Usama Al Shahmani
Ayse Yavas
Ayse Yavas

TEXT Usama Al Shahmani, CH/IQ

Usama Al Shahmani liest auf Einladung von Michael Wiederstein den Text „Porträt des Verschwindens“. Sie finden hier einen Auszug und als Verlinkung den gesamten Text als .pdf.

Er klopft an die Tür des Exils, jeden Tag. Weder wird die Tür geöffnet, noch hört er auf zu klopfen. Er weiß nicht, wie dieses Dilemma ein Ende nehmen soll. Es erinnert ihn an seine Jugend, als er gegen sich selbst Schach spielte. Er saß vor dem Schachbrett, stellte die Figuren auf und begann die Partie. Sein Gegenüber kannte er nicht. Mal gab er ihm die schwarze, mal die weiße Farbe. Er spielte auch für die unbekannte, unsichtbare Person, die gegen ihn war, gut und zuverlässig. Er gab sich Mühe, dass die Person hinter seine eigene Taktik kam und sich verteidigen konnte. Er pendelte konzentriert zwischen sich und ihr hin und her, und manchmal ließ er sie gewinnen. Und immer fragte er sich am Ende, wer nun das Spiel gewonnen hatte. Eine Antwort fand er nicht, aber er wusste, wie es war, Sieger und Verlierer gleich¬zeitig zu sein. In seinem Rücken saß manchmal Großmutter und sah ihm zu. Es kommt ihm vor, als sei es gestern gewesen. Wäre es möglich, dass er sich all diese Jahre nur eingebildet hat, dass er in Wirklichkeit nur eine Nacht geschlafen hat und eben jetzt im Exil aufgewacht ist? Vor dem Schlafengehen schreibt er Wörter auf kleine Zettel und lässt sie auf dem Tisch liegen. „Bleibt hier und versucht, tief einzuatmen“, sagt er zu ihnen und geht zu Bett. Einige der Wörter haben Angst vor dem Alleinsein, sie beginnen zu zittern. Anderen gefällt die Stille, und sie freuen sich, im Dunkeln auf dem Tisch aus Nussbaum-holz zu liegen. Dann beginnen sie zu tanzen und versuchen, einen dünnen Lichtfaden für diejenigen zu flechten, die Angst haben. Manchmal legt er eines von ihnen unter sein Kopfkissen und hofft, dass es sich in seinen Traum schleicht. „Halwa“, schreibt er und legt es unter sein Kissen. Halwa gabs bei Großmutter, wenn er und seine Geschwister sie als Kinder besuchten in den Schulferien. Mit der Süßigkeit begann eine andere Zeit, eine Zeit der Freiheit.

„Träume sind unsere einzigen freien Räume im Irak“, sagte ein Freund, „wenn wir uns gut vorbereiten auf einen Traum, gehen unsere Wünsche in Erfüllung.“ Er verstand nicht, wie man sich auf einen Traum vorbereiten soll, aber diesmal träumte er von Großmutter und ihrer Freundin Aschuak. Sie saßen im Wohnzimmer am Esstisch, Großmutter, Aschuak, seine Mutter und er.

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