Magda Woitzuck Lesung
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Jurydiskussion Magda Woitzuck

Magda Woitzuck las auf Einladung von Vea Kaiser den Text „Die andere Frau“. Die Geschichte einer langweilig gewordenen Ehe, die durch den Tod der Nachbarin gestört wird. Die Jury war sich nicht einig. Tingler fand in grandios, Mara Delius sah David Lynch im Text, Wiederstein eher Ms. Marple.

Stefan und Judith sind seit 30 Jahren verheiratet. Judith erzählt ihrem Mann nicht, dass sie eine Tote im Wald gefunden hat, als sie mit dem Hund spazieren war. Es ist Verena Bruckner, die Nachbarin, deren Haus sie vom Küchenfenster aus sehen kann und dessen Licht sie abends immer sieht. Judith ist Großmutter, aber genervt von den ewigen Fotos, die ihre Tochter von sich und dem Baby schickt. Ihr Mann versteht das nicht.
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title: TDDL 2021 Magda Woitzuck Diskussion
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Judith arbeitet in einem Altersheim, Tod und Einsamkeit sind ihr vertraut. Sie geht nochmals in den Wald, holt sich den Haustürschlüssel der Toten, deren Tod sie immer noch nicht gemeldet hat. Judith geht in das Haus der Toten und füttert deren irritierte Katze. Dann sieht sie sich im Haus um, verwendet den Lippenstift der toten Frau im Bad. Mit dem Telefon der Toten ruft sie ihren Mann in ihrem Haus an und gibt vor, Verena Bruckner zu sein. Doch ihr Mann erkennt die Stimme seiner Frau, er spielt das Spiel mit.

Lesung Magda Woitzuck
ORF/Johannes Puch

Wilke wünscht sich klarere Entscheidung

Die Diskussion wird von Insa Wilke eröffnet. Für sie wird im Text etwas Schwieriges versucht, es wird versucht einen Alltag zu beschreiben. Der Text sei eine Art Novelle, außerordentlich sei der Wunsch, in ein anderes Leben zu gehen. Wilke habe eine Schwierigkeit mit den Gewichtungen, sie fragte sich, ob das an der Erzählperspektive liegt. Wilke glaubte, der Text würde in ein anders Verhältnis rutschen, wenn die Perspektive stärker bei der Figur wäre. Auch wegen der Unklarheit, ob die Leiche oder das Paar oder der Alltag im Zentrum steht, hätte sie gerne eine klarere Entscheidung im Text.

Insa Wilke
ORF/Johannes Puch
Insa Wilke

Tingler fand Text „grandios“

Für Philipp Tingler entsprach der Text seiner Idealvorstellung hinsichtlich Balance von äußerer und innerer Handlung, Textgestalt und Emotionalität. Er fand den Text grandios. Laut Tingler zeige der Text, dass hinter der Welt der Erscheinung der sichtbaren Welt, noch etwas anderes steckt, das hinter der Erscheinung hindurchscheine. Das sei Transzendenz, das was Literatur leisten sollte. Die Welt von Tod und absoluten Momenten sei nur einen winzigen Abstand vom Alltag entfernt. Die Hauptperson stolpere über die Tote und für sie öffnet sich ein neuer Pfad. Für Tingler sei es ein Zeichen guter Literatur, wenn er sich sofort für die Charaktere interessiere. Der Text sei sehr gelungen und kunstvoll.

Konzentration auf Sprachliches

Mara Delius widersprach Tingler und stimmte Wilke zu. Sie konzentrierte sich auf die sprachliche Verfasstheit des Textes. Woitzuck erzähle in einem klaren ruhigen Ton und erschaffe „David-Lynchafte-Szenen“. Was für sie zu wenig beachtet bleibe, sei die Tochter-Mutter-Konstellation, gerade deswegen, weil der Text ein Versuch der Annäherung an ein anderes Leben darstelle.

Magda Woitzuck Jury
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Jury hört zu

Vea Kaiser widersprach sowohl Delius als auch Wilke. Es gehe um eine Frau, die in einem Leben sei, das von ihr verlange, zu schweigen. Es sei die Hölle des Alltags, die Routine. Aus ihrer Sicht sei es gut, dass die Mutter-Tochter-Konstellation nicht näher ausgeführt wird. Würden sich die Perspektiven wechseln, würde die Stimmung verloren gehen.

