin verließ ihn und die neu geborene Tochter Jelly verlassen. Er ist allein mit einem Säugling, mit dem er nichts anfangen kann, nimmt sie zunächst noch mit in die Trainingshalle, hadert mit dem Gedanken, dass sie ihm die Karriere verbaut. Seine Leistungen werden in dem Maß schlechter, als seine Liebe und Zuwendung zu ihr wachsen. Nach einer sportbedingten Verletzung und Operation ist das Ende der Karriere klar, er widmet sich ganz seinem Kind.

Als plötzlich seine Ex-Freundin Kara wieder vor der Tür steht weist er sie weg, sie habe jedes Recht verwirkt in der Nähe von Jelly zu sein. Die Olympischen Spiele sieht er im Fernsehen, als seine Tochter schläft und denkt, sein Wurf in Athen hätte für Gold gereicht. Doch irgendwie ist es nicht mehr wichtig, denkt er, und küsst sein Kind.

Wilke: Konflikte auf Beziehungsebene

Insa Wilke machte den Anfang. Man rede viel zu wenig über die vergleichende Perspektive der Texte. Es sei eine „schöne Fügung“, dass Mosters Text am Ende des ersten Lesetages stand, weil er in gewisser Weise komplementär zu dem von Eva Sichelschmidt verstanden werden könne. Bei Mosters Text habe man eine Geburt, das Zusammensetzen eines Lebens durch den Neuankömmling. Man habe es auch mit einer komplett „unaufgeladenen, alltagsnahen Prosa“ zu tun. Die Konflikte würden sich, im Auge von Insa Wilke, komplett auf den Beziehungsebenen abspielen.

Vorsitzende Insa Wilke, Michael Wiederstein, Vea Kaiser und Philipp Tingler
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Wilke, Wiederstein, Kaiser und Tingler

Die Ausnahme sei, dass man es mit einem Sportler zu tun habe, wo sprachlich sehr schön gezeigt wurde, „wie die ökonomische Betrachtung von Körpern internalisiert wurde“. Das zeichne sich sowohl auf der Beziehungsebene als auch sprachlich ab, so Wilke. Darüber hinaus habe man mit einer Figur zu tun, die es nötig habe, sich eine Struktur zu geben. Die Figur werde sehr plausibel erzählt, es gebe „unheimlich anrührende Momente“ im Beziehung zum Kind. Ihr gefallen vor allem Bilder, die „haarscharf am Kitsch vorbeigehen“, wie beispielsweise, wie Jelly den Sand hochwirft und quasi die Zeit auffängt. Das passe vor allem im Kontext der Figur, es werde versucht die Situation nicht romantisierend zu sehen, sondern nüchtern zu beschreiben, so Wilke.

Wenn man noch einmal einen Schritt zurückgehe und bei dem Text hinzunehme, dass eine Vaterfigur erzählt, dann habe sich Wilke kurz gefragt, wie sie diesen Text gelesen hätte, wäre es eine Mutterfigur gewesen. Dieser Text zeige jedenfalls, dass Feminismus aus den verschiedenen Geschlechtsidentitäten und Rollen zusammengedacht werden muss. Dafür sei der Text ein Plädoyer.

Delius fand „kitschnahe“ Bilder

Mara Delius fand es interessant, dass Wilke Mosters Text überhaupt in die Nähe zu Sichelschmidts Text gebracht habe. Bei Sichelschmidt habe es mit einem formal sehr avancierten Stück zu tun. Das sei bei Moster nicht eindeutig erkennbar. „Darum ja komplementär“, warf Insa Wilke ein.

Mara Delius
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Mara Delius

„Jetzt sind sie die Professorin Frau Wilke“ erwiderte Delius wiederum lachend. Was für den Text spreche sei ein außerliterarischer Grund. Es gebe eine Fülle von Büchern, die sich mit Mutterschaft beschäftigen, mit dem Hadern und dem Verzicht als Mutter. Es sei interessant, diese Ansichten im Text aus Vaterperspektive geliefert zu bekommen.

Die Figur des Vaters sei sehr „komponiert“, Delius sagte, sie verstehe aber nicht, wie es dann zu den kitschnahen Bildern komme. Diese seien im Grunde komplett unnötig. Was sie auch nicht verstehe sei, warum das Kind laut Text „eigenartig unbeschrieben bleibe“ und warum der Autor die Konstruktion des Leistungssportler brauche. Das erschließe sich ihr im Text nicht.

Philipp Tingler
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Philipp Tingler

„Hauptfigur setzt sich mit sich selbst auseinander“

Philipp Tingler schloss an den Punkt der Unbeschriebenheit des Kindes an, das habe ihn beim Lesen etwas konsterniert. Daraus leite er ab, dass er den Text anders gelesen habe als Insa Wilke, eben weil er finde, dass der Text nicht schwepunktmäßig auf den Beziehungsebenen spiele, sondern in der „Auseinandersetzung der Hauptfigur mit sich selbst“ und in der „Verzichtsleistung, die er ja nicht in der Beziehung ausmache, sondern die eine Leistung in seinem Inneren ist“. Das sei problematisch in Bezug auf die Plausibilität der Verzichtshandlung.