Kameramann
ORF/Johannes Puch
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Favoriten am dritten Lesetag

Dana Vowinckel, Timon Karl Kaleyta, Nava Ebrahini und Nadine Schneider waren die Lesenden des dritten und letzten Lesetages. Vowinckels Text wurde begeistert aufgenommen. Am Samstagnachmittag wählte das Publikum per Onlinevoting den Publikumspreisträger bzw. -preisträgerin.

Den Anfang machte am dritten Lesetag die deutsche Autorin Dana Vowinckel, die gerade an ihrem ersten Roman arbeitet. Sie las auf Einladung von Mara Delius den Text Gewässer im Ziplock. Im Mittelpunkt steht die Zerrissenheit einer orthodoxen jüdischen Familie. Der Vater arbeitet als Kantor in einer Berliner Synagoge, die adoleszente Tochter Rita leidet unterdessen beim sommerlichen Besuch ihrer Großeltern in Chicago unter Langeweile. Erst am Ende taucht die abwesende Mutter auf, die den Gegenpol zum orthodoxen Vater bildet, während die Tochter zwischen beiden Welten in der Luft hängt.

Jury zeigte sich angetan

Vea Kaiser sagte, der Text sei eindeutig ein Auszug, eine Familiengeschichte werde aus zwei Perspektiven erzählt, von Vater und Tochter. So eine Erzählhaltung mit diametral auseinander liegenden Perspektiven zu wählen sei grandios und gelungen. Insa Wilke sagte, der Text komme aus der realistischen Tradition des Erzählens. Das Erzählen versuche, eine Welt zu errichten. Die Form des Perspektivenwechsels finde sie gut, sie sehe noch eine dritte, die Perspektive der Gemeinde. Man merke im Text tolle Anlagen, man könnte aber Manches noch schärfen. Sie sehe die Schwierigkeit der tollen Figur der Großmutter, gegen die die Protagonistin abfalle.

Lesung Dana Vowinckel
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Lesung Vowinckel

Brigitte Schwens-Harrant stimmte zu, dass der Blick der Gemeinde von außen wichtig sei. Die Geschichte eines pubertierenden Teenagers werde verknüpft mit der Geschichte der Diaspora, der Identitätssuche. In den Details fiel Schwens-Harrant aber etwas Schlampigkeit auf. Es gebe einige Brüche im Text.

Michael Wiederstein sagte, er habe die verschiedenen Vaterfiguren im Text interessant gefunden. Da es um einen längeren Text gehe, sei der Auszug manchmal etwas zusammengestückelt, so Wiederstein. Das Zusammenbrechen der Familie sei gut dargestellt – mehr dazu in Jurydiskussion Dana Vowinckel.

„Wie Sendung mit der Maus“

Nach Dana Vowinckel las ihr von Michael Wiederstein eingeladener Landsmann Timon Karl Kaleyta den Text „Mein Freund am See“. Ein Text über Kapitalismus, Freundschaft und unterschwellige Gewalt. Trauriger Kristallisationspunkt des Textes: „Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass Julians Freunde nicht wirklich wissen, was sie an ihm haben, denn in den langen Wintermonaten, im Herbst und bei schlechtem Wetter, will ihn erstaunlicherweise nie jemand besuchen.“

Michael Wiederstein bei Lesung von Timon Karl Kaleyta
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Lesung Kaleyta

Klaus Kastberger sagte, er fühle sich erinnert an die „Sendung mit der Maus“. „Das ist Julian, Julian hat ein tolles Boot.“ Das sei ein perfekt geeignetes Stilmittel für so einen Text, es störe überhaupt nicht. „Wie sich die Bösartigkeit entwickelt gefällt mir wahnsinnig gut. Vom Inhalt her erinnert es mich etwas an den kleinen Gatsby mit der Sprache der Sendung mit der Maus.“

Insa Wilke sah darin etwas von Leander Steinkopf. Der Erzähler trete nicht aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit heraus. Der Autor habe es nicht nötig, seine Belesenheit auszustellen. Etwas lauere unter der Oberfläche wie bei Twin Peaks. Auch Artikel und Verben kommen einmal zu tragen, so Wilke.