Wiederstein sah Ms. Marple

Michael Wiederstein sieht sich eher bei Ms. Marple als David Lynch. Der Text sei übererzählt und erkläre alles. Es bleibe kein Raum, keine „intellektuelle Manövriermasse“. Was ihn am Anfang bei er Stange hielt, ihn aber beim zweiten Lesen nervte, seien Sätze gewesen wie: „Stefan mag seine Arbeit“. Wiederstein fragte sich, warum man solche Sätze schreibt, wenn man es auch zeigen könnte. Man hätte besser aus der Perspektive von Judith erzählen sollen, konstatiert Wiederstein.

Vea Kaiser
ORF/Johannes Puch
Vea Kaiser verteidigte den Text vehement

Kastberger: Konventionellster Text

Klaus Kastberger schloss sich Michael Wiederstein an. Der Text sei für ihn der formal konventionellste Text. Für Kastberger seien viele Redundanzen im Text, gleichzeitig sei er für ihn nicht glaubhaft. Es komme ihn komisch vor, dass Judith die Leiche einfach liegen lasse. Der Text sei teilweise sprachlich äußerst schlampig gearbeitet und unpräzise.

Kastberger zitierte Giovanni Trapattoni aus seinem bekannten Interview als Bayern-Trainer: „Spieler schwach, wie Flasche leer“. Das sei eine Art von Verqueren und doppeltem Vergleich. Diese Figur habe Kastberger auch im Text gefunden. Beispielsweise, die Creme rieche so teuer, wie das Behältnis aussehe. Das sei wirklich eine Schlampigkeit ohne den Charme von Trapattoni.

Vea Kaiser widersprach Kastberger. Der Text sei sehr präzise gearbeitet und nicht übererzählt. Es kam zu einem kurzen Schlagabtausch mit Belehrung Richtung Kastberger, was dieser nicht amüsant fand.

Philipp Tingler
ORF/Johannes Puch
Philipp Tingler sorgt für modische Abwechslung

Die Vergleiche seien zulässig, so Philipp Tingler. Das Problem des Textes sei, dass er oft Sachen explizieret, die man nicht explizieren sollte, ohne dass das Ganze Schaden nehme. Der Text sei eine grundsätzliche Parabel darüber, wie sind wir eingebettet in bestimmte Lebenszusammenhänge, welche Sehnsüchte sitzen tief im Menschen. Brigitte Schwens-Harrant glaubte auch, dass etwas mit den Perspektiven nicht stimmt. Dramaturgisch sei viel gutes Handwerkszeug im Text.

Thema der Gewalt gegen Frauen

Insa Wilke sagte, sie habe den Eindruck, dass die Aggression etwas Zentrales im Text sei, das stärker herausgearbeitet werden müssen. Sie spielte auf den Satz „Weil Frauen öfter Gefahr laufen erschlagen zu werden“ an. Für sie komme dadurch das Thema Gewalt an Frauen in den Raum, was nicht im guten Verhältnis zu dem Schweigen in der Beziehung zwischen Judith und Stefans stehe. Wilke sagte, sie glaube, dass es wichtig sei, die Aggression der Frauengigur herauszuarbeiten, das Schweigen der Frau sei der falsche Pfad.

Kaiser: Text wunderbar

Das Wichtige sei das Motiv der Endlichkeit, so Vea Kaiser. In der Geschichte sei eine Frau, die damit konfrontiert sei, dass der Tod plötzlich in ihr Leben einbreche. Durch das Kind ihrer Tochter müsse sie in der Generationenfolge einen neuen Platz einnehmen. Sie freue sich nicht, da sie die nächste sein könnte, die sterben werde. Für Kaiser sei der Text wunderbar, gerade, weil diese Aggression nicht da sei.

Philipp Tingler sah in dem Text eine literarische Leistung, indem er das Skandalöse mit dem Alltäglichen verbindet und ein befremdliches, irritierendes Gefühl schafft. Für Wilke sei das zu wenig herausgearbeitet worden.