Behzad Karim-Khani
Valerie Brenner
Valerie Brenner

TEXT Behzad Karim Khani, D

Behzad Karim Khani liest auf Einladung von Philipp Tingler den Text „Vae victis“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf.

Als Saam in die letzte der vier Kabinen des Gefängnistransporters gebracht wurde, saß dort ein Junkie, der aussah, als wäre er vierzehn. Der Junge streckte mal die Beine aus, mal zog er sie an, lehnte sich zurück, legte die Hände in den Schoß, versuchte, sich mit der Schulter am Hals zu kratzen, strich sich über den kahlgeschorenen Kopf oder trommelte auf den Oberschenkeln. Er sah ungesund aus. Schwitzte durch eine gelbbeige Haut.

Die Schiebetür der Kabine war gummiert wie bei einem Kühlhaus.
Einer der Justizbeamten händigte Saam eine Tüte aus, in die er pinkeln konnte. Eine Toilette gab es nicht. Der Junge saß da wohl schon länger, zumindest war seine Tüte gefüllt und hing in seiner Hand wie ein toter Vogel.

Saam setzte sich auf die schräg gegenüberliegende Sitzschale aus Hartplastik und grüßte. „Hey!“ Der Junge hob die freie Hand und drehte sein Gesicht dorthin, wo bei einem normalen Bus das Fenster wäre. Hier gab es nur einen Sehschlitz aus Panzerglas, an dem sich draußen eine Landschaft mit sechzig Stundenkilometern vorbeischleppte. Novembertot und klebrig.
Nach einer knappen Stunde Fahrt, hielt der Bus an. Einige Kabinen wurden aufgemacht, Gefangene rausgebracht, andere stiegen ein. Dann wurde auch ihre Kabine geöffnet. Ein gut einhundertzwanzig Kilo schwerer Gefangener mit Flipflops und einem ungepflegten, fransigen Bart stieg ein und blieb stehen. Sobald die Tür hinter ihm abgeschlossen wurde, sagte er: „Ich setz mich nicht neben den Junkie“, und deutete Saam an, sich rüberzubewegen. Saam überlegte kurz, stand auf und setzte sich zu dem Jungen. Der Dicke breitete sich aus und legte nach.
„Wehe, du kotzt, Junkie! Wehe, du kotzt! Ich schwör’s dir, ich ficke dich, wenn du kotzt! Du schluckst die Scheiße runter!“

Der Junge nickte, ohne ihn anzuschauen.
Der Koloss wandte sich an Saam und fragte: „Gedealt?“
„Bewaffnete räuberische Erpressung“, antwortete Saam gespielt gelangweilt, und weil das keine Wirkung erzielte, schob er ein „Neukölln“ hinterher, was sein Gegenüber genauso wenig beeindruckte.
Kaum hatte sich der Transporter wieder in Bewegung gesetzt, beugte sich der Dicke nach vorne, als wollte er den beiden was flüstern, und ließ einen Furz los, über dessen Geruch er sich stolz amüsierte.
„Alter, stinkt der! Alter!“ Dann grinste er und fragte: „Wie haltet ihr das bloß aus?“
Saam zog sich den Pullover über die Nase und mit dem Gestank, der etwas von Tod hatte, begriff er auch die Notwendigkeit einer Entscheidung.
Er stand auf und trat dem Dicken ins Gesicht. Mit allem, was er hatte. Vier Mal, obwohl er schon nach dem ersten Tritt bedient war. Danach packte er ihn an den Schultern, zog ihn zu Boden und verstaute seinen Kopf mit dem Gesicht nach unten wie einen Koffer unter dem Sitz neben dem Junkie. Der Mann fluchte, spuckte Blut. Saam drückte ihm den Fuß in den Nacken und versprach, ihn fertigzumachen, sollte er die restliche Fahrt nicht genauso liegen bleiben. Der Kadavergestank drehte ihm den Magen um.

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