Philipp Tingler sagte, der Text fülle schön 25 Minuten, er sei aber so flach wie der See, der im Text vorkomme. Die Perspektiven werden nicht durchgehalten – mehr dazu in Jurydiskussion Timon Karl Kaleyta.

Studio-Totale Jury Zweiter Lesetag
ORF
Jury live im Studio

„Der Cousin“ von Nava Ebrahimi

Die in Teheran geborene, in Deutschland aufgewachsene und seit 2012 in Graz lebende Autorin Nava Ebrahimi ist nach einer kurzen Mittagspause an der Reihe. Sie wurde von Klaus Kastberger nominiert und liest den Text „Der Cousin“. Philipp Tingler fand den Text so „mittel“, nicht schlecht, aber nicht umwerfend. Die Konstellation gefalle ihm, auch das Ende. Aber vieles stimme für ihn nicht im Text. Er könne Amerikaklischees nicht leiden.

Nava Ebrahimi Lesung
WDW-Film
Lesung Nava Ebrahimi

Mara Delius und Vea Kaiser fanden den Text großartig. Philipp Tingler meinte, er sei nicht schlecht, eher so mittel. Er sei nicht umwerfend. Ihm gefielen die Dramaturgie, die Exposition, die Konfiguration des Paares aus Cousin und Cousine und auch das Ende. Jedoch müsse er feststellen, dass für seine Begriffe vieles am Text nicht stimme.

Vea Kaiser war beeindruckt davon, wie es in dem Text darum gehe, das „Unerzählbare“, das „Unbeschreibbare“ durch Mittel der Kunst darzustellen – mehr dazu in Jurydiskussion Nava Ebrahimi.

Nadine Schneider beendet Lesereigen

Den Abschluss macht die Deutsche Nadine Schneider, die ihren 2019 erschienenen Roman „Drei Kilometer“ im Jung und Jung Verlag veröffentlichte. Eingeladen wurde sie von Brigitte Schwens-Harrant. Sie las den Text „Quarz“. Die Jury war gespalten. Angetan zeigen sich Vea Kaiser und Mara Delius. Kaiser fand, sie habe selten so schöne Schilderungen eines Dorflebens gelesen. Das Dorf werde individuell von Bewohnern beschrieben, die wissen wollen, wie viel ein Zaun des Nachbarn gekostet habe oder auch durch den Pfarrer, der komme, um nachzufragen, warum man aus der Kirche ausgetreten sei.

Lesung Nadine Schneider
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Nadine Schneider

Jemand, der seinen Text „Quarz“ nenne, müsse wissen, dass es Adalbert Stifter und dessen Erzählung „Bergkristall“ gebe, so Klaus Kastberger. Er nehme an, dass Nadine Schneider das wisse. Er habe die Vermutung, dass Schneider etwas von Stifters Programm nehme und den Zustand der lang anhaltenden Dauer beschreibe. Der Text habe eine Form, die durchaus etwas von den Gesetztheiten des 19. Jahrhunderts habe, die Voraussetzung sei aber eine andere, so Kastberger.

Insa Wilke dachte beim Text nicht nur an Adalbert Stifter, sondern auch an H.C. Artmann, so komme man dem Text auf die Spur. Es sei laut Wilke ein formal sehr strikt gebauter Text. Das Dorf verstand sie als Metapher für das Kontinuum der Zeit. Das Dorf sei die Kontinuität, die Jahreszeiten die zyklische Zeit, so Wilke – mehr dazu in Jurydiskussion Nadine Schneider.

Pantoffel von Philipp Tingler
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Philipp Tingler zog sich diesmal am Nachmittag nicht die Oberbekleidung um, sondern wechselte von weißen Sneakers in Badeschlappen.

Publikum am Zug

Zwischen 15.00 und 20.00 Uhr war am Samstag das Publikum am Wort. Per abgesichertem Online-Vorting konnte für einen Kandidaten oder eine Kandidatin samt Begründung gestimmt werden. Die Autorin oder der Autor mit den meisten abgegebenen Stimmen gewinnt den mit 7.000 Euro dotierten BKS Bank-Publikumspreis 2019. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.