Jury im ORF Theater
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Kein klarer Favorit am zweiten Tag

Auch am zweiten Tag setzte die Jury die Lust am Diskurs und am Schlagabtausch fort, der Ton wurde zwischendurch auch härter. Ganz einig war sich die Jury bei keinem der Texte, es gibt eher keinen eindeutigen Favoriten. Daher bleibt es spannend für den dritten Lesetag.

Leander Steinkopf, eingeladen von Vea Kaiser, las den Text „Ein Fest am See“ über einen Mann, der zur Hochzeit seiner Ex-Freundin eingeladen wird und seinen Nachfolger kennenlernt. Er sinniert über die vergangene Beziehung und macht endlich seinen Frieden damit.

Magda Woitzuck Jury
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Die Jury diskutiert vor Ort im ORF-Theater Klagenfurt

Philipp Tingler lobt die Satire. Brigitte Schwens-Harrant fand den letzten Satz grandios: „Ich habe solche Lust zu Tanzen.“ Sie habe den Text verstanden, sich unterhalten geführt, würde ihn aber nicht ein zweites oder drittes Mal lesen wollen. Insa Wilke meinte, der Text sei nicht auf der Höhe der Radikalität seiner Figuren. Sie sehe drei Schwierigkeiten: an den Stellen, an denen der Text etwas ankündige zeige sich, dass er spießig sei und gar nicht radikal. Am Anfang sage er, es gehe nicht um mich, sondern um Dich, also um die Frau. Aber es geht doch nur um ihn. Der Text halte auf Motivebene Ordnung, so Wilke, aber die Ankündigungen werden nicht eingehalten. „Mir reicht es nicht“.

Leander Steinkopf
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Leander Steinkopf

„Gibt kein Team Tingler-Kaiser“

Vea Kaiser unterbrach Michael Wiederstein, der an der Reihe war und erklärte den Jurykollegen, dass der Erzähler in der Disney-Prinzen-Romantik entlarvt. Wiederstein kam dann doch zu Wort und meinte, es sei ein misogyner, gekränkter Typ, der den bürgerlichen Lebensentwurf kritisiert, aber selbst kleinbürgerlich ist. Er outete sich als „Team Tingler-Kaiser“.

Wiederstein mochte den Text ebenso wie Klaus Kastberger, der ihn „charmant“ fand. Tingler stellte gegenüber Wiederstein in Folge fest, „es gibt kein Team Tingler-Kaiser“. Zu Vea Kaiser sagte er, er finde ihre Analyse nicht richtig. Es gebe eine emotionale und eine diskursive Ebene, über Texte zu sprechen, aber man habe den Anspruch, Texte zu analysieren. Insa Wilke mahnte, man dürfe auch laut denken in der Jury und müsse nicht gleich von der Seite angepöbelt werden, in Richtung Tingler – mehr dazu in Jurydiskussion Leander Steinkopf.

Lesung Anna Prizkau
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Lesund Anna Prizkau

Diskussion um Text von Anna Prizkau

Anna Prizkau, die aus Moskau stammt und seit 1994 in Berlin lebt, las den Text „Frauen im Sanatorium“. Klaus Kastberger sagte, die Geschichte sei bei ihm „angekommen“, es sei ihm alles aber auf eine etwas zu „große Bühne“ gestellt worden. Damit meine er nicht den Bachmannpreis, sondern den Text an sich.

„Unverschämt trickreich“ empfand hingegen Mara Delius den Text. Anna Prizkau sei eine gute Autorin, die eine Geschichte kunstvoll erzähle.

Brigitte Schwens-Harrant würdigte das eingebaute Thema „Alles wird gut“. Die Lebendigkeit der Dialoge sei „nicht so gelungen“ und die Erzählung „zu adjektivlastig“.

„Vieles Gutes“ verortete Insa Wilke. Sie fand sich an einen Text von Christine Lavant erinnert. Vea Kaiser widersprach Wilke. Der Text sei wie eine russische Puppe, die viele Ebenen enthalte.
Michael Wiederstein sagte, der Text entspreche jenen Themen, die in Klagenfurt ziehen. Er sah allerdings eine fehlende intellektuelle Manövriermasse. Für Philipp Tingler verkörpert der Text ein Ideal von Literatur. Er lobte auch den Vortrag in „lakonischer Eleganz“.

Verena Gotthard Lesung
WDW-Film
Verena Gotthardt

Kärntnerin im Bewerb

Den Lesevormittag beschloss die Kärntner Autorin Verena Gotthardt mit ihrem Text „Die jüngste Zeit“. Im Text werden Erinnerungen im Jahresreigen beschrieben. Beispielsweise an den Tod eines Fischers, an Sommermonate auf der Alm mit den Großeltern, die erster Reise ans Meer, einen gebrochenen Arm in der Kindheit oder an Verwandte die starben, ohne dass das Kind verstand, wohin sie gegangen waren.

Für Michael Wiederstein war klar, was der Text tue. Man habe es mit einem bekannten Prinzip zu tun, es werden Fotos angeschaut, diese funktionieren als eine Art Katalysator für die eigene Familiengeschichte. Diese wird weitergesponnen, idealisiert und es werde der Imagination die Hand gereicht. Klaus Kastberger wünschte sich „alle fünf Seiten oder so“ einmal ein Zeitwort oder wenigstens Hilfszeitwort.

Insa Wilke stellte sich die Frage, ob das Wichtigste nicht erzählt werde oder ob es permanent erzählt werde – nämlich der Ablauf der Zeit. Zeit als Kontinuum und die Zäsuren, die es doch gebe, wenn die Autorin schreibe, dass zwei nicht mehr da seien. Wilke sagte, ihr gefalle ebenfalls an dem Text, dass er den Mut habe, breit zu erzählen. Auch die stilistischen Prinzipien fanden bei Wilke Anklang – mehr dazu in Jurydiskussion Verena Gotthardt.

Lob für Lukas Maisel

Der Schweizer Lukas Maisel las am Nachmittag auf Einladung von Philipp Tingler den Text „Anfang und Ende“ über ein junges Paar, das auf dem Weg zu den Eltern der Frau ist, um den neuen Freund vorzustellen. Die beiden hatten sich per Dating-App kennengelernt. Als die junge Frau, Sara, bemerkt, dass ihr Freund sich die Dating-App erneut heruntergeladen hatte und mit Frauen Kontakt aufnimmt, lässt sie ihn stehen.

Mara Delius meldete sich zuerst. Das erstaunliche an dem Text sei die Sicherheit in der Komposition, die Plastizität der Figuren, der Text habe alles im Griff. Der Leser sehe die beiden Protagonisten und ihre jeweiligen Neurosen sofort vor sich. Das treffe vor allem auf den Mann zu.

Vea Kaiser antwortete darauf, dass sie so etwas noch nicht gelesen habe. Der Text sei „großartig“, weil er sich traue, etwas zu erzählen, das alltäglich geworden sei. Man könne sich nicht mehr kennenlernen, ohne diverse Datingplattformen zu nutzen.

Klaus Kastberger sagte, beim Lesen und Zuhören hätte er eine paradoxe Empfindung, was nichts Schlechtes sein müsse. Er wunderte sich, dass alles so schnell gehe. Eine Frau sei weg, die nächste gleich da. Es leuchte ihm ein, dass es auch eine Beschreibung der Tinder-Welt sei, er hatte aber nicht das Gefühl, dass der Text darüber etwas sage, was er nicht schon lange gewusst habe – mehr dazu in Jurydiskussion Lukas Maisel.

Letzter Autor des Tages Fritz Krenn

Der Österreicher Fritz Krenn beendete den zweiten Lesetag mit dem Text „Mr. Dog“ über einen Autor, der in Berlin zu einer privaten Lesung eingeladen wird und eine unangenehme Begegnung mit einem unerzogenen Haushund hat. Insa Wilke würdigte den „sorglosesten Text“, der bis jetzt vorgestellt wurde. Sie habe den Eindruck, dass Krenn genau wisse, dass der Text in seinen Mitteln „von gestern“ sei, die aber nach wie vor funktionieren.

Lesung Fritz Krenn
ORF/Johannes Puch
Lesung Fritz Krenn

Diesmal fand sich Philipp Tingler ungewohnt einer Meinung mit Vea Kaiser, die zwar den Vortrag lobte aber sonst nichts Positives zu sagen hatte. Der Text habe ein Problem, sei etwas konfus, so Tingler. „Wer alles sagt, sagt gar nichts“. Das einzig Interessante sei die Hundeattacke, die werde aber auch noch wiederholt – mehr dazu in Jurydiskussion Fritz Krenn.

Favorit am ersten Lesetag

Am ersten Lesetag des 45. Bewerbs gab es mit Necati Öziri einen ersten möglichen Favoriten. Die Jury mit den beiden Neuzugängen Vea Kaiser und Mara Delius diskutierfreudig. Letztes Jahr wurde sie pandemiebedingt von Zuhause zugeschaltet, dabei waren kontroversielle Diskussionen eher schwierig. Das holte man in diesem Jahr nach – mehr dazu in Erster Tag mit Lust an Diskussionen.

Publikumsvoting am Samstagnachmittag

Die Lesungen gehen weiter am Samstag von 10.00 bis 13.30 Uhr. Die fünf Preise werden am Sonntag ab 11.00 Uhr vergeben – mehr dazu in Fünf Preise werden vergeben.

Am Samstag zwischen 15.00 und 20.00 Uhr findet das Publikumsvoting online statt. Der Sieger/die Siegerin bekommt das Stadtschreiberstipendium.